Auf dem Weg zur „neuen“ Sekunde
Von:Erika Schow
Die nächste Generation von Atomuhren „tickt“ mit der Frequenz eines Lasers. Das ist rund 100‘000-mal schneller als die Mikrowellenfrequenzen der Cäsiumuhren, die zurzeit die Sekunde erzeugen. Diese optischen Uhren sind noch in der Erprobungsphase, doch bereits jetzt sind einige davon hundertmal genauer. Deshalb sollen sie in Zukunft die Basis für die weltweite Sekunden-Definition im Internationalen Einheitensystem (SI) werden. Zuvor müssen diese optischen Uhren allerdings ihre Zuverlässigkeit durch wiederholte Tests und weltweite Vergleiche unter Beweis stellen.
INFO: Sekunde
Eine Sekunde ist natürlich der 60. Teil einer Minute, und die ist der 60. Teil einer Stunde, und die ist der 24. Teil eines Tages, der Dauer einer Drehung der Erde um ihre Achse.
Aber den Physikern reicht das nicht. Für sie ist der Tag kein gutes Mass für die Zeiteinheit, weil sich die Erde gar nicht so gleichmässig dreht, wie man meint. Die Dauer des "mittleren Sonnentages" wird über die Jahrhunderte betrachtet immer länger; dem sind zusätzlich periodische (jahreszeitliche) und nicht-periodische Schwankungen überlagert.
Deshalb hat man 1967 der Sekunde - als einer der Basiseinheiten im internationalen Einheitensystem SI - eine atomphysikalische Definition gegeben:
Die Sekunde ist das 9‘192‘631‘770-fache der Periodendauer der dem Übergang zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustandes von Atomen des Nuklids Cs-133 entsprechenden Strahlung.
Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) gehört dabei zu den weltweit führenden Einrichtungen und hat bisher eine beeindruckende Reihe von verschiedenen optischen Uhren realisiert – darunter optische Einzel-Ionenuhren und optische Gitteruhren. Nun wurde die hohe Genauigkeit auch in einem neuartigen Uhrentyp unter Beweis gestellt, der das Potenzial hat, Zeit und Frequenz 1‘000-mal genauer zu messen als die Cäsiumuhren, respektive Atomuhren, die aktuell die SI-Sekunde realisieren.
Hierfür wurde diese neue Ionen-Kristall-Uhr mit anderen optischen Uhren verglichen und ein neuer Genauigkeitsrekord erzielt. Über die Ergebnisse der Messkampagne berichten die Forschenden in der Ausgabe von Physical Review Letters.
In einer optischen Atomuhr werden Atome mit Laserlicht bestrahlt. Hat der Laser genau die richtige Frequenz, dann ändern die Atome ihren quantenmechanischen Zustand. Dabei müssen alle äusseren Einflüsse auf die Atome abgeschirmt oder genau gemessen werden.
Bei optischen Uhren mit gefangenen Ionen gelingt das sehr gut. Die Ionen können mittels elektrischer Felder auf wenige Nanometer lokalisiert im Vakuum gefangen werden. Dank hervorragender Kontrolle und Isolation kommt man hier dem Ideal eines ungestörten Quantensystems sehr nahe. Ionenuhren haben daher bereits systematische Unsicherheiten jenseits der 18. Nachkommastelle erreicht. Eine solche Uhr würde, wenn sie seit dem Urknall vor 13,8 Milliarden Jahren ticken würde, heute höchstens eine Sekunde nachgehen.
Bisherige Ionenuhren werden mit einem einzelnen Uhren-Ion betrieben. Dessen geringes Signal muss über lange Zeiträume, bis zu zwei Wochen, gemessen werden, um eine Frequenz auf diesem Niveau zu bestimmen. Um das volle Potenzial auszuschöpfen, würde es sogar Messzeiten von mehr als 3 Jahren erfordern.
Bei der neu entwickelten Uhr wird diese Messdauer durch Parallelisierung drastisch verkürzt: Hier werden in einer Falle mehrere Ionen gleichzeitig gefangen, oft auch verschiedene Ionen kombiniert. Durch ihre Wechselwirkung bilden sie eine neue, kristalline Struktur. „Dieses Konzept ermöglicht es zudem, die Stärken verschiedener Ionen zu kombinieren“, erklärt PTB-Physiker Jonas Keller: „Wir verwenden Indium-Ionen wegen ihrer günstigen Eigenschaften zum Erreichen hoher Genauigkeiten. Für eine effiziente Kühlung sind dem Kristall zusätzlich Ytterbium-Ionen beigemischt.“
Eine Herausforderung war die Entwicklung einer Ionenfalle, die einen solchen, räumlich ausgedehnten Kristall genauso genau wie einzelne Ionen als Uhr einsetzen kann. Eine weitere Herausforderung bestand darin, experimentelle Methoden zu entwickeln, um die Kühl-Ionen innerhalb des Kristalls zu positionieren. Das Team um Forschungsgruppenleiterin Tanja Mehlstäubler konnte diese Fragen mit neuen Ideen beeindruckend lösen: die Uhr erreicht aktuell eine Genauigkeit nahe der 18. Nachkommastelle.
Für die nötigen Vergleiche mit anderen Uhrensystemen wurden zwei weitere optische und eine Mikrowellenuhr der PTB einbezogen: eine Ytterbium-Einzelionenuhr, eine Strontium-Gitteruhr und eine Cäsium-Fontänenuhr. Hierbei erreichte das Verhältnis der Indium- zur Ytterbium-Uhr erstmals eine Gesamtunsicherheit unterhalb der Grenze, die in der Roadmap zur Neudefinition der Sekunde für derartige Messungen verlangt wird.
Das Konzept verspricht eine neue Generation von Ionenuhren mit hoher Stabilität und Genauigkeit. Es ist auch auf andere Ionenarten anwendbar und eröffnet zudem die Möglichkeit ganz neuer Uhrenkonzepte, etwa den Einsatz von Quanten-Vielteilchenzuständen oder die kaskadierte Abfrage mehrerer Ensembles.
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