Kick-off für neue Rheinfelder Geschichtsschreibung
Von: Hans Berger
„Man muss seine Wurzeln kennen, um wurzeln zu können“ meinte Stadtammann Franco Mazzi am vergangenen Montag anlässlich des Kick-off zur neuen Geschichtsschreibung von Rheinfelden, für welche der Souverän bereit war, eine halbe Million Franken zu investieren.
In der historischen Kulisse vom Rathaussaal Rheinfelden, vorne das Autorenteam der neuen Rheinfelder Geschichtsschreibung, hinten die begleitenden Kommissionsmitglieder
„Wer die Vergangenheit nicht kennt, ist dazu verurteilt, sie zu wiederholen“, "wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart und Zukunft nicht beurteilen“ oder „wer die Vergangenheit beherrscht, beherrscht die Zukunft“, sind einige der Leitsätze, so sie dann richtig sind, woran aber kaum ein Zweifel besteht, die darauf hinweisen, wie wichtig die Geschichtsschreibung ist. Denn tatsächlich ist die Geschichte ein wesentlicher Teil vom kollektiven Bewusstsein der Bevölkerung, sowohl auf regionaler, kantonaler und nationaler Ebene.
So identifizieren sich die Schweizer mehrheitlich mit ihrem imaginären Wilhelm Tell, den zwölf Eidgenossen vom Rütli oder mit dem Nationalhelden der Sempacherschlacht (9. Juli 1386), Arnold von Winkelried. Der Aargau verehrt komischerweise die einst in Wien herrschende Habsburgerdynastie, wo doch Napoleon der eigentliche Gründer des Kantons war. Die Fricktaler und insbesondere Rheinfelden erinnert sich gerne an Kaiserin Maria Theresia, währendem die Nachbargemeinde Kaiseraugst stolz auf ihre römische Vergangenheit ist.
Kann Geschichte neu geschrieben werden?
Um die Antwort vorwegzunehmen, ja sie kann. Schmerzlich erinnern sich noch heute nicht nur einige Veteranen an den Bergier-Bericht, der die bis dato kommunizierte heroische Schweizergeschichte im Zweiten Weltkrieg arg auf den Kopf stellte. Die moderne Geschichtswissenschaft war eben lange Zeit durch den nationalhistorischen Blick eingeschränkt, in der die These; „Grosse Männer, aber auch Frauen machen Geschichte“ die absolute Maxime war. Heute ist die Geschichtsschreibung eher realitätsbezogen, doch nach wie vor wird sie von Menschen in Auftrag gegeben und von Menschen geschrieben, welche durchaus nach bestem Wissen und Gewissen die Prioritäten für die Forschung setzten.
So verdienstvoll, zumindest ehrenwert es auch immer sein mag, mit Hilfe von Geschichtspolitik die Verständigung der Völker, der Sicherung des Friedens oder einem anderen hehren Ziel zu dienen, so wenig ist daran zu ändern, dass die mit der Geschichtspolitik verfolgte gute Absicht und die historische Wahrheit nicht unter einen Hut zu bringen sind. Ob es einem gefällt oder nicht, die mit Geschichtspolitik verfolgte gute Absicht steht der historischen Wahrheit von vornherein im Wege.
Wer sich anmasst, aus dem Widerstreit der Historiker bestimmte Geschichtsbilder auszuwählen und als verbindlich zu erklären, steht insofern mit der historischen Wahrheit von vornherein auf Kriegsfuss, als er dies immer nur dadurch tun kann, dass er das historische Geschehen nicht in seiner ganzen Fülle wahrnimmt und die Forschungsergebnisse der Historiker danach auswählt, ob sie seinem politischen Anliegen dienlich sind. In diesem Lichte wird verstehbar, dass die Protagonisten der Geschichtspolitik im Dienst der guten Sache zuweilen auch auf die Ergebnisse von Historikern und die Aussagen von Zeitzeugen zurückgreifen, die die Wahrheit ganz offenkundig in ihr Gegenteil verkehren.
Grosses Geschichtspotential
Rheinfelden ist die älteste Stadt im Kanton Aargau. Bereits vor über 10’000 Jahren haben Rentierjäger Rheinfelden als Rastplatz benutzt. Auch die Römer haben dort ihre Spuren hinterlassen. Im Jahr 930 hörte man erstmals von den Grafen von Rheinfelden. Einer von ihnen, Rudolf von Rheinfelden war sogar einmal deutscher (Gegen-) König. Durch das Erbe kamen die Zähringer in den Besitz von Rheinfelden. 1130 bekam Rheinfelden das Stadtrecht.
Dass in der zehntausendjährigen Geschichte von Rheinfelden noch viele Fragen unbeantwortet sind war der Ansprache von Stadtammann Franco Mazzi, in der er sich als fundierter Geschichtskenner entpuppte, zu entnehmen. Fragen, die weder in der ersten Rheinfelder Geschichtsschreibung von 1909 (Sebastian Burkhart), noch in jener von 1959 (Karl Schib) abschliessend geklärt sind.
Für Mazzi wäre es, nicht zuletzt auch zur touristisch-historischen Aufwertung der Stadt, interessant zu wissen, welche geschichtliche Rolle der zu jener Zeit nicht unwichtigen Prinzessin Agnes von Rheinfelden (1065 bis 1111), spätere Herzogin von Zähringen und Stifterin zur Gründung des Klosters St. Peter auf dem Schwarzwald zugeschrieben wird. Ihr werden Verbindungen vom Burgund bis ins Byzantinische Reich nachgesagt.
Viel Potenzial liegt aber auch in der auf Rheinfelden bezogenen Erforschung des Wirkens ihres Vaters Rudolf von Rheinfelden. Aufgrund seiner familien- wie besitzmässigen Beziehungen in den burgundisch-alemannischen Raum war jener Rheinfelder Rudolf für die Übernahme des Herzogtums Schwaben bestens ausgewiesen, das ihm die Kaiserin Agnes im Herbst 1057 zusammen mit der Verwaltung Burgunds übertrug. Durch die gleichzeitig erfolgte Verlobung mit der Kaiser-Tochter Mathilde sollte er noch enger an das salische Haus gebunden werden. Auch nach deren frühem Tod blieb die Königsnähe durch die Verbindung mit Adelheid von Turin, der Schwester von Heinrichs IV. Gemahlin Bertha, gewahrt.
Historiker-Team
Es gibt noch manches, was Stadtammann Mazzi gerne wissen möchte, so, weshalb Rheinfelden seinen einstigen Rang an Basel abtreten musste oder ob Rheinfelden nicht doch die erste Besitzerin einer Rheinbrücke zwischen Bodensee und Strasbourg war. Fragen, welchen ein fünfköpfiges Historiker-Team unter der Leitung von Walter Hochreiter zum Teil nachgehen wird. Die fünf Autoren der künftigen Rheinfelder Geschichte bewarben sich aufgrund einer öffentlichen Ausschreibung und wurden hernach von der vor einem Jahr ins Leben gerufenen, sieben Mitglieder umfassenden Begleitkommission aus insgesamt zehn Bewerbern einstimmig selektioniert. Ausschlaggebend für die Teambildung waren die unterschiedlich ausgewiesenen Kompetenzen der Autoren.
Das neue „Geschichtsbuch“von Rheinfelden soll sowohl chronologisch wie thematisch konzipiert sein. Ein Anliegen der Autoren ist die Einbezugnahme der Bevölkerung, dies besonders in der Sparte „Spotlights“, in der in Kurzform kuriose, witzige Begebenheiten aus dem Alltag erzählt werden. Das 320-seitige Buch soll mit einer Auflage von 2000 Exemplaren im September auf dem Markt sein. Inwiefern sich die Geschichte von Rheinfelden und deren Bedeutung in der Weltgeschichte gewandelt hat und ob die österreichische Kaiserin ihre dominante Stellung in der Zähringerstadt behalten kann wird sich spätestens dann beim Lesen der neuen Geschichtsschreibung von Rheinfelden weisen.
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