Deutliches Ja für Velo- und Fair-Food-Initiative
Von: mm/f24.ch
Wäre bereits am 2. September 2018 über die Vorlagen der eidgenössischen Volksabstimmungen vom 23. September 2018 entschieden worden, wären der Gegenentwurf zur Velo-Initiative und die Fair-Food-Initiative angenommen worden. Tendenziell gilt dies auch für die Initiative Ernährungssouveränität, allerdings dort nur sehr knapp. Die Kampagnen haben Schwung gewonnen, was sich an den Trends zeigt: bei beiden Initiativen verliefen diese eindeutig Richtung Nein, beim Bundesbeschluss Richtung Ja. Die Beteiligung hätte bei leicht gestiegenen 43 Prozent gelegen. Der Stand der Meinungsbildung hat sich gegenüber der ersten Umfrage bei allen drei Vorlagen verfestigt. Das sind die Hauptergebnisse der zweiten Befragungen zur Volksabstimmung vom 23. September 2018. Realisiert wird die Serie vom Forschungsinstitut gfs.bern für die Medien der SRG SSR.
Bundesbeschluss über die Velowege sowie die Fuss- und Wanderwege
Eine klare Mehrheit der Teilnahmewilligen geht von einer Annahme der Vorlage am Abstimmungstag aus. Ihre mittlere Schätzung liegt bei einem Ja-Anteil von 54 Prozent.
Stand der Meinungsbildung
56 Prozent verfügen nun über feste Stimmabsichten; unter ihnen dominiert die bestimmte Zustimmung (43%) gegenüber der bestimmten Ablehnung (13%). 38 Prozent haben noch keine gefestigte Stimmabsicht; auch hier führt die Ja-Seite (26% zu 12%). 6 Prozent der Teilnahmewilligen wissen noch nicht, wie sie ab-stimmen wollen. Der Stand der Meinungsbildung ist damit für den Zeitpunkt fort-geschritten.
Konfliktmuster
Einzig die SVP ist kritisch gegenüber der Vorlage. Das zeigt sich im Konfliktmus-ter, denn sie SVP-Anhängerschaft ist knapp mehrheitlich gegen den Gegenentwurf zur Velo-Initiative. Etwas strahlt die SVP-Opposition auch auf das wenig veloaffine Lager in der FDP aus. Noch deutlicher als zu Beginn der Meinungsbildung wollen Parteiunabhängige für die Vorlage stimmen.
Eine klare Unterstützung von Parlament und Bundesrat ist somit zu erwarten. Selbst Personen, die ansonsten der Regierung misstrauen, wollen zunehmend und zwischenzeitlich mehrheitlich eine nationale Kompetenz im Bereich der Velowege zulassen. Die Bedeutung des Velofahrens im Alltag überstrahlt damit die Wirkung des Regierungsmisstrauens. Es zeichnet sich aufgrund der Alltagsnähe eine hohe Unterstützung einer nationalen Förderung des Velofahrens ab. 72 Pro-zent der Teilnahmewilligen fahren Velo.
Regional betrachtet führt das Ja-Lager in der französisch- und der deutschsprachigen Schweiz sehr deutlich. In beiden Landesteilen kann das Ja auf hohem Niveau zulegen. In der italienischsprachigen Schweiz ist die Opposition etwas stärker vorhanden. Mehrheitlich wäre die Zustimmung in allen drei Landesteilen.
Neben der politischen Prägung der Stimmabsichten sind sozioökonomische Effekte beschränkt relevant. Es zeichnen sich erhöhte Ja-Anteile in höheren sozialen Schichten ab. Die Unterschiede nach Geschlechtern sind nicht signifikant, wohl aber diejenige nach Alter. Jüngere wollen noch deutlicher für die Vorlage stimmen als Ältere.
Argumente
Zwei überprüfte Ja-Argumente bleiben sehr stark unterstützt und dominieren die Meinungsbildung: Die Reduktion der grossen regionalen Unterschiede, die eine Bundeskompetenz nahelegt sowie die Entlastung anderer Verkehrsträger. Auf der Nein-Seite bleibt ein Argument mehrheitsfähig und beschränkt wirksam: Dass Kantone und Gemeinden besser auf die örtlichen Bedürfnisse eingehen können. Das Argument mit den Kosten neuer Velowege, die hohe Bundeskosten verursachen, hat deutlich an Zustimmung eingebüsst und ist nicht mehr mehrheitsfähig. Es prägt die Meinungsbildung nur noch am Rande mit.
Insgesamt sind 63 Prozent eher den Ja- als den Nein-Botschaften zugeneigt, wo-mit auch die inhaltliche Bewertung klar für ein Ja spricht. Die Übereinstimmung zwischen Inhalt und Stimmabsichten auf individueller Ebene ist hoch: 56 Prozent der Stimmabsichten lassen sich argumentativ erklären. Trotz geringer Intensität des bisherigen Abstimmungskampfes sind die Stimmabsichten inhaltlich gut abgestützt.
Trend in der Meinungsbildung
Velofahren ist Teil des Alltags. In der vorgeschlagenen Form als Gegenentwurf zur Velo-Initiative ist die Förderung von Angeboten für Velofahrende auf Bundesebene gut akzeptiert. Die Opposition der SVP-Parteispitze trifft selbst in der eigenen Wählerschaft auf recht breite Skepsis. Die Kritik vermag auch nicht ins parteiungebundene Lager auszustrahlen.
Argumentativ dominiert bisher klar die Vorteilssicht, wobei eine koordinierende Rolle des Bundes gewünscht wird. Die heute verfügbaren Resultate sprechen für das Szenario, dass sich der Anfang September gemessene Ja-Anteil von über zwei Dritteln mindestens halten kann.
Fair-Food-Initiative
Aktuell würden 53 Prozent der teilnahmewilligen Bürgerinnen und Bürger bestimmt oder eher für die Fair-Food-Initiative stimmen. 45 Prozent wären bestimmt oder eher dagegen. Der Nein-Trend ist überdurchschnittlich stark ausgeprägt, Vorsprung der Ja-Seite hat sich innert Monatsfrist deutlich verringert.
Bemerkenswert ist, dass selbst der Anteil dezidierter Zustimmung, der sich bei Initiativen in der Regel als Sockel der Zustimmung halten kann, rückläufig ist. Das breite Auffahren der gegnerischen Kampagne hat seine Wirkung entfaltet. Erwartet wird seitens der Teilnahmewilligen eine knappe Ablehnung (mittlere Schätzung 49 Prozent Ja). Damit ist die Stimmungslage gegenüber der ersten Umfrage gekippt.
Stand der Meinungsbildung
Die Meinungsbildung zur Initiative ist statisch betrachtet positiv, im Trend aber eindeutig negativ. Sie ist für den Zeitpunkt mittel bis weit fortgeschritten, wenn auch nicht abgeschlossen. 58 Prozent der geäusserten Stimmabsichten sind de-idiert.
Konfliktmuster
Das Konfliktmuster zur Fair-Food-Initiative erweist sich in der zweiten Welle akzentuierter als noch vor einem Monat. Wollten Anfang August noch alle Unter-gruppen mehrheitlich für die Vorlage stimmen, ist die Unterstützung nun in gewissen Gruppen weggebrochen.
Der parteipolitische Polarisierungsgrad hat zugenommen. Anfängliche Sympathien für das Vorhaben in der politischen Mitte und rechts davon sind mit zunehmender Auseinandersetzung mit der Vorlage weggebrochen. Die Mehrheitsverhältnisse von Teilnehmenden mit Affinität zur CVP, FDP oder SVP sind gekippt; diese Wählergruppen hätten die Fair-Food-Initiative vergangenen Woche bereits abgelehnt. In abgeschwächter Form gilt das auch für Parteiungebundene.
Argumente
In der dynamischen Betrachtungsweise zeigt sich, dass die Argumente der Befürworter ungleich stärker unter Druck geraten sind. Am deutlichsten gilt dies für das Argument der artgerechten Tierhaltung auch jenseits der Schweizer Grenze (70% eher/voll einverstanden, -10%-Punkte). Gesunkenen 62 Prozent pflichten bei, dass Konsumenten mit gutem Gewissen essen wollen, und zwar unabhängig davon, woher Lebensmittel stammen (-5 %-Punkte). Ebenfalls rückläufige 62 Prozent sind einverstanden, dass die Initiativen die Lebensmittelverschwendung bremsen könnte (-4 %-Punkte).
Die Unterstützung der Contra-Argumente erweist sich als stabiler. Stärkstes Gegenargument bleibt, dass die strengeren Vorgaben für importierte Lebensmittel zu Konflikten mit Handelspartnern führen können (68% eher/voll einverstanden, -4%-Punkte).
Das neu formulierte Argument, dass neue Auflagen Lebensmittel nur unnötig verteuern würden, überzeugt eine Mehrheit von 59 Prozent der Teilnahmewilligen. Gleich Viele pflichten bei, dass die Kontrollen solcher Auflagen zu aufwändig seien und zu unnötiger Bürokratie führen.
Die Übereinstimmung zwischen Inhalt und Stimmabsichten auf individueller Ebene ist deutlich angestiegen: 56 Prozent der Stimmabsichten lassen sich argumentativ erklären. Die Inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Vorhaben hat somit eine neue Qualität erreicht und geäusserte Stimmentscheide sind mehr als nur ein Bauchgefühl.
Der Auftakt des Abstimmungskampfes war das Fenster der Initianten. Sie konnten mit der Problemdefinition und ihren Argumenten in dieser frühen Phase noch punkten, gerieten aber im weiteren Verlauf durch die Verbreitung der gegnerischen Positionen zunehmenden unter Druck. Besondere Schlagkraft hat erwartungsgemäss das Kostenargument entwickelt. Eine Ausnahme hiervon bildet die französischsprachige Schweiz: die Ja-Argumentation trägt die Stimmabsichten dort nach wie vor stärker, als die Nein-Argumentation.
Trend in der Meinungsbildung
Der Dispositionsansatz postuliert für Initiativen folgendes Regelfallszenario: Mit dem Abstimmungskampf steigt die Ablehnungsbereitschaft einer Volksinitiative. Gleichzeitig sinkt die Zustimmungstendenz. Dieser Normalfall tritt nur dann nicht ein, wenn es zu einer eigentlichen Protestabstimmung kommt weil der Problem-druck hoch ist.
Die Stimmungslage ist im Kippen begriffen. Es bleibt aber in der zweiten Umfrage noch bei mehrheitlicher Zustimmung zur Vorlage. Der Normalfall der Meinungsbildung ist zweifelsohne eingetreten. Setzt sich der Nein-Trend bis zur Ab-stimmung in gleichem Masse fort, wird die Fair-Food-Initiative scheitern. Flacht der Trend jedoch ab oder stagniert gar, könnte die Vorlage nach wie vor reüssieren. Das wäre allerdings eindeutig ein Ausnahmefall und von daher das weniger wahrscheinliche Szenario.
Initiative Ernährungssouveränität
Auch bei der zweiten Nahrungsmittel-Vorlage sind die Stimmabsichten innert Monatsfrist stark in Bewegung geraten und es hat ein deutlicher Nein-Trend ein-gesetzt, wobei selbst die dezidierte Befürwortung erodiert. Dieser vermochte allerdings nicht ganz, die Mehrheitsverhältnisse zu kippen: 49 Prozent der Teilnahmewilligen hätten bestimmt oder eher für die Initiative zur Ernährungssouveränität gestimmt, 46 Prozent bestimmt oder eher dagegen. Das entspricht einer Patt-Situation.
Der mittlere Ja-Anteil in der Abstimmung wird von Teilnahmewilligen auf 49 Pro-zent geschätzt, was einer Ablehnung der Initiative Ernährungssouveränität entspräche. Damit hat sich auch die öffentliche Wahrnehmung gewendet, denn noch vor einem Monat gingen sie von einer Annahme aus.
Stand der Meinungsbildung
51 Prozent der Teilnahmewilligen äussern eine bestimmte Entscheidungsabsicht in die eine oder andere Richtung. Die Meinungsbildung ist damit für den Zeit-punkt mittel bis fortgeschritten.
Bemerkenswert ist der ähnliche Stand der Stimmabsichten und der Meinungs-bildung zu beiden Initiativen vom 23. September 2018. Da beide demselben Themenbereich entstammen, ist dies nicht weiter erstaunlich. Die Stimmabsichten zu den beiden Vorlagen sind eindeutig korreliert (Pearson: 0.698). 42 Prozent (- 25%-Punkte) der Teilnehmenden hätten Anfang September beide Vorlagen an-genommen, 37 Prozent hätten sie beide verworfen (+24%-Punkte). Differenzierte Stimmabsichten zu den beiden Vorlagen äussern nach wie vor nur sehr wenige Teilnahmewillige.
Konfliktmuster
Auch das Konfliktmuster erweist sich bei den beiden Initiativen als ähnlich. So findet sich auch bei der Ernährungssouveränität ein Nein-Trend in sämtlichen Untergruppen und es sind exakt dieseleben Untergruppen bereits mehrheitlich im Nein, wie bei der Fair-Food-Initiative.
Die Parteibindung erweist sich auch hier als zentrale Erklärungsgrösse der Stimmabsichten. Zwei Unterschiede zur Fair-Food-Initiative lassen sich bei den Parteiwählerschaften allerdings finden: Parteiungebundenen sind bei der Ernährungssouveränität noch mehrheitlich im Ja. SVP-nahe Teilnahmewillige sind der Fair-Food-Vorlage gegenüber kritischer gesinnt als der Initiative zur Ernährungs-souveränität.
Argumente
In Bezug auf die Argumente für und gegen die Initiative Ernährungssouveränität zeigt sich in der dynamischen Bertachtungsweise das für Initiativen absolut typische Bild: Die Pro-Argumente haben gegenüber der ersten Umfrage an Zustimmung eingebüsst, die Contra-Argumente haben an Sukkurs gewonnen.
Es bleibt aber dabei, dass auch die Initianten argumentative Stärken haben. Unbestritten ist, dass der Boden für nachkommende Generationen geschützt wer-den muss (91% eher/voll einverstanden, -4%-Punkte). Und auch eine Stärkung der einheimischen Produktion erachten hohe 74 Prozent als wichtig (-9%-Punkte). Deutlich an Unterstützung eingebüsst hat aber die Ansicht, dass norm-widrige Importprodukte mit Zöllen belegt werden sollen (62% eher/voll einverstanden, -12%-Punkte).
Die Gegner können punkten, wenn sie die Mündigkeit der Konsumenten ins Feld führen. Hohe 78 Prozent der Teilnahmewilligen finden, dass Schweizer Konsumenten selber entscheiden sollen, was auf ihre Teller gelangt (+5%-Punkte). Stabile 67 Prozent fürchten, dass eine Verteuerung der Schweizer Landwirtschaftsprodukte einfach zu mehr Einkauftourismus führe. Und auch das Protektionismus-Argument vermag mittlerweile eine knappe Mehrheit der Stimmberechtigten zu überzeugen (52% eher/voll einverstanden, +6%-Punkte).
Insgesamt erweisen sich 55 Prozent der individuellen Stimmabsichten kongruent mit den Meinungen, die zu den Argumenten als Ganzes geäussert werden. Da-bei dominieren zwei Achsen die Diskussion: die Achse Schutz der einheimischen Landwirtschaft versus Protektionismus und die Achse Wertsteigerung als Weg Foodwaste zu bekämpfen versus unnötige Verteuerung.
Trend in der Meinungsbildung
Der Dispositionsansatz postuliert für Initiativen folgendes Regelfallszenario: Mit dem Abstimmungskampf steigt die Ablehnungsbereitschaft einer Volksinitiative. Gleichzeitig sinkt die Zustimmungstendenz. Dieser Normalfall ist eingetreten. Setzt sich der festgehaltene Trend weiter fort, wird die Initiative Ernährungssouveränität am 23. September scheitern.
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