Der Emissionen-Rückgang hat auch negative Folgen
Von: Susanne Hufe, idw
In grossen Teilen Europas und Nordamerikas hat der Rückgang von industriellen Emissionen zu einer geringeren Schadstoffbelastung der Atmosphäre, und damit von Böden und Gewässern in naturnahen Gebieten geführt. Dass diese positive Entwicklung auch negative Begleiterscheinungen haben kann, haben Wissenschaftler des UFZ nun im Fachmagazin Global Change Biology veröffentlicht. Demnach sind sinkende Nitratwerte in den Auenböden rund um die Zuflüsse von Talsperren dafür verantwortlich, dass gelöster organischer Kohlenstoff (DOC) und Phosphat vermehrt freigesetzt werden und sich die Wasserqualität verschlechtert.
Rappbodetalsperre im Harz (Foto: UFZ / André Künzelmann)
Durch die Verbrennung von Biomasse und fossilen Energieträgern sowie vor allem durch die Landwirtschaft gelangt nach wie vor zu viel reaktiver Stickstoff in die Umwelt – mit negativen Auswirkungen auf die biologische Vielfalt, das Klima und die menschliche Gesundheit.
Eine differenzierte Betrachtung von Eintragspfaden der verschiedenen Verursacher zeigt jedoch grosse Unterschiede. Während Stickstoff-Einträge über den Boden – vor allem durch die Landwirtschaft verursacht – zum Beispiel die Nitratwerte im Grundwasser vieler Regionen weiter über den Grenzwert von 50 mg pro Liter steigen lassen, nimmt in grossen Teilen Europas und Nordamerikas die atmosphärische Belastung durch emissionsverringernde Massnahmen ab. Das führt dazu, dass über diesen Pfad auch weniger Stickstoff in Böden und Gewässer gelangt.
Langzeitmessungen über die letzten zwanzig Jahre zeigen, dass beispielsweise in Deutschland pro Quadratmeter und Jahr durchschnittlich 35 mg weniger atmosphärischer Stickstoff in den Boden eingetragen wurden. Daraus resultieren laut Untersuchungen der UFZ-Wissenschaftler 0,08 mg pro Liter und Jahr weniger Nitrat, das in Flüsse und Trinkwassertalsperren gelangt.
„Das klingt zwar erst einmal wenig, aber in einigen naturnahen Landschaften, die nicht oder kaum durch Industrie und Landwirtschaft geprägt sind, stellen sich im Laufe der Zeit vorindustrielle Bedingungen ein“, sagt UFZ-Hydrogeologe Dr. Andreas Musolff. „Hier sind wir mit teilweise weniger als 6 mg Nitrat pro Liter Wasser weit entfernt von den problematischen Nitratkonzentrationen, die in landwirtschaftlich oder industriell stark geprägten Regionen gemessen werden“.
Dass diese positive Entwicklung auch negative Begleiterscheinungen haben kann, wurde deutlich, als Wissenschaftler damit begannen, die Ursachen einer in Eiropa und Nordamerika zunehmend zu beobachtenden Braunfärbung des Wassers in Talsperren zu erforschen. Sie ist vor allem für die Trinkwasseraufbereitung problematisch.
Bei der Überprüfung verschiedener Hypothesen stellten sie fest, dass die Braunfärbung des Wassers vor allem mit den sinkenden Nitratkonzentrationen in den Auenböden rund um die Zuflüsse der Talsperren in Verbindung zu bringen ist. Denn die Präsenz von Nitrat in den Auen, in denen ein Grossteil des Abflusses der Gewässer gebildet wird, sorgt dafür, dass Kohlenstoff, Phosphat und verschiedene Metalle an oxidiertes Eisen gebunden bleiben.
Geringere Nitratgehalte ermöglichen die chemische Reduktion der Eisenverbindungen und damit die Mobilisierung bislang adsorbierter Stoffe. Das heisst – bislang stabile Bindungen an Bodenpartikel lösen sich und gelangen mit dem Regenwasser in die Flüsse. Im Falle von Kohlenstoff bedeutet das, dass sich die Konzentration an gelöstem organischen Kohlenstoff (Dissolved Organic Carbon – DOC) erhöht, sichtbar durch die bräunliche Farbe des Wassers.
Bei knapp vierzig Prozent der 110 untersuchten Zuflüsse von Trinkwassertalsperren stellten die Wissenschaftler mit durchschnittlich 0,12 mg mehr DOC pro Liter und Jahr signifikant steigende DOC-Konzentrationen fest. Der stärkste Anstieg war in naturnahen Einzugsgebieten mit viel Wald zu verzeichnen, wo die Nitratkonzentration im Wasser bei weniger als 6 mg pro Liter liegt.
Neben dem DOC steigt in über dreissig Prozent der Zuflüsse auch der Phosphatgehalt signifikant an. Die im Durchschnitt ermittelten 7 µg pro Liter und Jahr mehr begünstigen das Algenwachstum und sind auf lange Sicht ebenso problematisch für die Wasserqualität. Es gibt Hinweise, dass zudem neben DOC und Phosphat adsorbierte Metalle wie Arsen, Vanadium, Zink oder Blei zunehmend mobilisiert werden.
„Man löst ein Problem, indem man die Luft sauberer macht, und kreiert damit an bestimmten Stellen ein anderes Problem“, beschreibt Biologe Dr. Jörg Tittel, der das Projekt am UFZ geleitet hat, den unerwarteten Effekt. „Keiner der gelösten Stoffe ist in dieser geringen Konzentration giftig, zudem werden die Stoffe durch die Wasseraufbereitung weitgehend entfernt. Aber die Aufbereitung des Wassers wird teurer.“
Einen ersten Beleg ihrer Hypothese lieferte die Auswertung der Daten eines 1,7 km2 kleinen Einzugsgebietes im Erzgebirge, rund um die Wilzsch, einem Nebenfluss der Zwickauer Mulde, der in die Talsperre Carlsfeld mündet.
Danach wählten die Wissenschaftler einen wesentlich grösseren Massstab, in deren Fokus 110 Flüsse und ihre Einzugsgebiete standen, die in insgesamt 36 Trinkwassertalsperren münden. Trotz der wesentlich grösseren Vielfalt hinsichtlich der Grösse der Flüsse und ihrer Einzugsgebiete, ihrer Topografie, der Niederschlagsmenge, der Landnutzung und der chemischen Charakteristik bestätigte sich auch hier ihre Vermutung: Der beobachtete Anstieg des DOC hängt eng mit dem abnehmenden Nitratgehalt im Wasser zusammen.
Mittlerweile hat eine Diskussion begonnen, wie die Ergebnisse dieser Meta-Analyse gemeinsam mit den zuständigen Behörden in praktische Massnahmen umgesetzt werden können, die den DOC-Anstieg stoppen.
“Die Studie hilft, zukünftige Forschung auf die relevanten Prozesse zu fokussieren und entsprechende Feldexperimente zu planen, die die Entscheidungsgrundlage im Hinblick auf konkrete Massnahmen weiter verbessern“, so Andreas Musolff.
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