Knappe Mehrheit für Altersvorsorge 2020
Von: mm/f24.ch
Wäre bereits am 4. August 2017 über die drei Vorlagen der eidgenössischen Volksabstimmungen vom 24. September 2017 entschieden worden, wären der Bundesbeschluss über die Ernährungssicherheit deutlich angenommen worden. Die Zusatzfinanzierung der AHV durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer und die Reform der Altersvorsorge wären knapp angenommen worden. Die Beteiligung hätte bei 55 Prozent gelegen. Das sind die Hauptergebnisse der ersten von zwei Befragungen zur Volksabstimmung vom 24. September 2017. Realisiert wird die Serie vom Forschungsinstitut gfs.bern für die Medien der SRG SSR.
Ernährungssicherheit
Gegenwärtige Stimmabsichten
Anfang August hätten mit 65 Prozent fast zwei Drittel der teilnahmewilligen Stimmberechtigten bestimmt oder eher für den Bundesbeschluss über die Ernährungssicherheit gestimmt. 18 Prozent wären dagegen gewesen und lediglich 17 Prozent noch unschlüssig. Die Ja-Seite startet entsprechend mit einem komfortablen Vorsprung von 47 Prozentpunkten in den Hauptabstimmungskampf.
63 Prozent der Teilnahmewilligen gehen von einer Annahme der Vorlage am Ab-stimmungstag aus. Ihre mittlere Schätzung mit einem Ja-Anteil von 54 Prozent liegt jedoch klar unter den geäusserten Stimmabsichten.
Stand der Meinungsbildung
Erst 38 Prozent verfügen bereits über feste Stimmabsichten; unter ihnen dominiert die bestimmte Zustimmung (31%) gegenüber der bestimmten Ablehnung (7%). 45 Prozent haben noch keine gefestigte Stimmabsicht; auch hier führt die Ja-Seite (34% zu 11%). 17 Prozent der Teilnahmewilligen wissen noch nicht, wie sie abstimmen wollen. Die Meinungsbildung ist damit für den Zeitpunkt schwach bis mittel fortgeschritten.
Konfliktmuster
Wie die hohe, parteiübergreifende Zustimmung in den eidgenössischen Räten vermuten lässt, zeigt sich ein einheitliches Muster in der Stimmbevölkerung. In allen untersuchten Untergruppen will eine klare Mehrheit dem Bundesbeschluss bestimmt oder eher zustimmen.
Parteipolitisch sind die Sympathisierenden der SVP (71%) und FDP (70%) am stärksten dafür, während jene der GPS und die parteiungebundenen Stimmberechtigen (je 59%) die geringste Zustimmung aufweisen.
Regional betrachtet, würden zurzeit die französischsprachige Schweiz (73%) und ländliche Regionen (69%) überdurchschnittlich, die italienischsprachige Schweiz (58%) wie auch die kleineren bis mittleren Agglomerationen (61%) unterdurchschnittlich zustimmen.
Interessant ist zudem der Unterschied zwischen den ab 65-jährigen Teilnahme-willigen (69%) und den bis 39-Jährigen (60%), wobei letztere nicht durch eine höhere Ablehnung, sondern durch einen höheren Grad an Unentschiedenheit auffallen.
Argumente
Die populärste Ja-Botschaft ist die Forderung, die Schweizer Produktion von Nahrungsmitteln zu stärken, welcher sich 79 Prozent der teilnahmewilligen Stimm-berechtigten anschliessen. Etwas weniger deutlich, aber mit 63 Prozent eben-falls von einer klaren Mehrheit wird das Argument gestützt, dass der Verfassungsartikel die ökologische Ausrichtung der Landwirtschaft sichert.
Beide Pro-Argumente werden stärker befürwortet als die beiden abgefragten Contra-Argumente: Eine Mehrheit von 61 Prozent sieht im Verfassungsartikel eine Zementierung der hohen Landwirtschaftssubventionen. Umstritten ist, ob es für die Versorgungssicherheit der Schweiz einen Verfassungsartikel braucht: 45 Prozent stimmen dem zu, 51 Prozent lehnen es ab.
Zudem zeigen die beiden Pro-Argumente eine stärkere Meinungswirkung als das Argument, das besagt, dass es keinen Verfassungsartikel braucht, während das Subventionsargument zurzeit keinen Einfluss auf die Stimmabsichten zu haben scheint.
Erhöhung Mehrwertsteuer und Reform der Altersvorsorge 2020
Gegenwärtige Stimmabsichten
Bei beiden Vorlagen – dem obligatorischen Referendum zur Erhöhung der Mehrwertsteuer und dem fakultativen Referendum zur eigentlichen Reform der Altersvorsorge 2020 – würde eine knappe, absolute Mehrheit von 53 Prozent dafür stimmen. 42 (Reform) respektive 41 Prozent (Mehrwertsteuer) wären dagegen, 5 respektive 6 Prozent sind noch unentschieden. Die Ja-Seite startet mit einem knappen Vorsprung von 11 respektive 12 Prozentpunkten in den Hauptabstimmungskampf.
Trotz Verknüpfung der beiden Vorlagen – sowohl inhaltlich als auch in der Konsequenz, dass bei der Ablehnung der einen auch die andere Vorlage hinfällig ist – gibt es zurzeit Personen, welche unterschiedlich gerichtete Stimmabsichten aufweisen: 7 Prozent der Teilnahmewilligen wollen die Erhöhung der Mehrwert-steuer annehmen, aber die Reform ablehnen. Weitere 7 Prozent geben genau das Gegenteil an. 44 Prozent sind kongruent bestimmt oder eher für beide Vor-lagen, 34 Prozent ebenso kongruent bestimmt oder eher gegen beide Vorlagen. Da die nicht-kongruenten Gruppen praktisch gleich gross sind, ergibt sich für die beiden Einzelvorlagen jedoch nahezu dieselbe Stimmabsicht.
Die Teilnahmewilligen gehen mehrheitlich (zu 54 resp. 53%) von einer Annahme der Vorlage am Abstimmungstag aus. Ihre mittlere Schätzung von 50 respektive 48 Prozent Ja-Anteil deutet auf ein knappes Resultat hin.
Stand der Meinungsbildung
Bei der Reform der Altersvorsorge haben 40 Prozent eine feste Stimmabsicht (21% bestimmt dafür, 19% bestimmt dagegen), 45 Prozent eine latente Stimm-absicht Prozent (32% eher dafür, 23% eher dagegen). 5 Prozent wissen nicht, wie sie stimmen wollen.
Bei der Mehrwertsteuervorlage ist es ähnlich mit 44 Prozent festen (22% bestimmt dafür, 22% bestimmt dagegen) und 50 Prozent latenten Stimmabsichten (31% eher dafür, 19% eher dagegen). 6 Prozent der Teilnahmewilligen haben noch keine Tendenz für eine der beiden Seiten.
Die Meinungsbildung ist damit für den Zeitpunkt mittel fortgeschritten.
Konfliktmuster
Das soziodemografische Konfliktmuster ist bei beiden Vorlagen sehr ähnlich, weshalb wir uns hier auf eine Vorlage beschränken. Wir vermuten, dass es bis zum Urnengang weniger Stimmberechtigte geben wird, welche die beiden Vor-lagen unterschiedlich beurteilen. Die Zahlenwerte im Folgenden beziehen sich auf die Reform-Vorlage.
Das Konfliktmuster ist überwiegend politisch bestimmt: Einerseits zeigt sich dies an den Parteilagern, wobei sich bei der SP, CVP und GPS klare Mehrheiten dafür, bei der SVP und der FDP knappe absolute Mehrheiten dagegen aussprechen. Bei den Parteiungebundenen überwiegt die Zustimmung, wenn auch weniger stark als bei den Mitte-Links-Parteien.
Andererseits zeigt sich dies am Regierungsvertrauen: Personen, welche der Re-gierung eher vertrauen, wollen zu 64 Prozent ein Ja in die Urne legen. Bei den Personen mit Regierungsmisstrauen würde ein Nein von 58 Prozent resultieren.
Parteisympathie und Regierungsvertrauen kulminieren in der Glaubwürdigkeit von Bundesrat Alain Berset: Personen, welche ihn glaubwürdig finden, stimmen zu 65 Prozent mit Ja, jene, die ihn unglaubwürdig finden, zu 76 Prozent mit Nein. Insgesamt machen diejenigen, die ihn unglaubwürdig finden, mit 18 Prozent je-doch einen deutlich kleineren Anteil an den Teilnahmewilligen aus als die Gegen-gruppe (67%).
Klar signifikant ist das räumliche Muster hinsichtlich der Siedlungsart: In den grossen Agglomerationen stimmen 58 Prozent der Altersvorsorgereform zu, in kleinen und mittleren Agglomerationen ist die Zustimmung mit 54 Prozent eben-falls mehrheitlich. Auf dem Land ist die Beurteilung der Reform kontrovers: 48 Prozent lehnen sie ab, 46 Prozent stimmen ihr zu. Überraschend gering sind die Unterschiede nach Sprachregionen: Die addierten Nein-Anteile bei der Reform-vorlage variieren nur zwischen 37 und 42 Prozent, die Ja-Anteile zwischen 52 und 55 Prozent. Bleibt das räumliche Muster so ausgeprägt, so wird der langfristige Stadt-Land-Konflikt einmal mehr stärker ausgeprägt sein als der Sprachkonflikt.
Weiter ist ein Schichtkonflikt erkennbar: Besonders kritisch zur Vorlage äussern sich Personen ohne Berufsbildungsabschluss (54% Ablehnung). 54 Prozent der Personen mit Berufsbildungsabschluss oder akademischen Berufen wollen die Vorlage annehmen. Weniger deutlich zeigt sich die Schichtabhängigkeit entlang der monatlich erzielten Haushaltseinkommen.
Am schwächsten ausgeprägt ist das soziologische Konfliktmuster: Das ist nicht untypisch, aber anhand der materiellen Folgen und der bisherigen Kampagnen-argumente trotzdem relevant. Die Ablehnung bei Frauen ist gegenüber derjenigen der Männer leicht erhöht, wobei aktuell eine hauchdünne Mehrheit der teil-nehmenden Frauen Ja stimmen würde.
Obwohl es ein Hauptelement der bisherigen Kampagne war, ist aggregiert betrachtet, der Alterskonflikt schwach ausgeprägt. Jüngere sind verstärkt unentschieden. Sowohl 40- bis 64-Jährige als auch Personen im Rentenalter wollen mehrheitlich der Vorlage zustimmen.
Argumente
Das meistgeteilte Argument ist, dass es nach zwanzig Jahren ohne gelungene Reform Zeit für einen Kompromiss wird (71% voll oder eher einverstanden). Weitere Pro-Argumente, wie dass von der Erhöhung der AHV-Rente tiefe und mittlere Ein-kommen profitieren (54%) und die Reform ausgewogen ist (51%), werden von knapp absoluten Mehrheiten gutgeheissen. Ein Pro-Argument verfängt nicht: 62 Prozent glauben nicht, dass mit der Reform die ungerechte Verteilung von Jung zu Alt gestoppt werden kann.
Auch die Contra-Seite verfügt über ein klar und zwei knapp mehrheitlich unter-stützte sowie ein abgelehntes Argument: 59 Prozent stimmen zu, dass die Erhöhung der AHV mit der Giesskanne auch jenen zugutekommt, die nicht darauf angewiesen sind. Nur knapp absolute Mehrheiten erhalten die Argumente, dass die Reform die Renten in Zukunft nicht sichern wird (52%) und das Frauenrentenalter nicht ohne gleichzeitige Lohngleichheit erhöht werden soll (51%). Mehrheitlich abgelehnt wird, dass die Reform Junge zu stark belastet (53% eher oder überhaupt nicht einverstanden).
Mehrheitsfähig und wirksam ist die Rahmung der Debatte unter dem Label "Kompromiss". Das gilt mit Verweis auf die Zeit seit der letzten Reform wie auch für die Ausgewogenheit mit Blick auf die Sicherung der Renten. Zurzeit punktet die Ja-Seite auf dieser Achse deutlich.
Umstritten ist die Debatte um die Generationensolidarität, die in zweiter Linie und vor allem für jüngere Stimmberechtigte wichtig ist. Weder ist eine Mehrheit von der Ja-Argumentation überzeugt, dass damit die Umverteilung von Jung zu Alt gestoppt wird, noch glaubt eine Mehrheit der Nein-Seite, dass die Jungen zu stark belastet werden.
In dritter Linie relevant sind sozialpolitische Fragen. Einerseits überzeugt, dass dank des AHV-Zuschlags tiefe und mittlere profitieren. Auf der Gegenseite profitiert das Nein von der mehrheitlichen Ablehnung der Erhöhung des Rentenalters für Frauen, solange arbeitstätige Frauen nicht den gleichen Lohn für gleiche Arbeit erhalten.
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