Rheinfelder Fasnächtler pfeifen auf Konzessionen
Von: Hans Berger
Nach dem gestrigen frühlingshaften Tag merkten die Rheinfelder um neunzehn Uhr, als die Grüttgrabe Geischter schränzend durchs Städtli zum Rathaus zogen und wenn noch nicht, dann sicherlich elf Minuten später, als drei Böllerschüsse donnernd die Stille durchbrachen, dass die fünfte Jahreszeit die vierte still und heimlich überrundete und die Fasnachtszeit ihren Anfang genommen hat.
Im Innenhof vom Rathaus konnte die Präsidentin der Fasnachtsgesellschaft Rheinfelden (FGR), Béa Bieber eine stattliche Zahl zivile und verkleidete Fasnachtsfreunde begrüssen, denen Loli Glori - ein stimmliches Pendant von Tina Turner - und Marcus Casha richtiggehend einheizten.
Proklamation
Nachdem selbiges auch die Grüttgrabe Geischter nochmals taten, oblag es dem FGR-Finanzchef Roger Wendelspiess, dem närrischen Volk die aus einem Wettbewerb erkorene, von Frank Schmohl kreierte Plakette vorzustellen sowie die Jahreslosung „Mir pfyfe druf“ zu verkünden.
Falls sich die FGR durchsetzt, so dürfte es ab dem "ersten Faisse" (21.1.16) und der „Uusbrüelete“ (7.2.16) im Zähringerstädtchen recht drunter und drüber gehen, denn die FGR Proklamation fordert:
- Mir pfyfe während de Fasnachtstäg uf de Alltagsstress
- Mir pfyfe uf Rang und Name
- Mir pfyfe uf d‘Obrigkeit
- Mir pfyfe uf alli anderwitige Verpflichtige
Und dies nur, wie Wendelspiess ausdrücklich betonte, weil sie einmal im Jahr die Fasnacht geniessen wollen.
Nachdem die Gassenschränzer statt pfeifend das Auditorium schränzend begeistert hatten, die offerierte Mehlsuppe ausgelöffelt und der letzte Tropfen Wein heruntergeschluckt war, zog sich die Narrenschaft zurück und fing an, auf dies und jenes zu pfeifen.
Verkehrte Welt
Neu ist der Rheinfelder Erlass allerdings nicht, denn es liegt wohl in den Genen des Menschen, dass er den Drang hat, einmal im Jahr die „Sau“ rauszulassen. War dies vor rund 5‘000 Jahren in Mesopotamien, als der Mensch gerade erst anfing, sein Tun und Lassen schriftlich festzuhalten vermutlich aber noch ein Massenphänomen, gibt es heute mehr Konsumenten wie Akteure. Umso erstaunlicher ist es, dass die Fasnacht bis heute dem Wandel der Zeit trotzen konnte.
Das Geheimnis des Erfolgs liegt vermutlich darin, dass unter den echten, aktiven Fasnächtlern gesellschaftliche Schranken inexistent sind und sie es an den drei tollen Tagen verstehen, ihre Ideologie unters Volk zu bringen. Ganz so wie damals in Mesopotamien, als für wenige Tage alle, vom hohen Würdenträger bis zum Sklaven, demselben Stand angehörten.
Ursprung
Die Tradition lebte auch in den grossen, die heutige Zeit mitbestimmenden Kulturen, sowohl der griechischen wie römischen, weiter. Bei letzteren tauschten Herren und Sklaven sogar vorübergehend die Rollen. Sie gönnten sich ausgiebige Ess- und Trinkgelage, veranstalteten Festumzüge und liessen ihren Redebedürfnissen - geschützt durch die Narrenfreiheit jener Festtage - freien Lauf.
Nach den Römern kamen die „unzivilisierten“, „kulturlosen“ Germanen und Alemannen, welche hierzulande der Nachwelt ausser ihrem wilden, lauten und bunten Frühlingsfest wenig hinterliessen, dies jedoch nachhaltig. Die Menschen setzten sich grauenvolle Masken auf und machten zur Vertreibung der Dämonen und Wintergeister mit Schellen, Rasseln und Trommeln einen Höllenkrach. Darauf wollten auch die zwischenzeitlich christianisierten Germanen und Alemannen nicht verzichten.
Civitas diaboli
Der zu Macht und Einfluss gelangten katholischen Kirche war das fröhliche, im Heidentum wurzelnde Fest allerdings ein Dorn im Auge. Sie sah in den sexuellen Ausschweifungen, der Völlerei, den Wettkämpfen und Spielen, den Besäufnissen und derben Schauspielen geradezu eine „civitas diaboli“ (Reich des Teufels), eine Gegenwelt zum Paradies, eine Hingabe an die Welt, nicht zu Gott. Deshalb verdammte sie die Faschingszeit als widergöttlich und verbot das Treiben.
Doch im ausgehenden Hochmittelalter keimte es vielerorts in neuer Gestalt wieder auf. Zum katholischen Kirchenjahr gehören bekanntlich auch eine vierzigtägige Fastenzeit vor Weihnachten und eine ebenso lange vor Ostern. Lebensmittel, die den damaligen Gläubigen während der Fastenzeit verboten waren, wären verdorben, hätte man nicht vorher die Speisekammern „leergeräumt“. Vermutlich entstand der neue Name des Festes aus diesem „Abschied vom Fleisch“, im Mittellateinischen "carnevale".
Raffinierter Schachzug
Indem die Lehre des Kirchenvaters Augustinus beim Wort genommen wurde, wonach dem Staat Gottes ein Staat des Teufels gegenübersteht, liess man ab dem dreizehnten Jahrhundert unter vielgestaltigen Ausschweifungen die „civitas diaboli“ symbolisch Gestalt annehmen, damit diese dann mit Beginn der vorösterlichen Fastenzeit vom Reich Gottes besiegt werden konnte.
Auf eine lehrsame Wirkung dieses Spiels hoffend, duldete der Klerus oft sogar närrisches Treiben in den Kirchen bis hin zum Abhalten von Eselsmessen und der "Inthronisation" eines Pseudopapstes. Nur wer noch nach Anbruch des Aschermittwoch in karnevalistischer Ausgelassenheit angetroffen wurde, musste um Leib und Leben fürchten.
Damit begannen sich regionale Spielarten zu bilden, in denen sich neben unterschiedlicher Termingestaltung - lediglich der Aschermittwoch blieb verbindlicher Schlusspunkt - auch neue Bezeichnungen etablierten.
Keinen Gefallen an diesem Schachzug hatten später die Reformatoren, welche ebenfalls versuchten, die Fasnacht zu verbieten, dies allerdings, zumindest in deren Schweizer Destinationen, mit Ausnahme von Basel, etwas erfolgreicher.
Weltweite Tradition
Davon abgesehen, dass viele Völker (oft unabhängig vom christlichen Kontext) ähnliche Traditionen pflegen, werden Karneval und Fastnacht in unserem Sinne heute zumeist im deutschsprachigen Raum begangen. Nennenswerte Ausnahmen bilden beispielsweise Grossereignisse in Rio de Janeiro und Santa Cruz de Tenerife, Maskenfeste in Venedig sowie der Mardi Gras in New Orleans.
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