Wohin mit dem Kohlendioxid?
Von: Stefanie Terp, idw
Seit Millionen von Jahren schon wandelt die Natur Kohlendioxid in wertvolle Produkte wie Zucker um. Auch Menschen produzieren seit mehr als hundert Jahren verwertbare Güter aus CO2, wie beispielsweise Harnstoff, der als Dünger genutzt wird. Die heutigen CO2-Emissionen überschreiten ihre Verwertbarkeit allerdings inzwischen um mehr als das 100-fache.
Wissenschaft, Wirtschaft und Politik arbeiten derzeit an neuen Wegen, Lösungen für dieses Problem zu finden und CO2 für die Entwicklung neuer Produkte nutzbar zu machen. Wissenschaftler der TU Berlin veröffentlichten nun einen, leider nur in Englisch verfassten Bericht über den aktuellen Forschungsstand der CO2-Nutzung als Rohstoff, die Akzeptanz der Öffentlichkeit sowie die wirtschaftliche Situation von Industrie und Start-ups.
„Wichtige Produkte wie Kunststoffe, Baustoffe oder sogar Treibstoffe können aus CO2 hergestellt werden. Wir haben bei der Erstellung des Berichts aber nicht nur die Forschung betrachtet, sondern auch die öffentliche Wahrnehmung und Akzeptanz gegenüber CO2-Nutzung sowie die wichtigsten Argumente für und gegen eine Technologie untersucht“, erklärt Arno Zimmermann, Doktorand in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Reinhard Schomäcker, Technische Chemie der TU Berlin. Arno Zimmermann ist, zusammen mit Marvin Kant, Doktorand im TU-Fachgebiet Entrepreneurship und Innovation Management bei Prof. Dr. Jan Kratzer, Herausgeber von „CO2-Utilisation Today“.
„Unser Bericht zeigt, dass die endgültige Auswirkung von CO2-Nutzung auf den Klimawandel noch nicht hinreichend bewertet werden kann“, so Arno Zimmermann, der an der TU Berlin die technische und wirtschaftliche Machbarkeit von CO2-basierten Produkten sowie neuartige Produktentwicklungsprozesse erforscht.
„Deutlich wird jedoch, dass diesem Feld eine wachsende Bedeutung zukommt.“ Neben der Emissionsminderung biete die CO2-Nutzung noch weitere Vorteile, und sie habe das Potenzial viele der heutigen Produkte und Dienstleistungen zu verändern und darüber hinaus auch ganz neuartige Produkte zu ermöglichen. Die Tatsache, dass nicht nur Regierungen, sondern auch private Kapitalbeteiligungsgesellschaften und grosse Industrieakteure in die Forschung und Entwicklung von CO2-basierten Produkten investieren, zeige, dass bereits heute ein grosses Vertrauen in das kommerzielle Potenzial der CO2-Nutzung vorhanden sei.
„Die Publikation stellt einen bedeutenden Beitrag zur aktuellen Debatte über die Rolle von CO2-Verwendung in der Dekarbonisierung der Europäischen Wirtschaft dar“, sagt Dr. Evangelos Tzimas vom Joint Research Centre der Europäischen Kommission (JRC) im Vorwort der Publikation.
Die Vision einer nachhaltigen Kohlendioxidwirtschaft
Der Wunsch CO2 zu nutzen erscheint zunächst paradox, da das Molekül energiearm und reaktionsträge ist. Aber erhebliche Anstrengungen in Forschung und Entwicklung haben in den letzten Jahren neue innovative CO2-Recycling-Technologien und die Vision einer Kohlendioxidwirtschaft entstehen lassen.
Für alle grossen Unternehmen der Chemie- und Kunststoffbranche ist CO2-Recycling in kürzester Zeit zu einem heissen Zukunftsthema geworden. Auch die Nobelpreisträger George Olah und Josef Stiglitz würdigten das Gas als künftigen Kraftstoff und Rohstoff der chemischen Industrie.
In den letzten drei Jahren haben das US-Energieministerium und das deutsche Bundesforschungsministerium (BMBF) jeweils weit über 100 Millionen Euro zur Erforschung der neuen CO2-Nutzungen bereit gestellt. Und die Investitionen zeigen konkrete Früchte.
Ein neuer Zweig der Chemie hat begonnen: Das Recycling, die Kaskadennutzung von CO2 in Form eines Rohstoffes für die chemische Industrie. Nun müssen neue chemische und elektrochemische Reaktionen entdeckt und Technologien weiter entwickelt werden, wie z.B. die effiziente Abscheidung und Reinigung von CO2 aus dem Abgasstrom - vom Klimakiller zum nachhaltigen Rohstoff
.CO2-Polymere – neue Optionen für die Kunststoffindustrie
Wichtigstes neues CO2-Polymer ist Polypropylencarbonat (PPC), das bereits vor vierzig Jahren von Inoue entwickelt wurde, aber erst heute die Bedeutung bekommt, die es verdient. PPC besteht zu 43 Gewichtsprozent aus CO2 und ist biologisch abbaubar, zeigt eine hohe Temperaturstabilität, hohe Elastizität und Transparenz sowie einen Memory-Effekt. Damit steht PPC ein grosses Spektrum an Anwendungen offen: Verpackungsfilme und Schäume, Dispersionen und Weichmacher für spröde Kunststoffe in unzähligen Anwendungen.
Die Nutzung von CO2 ersetzt dabei einen Teil des Erdöls. Die industrielle Fertigung von Schaumstoffen für Matratzen und Isolationsmaterialien für Kühlschränke und Gebäude ist Faktum.
PPC als weichmachende Komponente für Biokunststoffe
Viele bio-basierte Kunststoffe sind von Haus aus so spröde, dass sie in vielen Anwendungen nur mit Additiven eingesetzt werden können. Nun bietet sich eine neue Option an: Mit diversen Kombinationen kann ein stark erweitertes Spektrum an Materialeigenschaften abgedeckt werden. Dabei bleibt das Material biologisch abbaubar und lichtdurchlässig und kann problemlos auf gängigen Maschinen verarbeitet werden. Interne Ökobilanzen zeigen deutliche Vorteile für das neue Material.
Kraftstoffe aus Wind- und Solarenergie und CO2
Um CO2 als Kraftstoff nutzen zu können, muss externe Energie zugeführt werden. Hierzu bieten sich vor allem Überschüsse von Wind- und Solarstrom an, wie sie zum Beispiel in Deutschland regelmässig auftreten. Mit dem weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien bekommt die Frage der Speicherung eine zentrale Bedeutung. Wird der überschüssige Strom zur Produktion von Wasserstoff (H2) aus Wasser genutzt, so kann dieser zusammen mit CO2 in unterschiedliche Kraftstoffe konvertiert werden.
Zunächst entsteht aus der Reaktion von H2 und CO2 Methan (CH4), das ins Gasnetz eingespeist werden kann. Weiterführende chemische Prozesse führen zu Methanol, Benzin, Diesel oder auch Kerosin.
CO2 als Wachstumssubstrat für Algen und Bakterien
Die weltweit wichtigste Verwendung von CO2 findet täglich vor unseren Augen statt: Mit Hilfe der Photosynthese (unter Nutzung des Sonnenlichts) wandeln Pflanzen Kohlendioxid in Zucker um, die sie dann für die Herstellung aller wichtigen Biomoleküle verwenden.
Auch dies lässt sich wirtschaftlich nutzen: In grossen Bioreaktoren werden Algen mit Kohlendioxid, das in Kraftwerken entsteht, begast und produzieren auf dieser Basis Biomasse. Aber auch einige Bakterien können CO2 nutzen. Diese sogenannten acetogenen Bakterien besitzen einen Stoffwechsel, der es ihnen ermöglicht, CO2 gemeinsam mit einem Gemisch aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff (Synthesegas) als Wachstumssubstrat zu nutzen und auf dieser Basis verschiedene Produkte wie Aceton, Butanol und Ethanol zu produzieren. In einem gemeinsamen Projekt der RWE und des Biotech-Unternehmens Brain konnten in Kraftwerksschloten etliche Bakterienstämme isoliert werden, die zu einer solchen Nutzung in der Lage sind.
Über molekularbiologische Veränderung der Bakterien können jedoch auch andere Produkte als Zielprodukte erreicht werden, darunter etwa die, für die Herstellung des als Plexiglas bekannten Polymers PMMA notwendige, Acrylsäure sowie das Biopolymer PHB.
Über die Methoden der Synthetischen Biologie liessen sich in Zukunft gar massgeschneiderte Bakterien für eine optimierte CO2-Nutzung herstellen. Vor allem Evonik arbeitet an der Herstellung von verschiedenen Chemikalien, während das neuseeländische Unternehmen LanzaTech an der Entwicklung von Flugzeugtreibstoffen und Spezialchemikalien auf der Basis von Butanol aus der CO2-Fermentation arbeitet.
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