Die Fledermaus der Fricktaler Bühne im Höhenflug
Die Sterne über dem Nachthimmel von Rheinfelden standen gut am vergangenen Samstag, als die imaginäre Fledermaus von Johann Strauss beim ersten Ton der Ouverture zur Operette aller Operetten in die höchste Stratosphäre entschwebte und dort in luftiger Höhe verweilte, bis die letzte Note verklang. Die Fricktaler Bühne bot mit der Fledermaus dem Premierenpublikum im Bahnhofsaal in einer adäquaten Inszenierung und vortrefflicher Besetzung beste Unterhaltung.
Opulent, heiter
Atemberaubende, farbenprächtige Kostüme und aufwändige Bühnenbilder. Die Besucher der Fledermaus wussten bei der Premiere gar nicht, wo sie zuerst hinsehen sollten. Die hochkarätige Besetzung, ein präziser Chor, ein fantastisches Orchester garantieren für die Ohren einen wahren Genuss ... ein fulminantes Fest der Sinne.
Mit Jubel und Trubel durch eine feucht-fröhliche Nacht, Irrungen und Wirrungen im Hause Eisenstein, ein rauschendes Fest voller Walzerseligkeit beim Prinzen Orlofsky, Maskeraden und Verwechslungen in hohem komödiantischem Tempo. „Die Fledermaus“ gilt für viele als die hinreissendste aller Wiener Operetten. Durch die Musik von Johann Strauss erhält sie etwas Schwebendes, Leichtes, Irreales, in dem sich die Wirklichkeit aufzulösen scheint – am sinnfälligsten in dem Duett von Rosalinde und Alfred, dessen Text "Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist" eine Quintessenz einer sehr oberflächlichen, dekadenten Lebensphilosophie ist.
Unsterblich
Niemand in dieser seltsamen Gesellschaft ist, was er zu sein vorgibt. Jeder spielt eine Rolle, und alle sind Figuren in einer Komödie, ohne etwas davon zu ahnen. Alles ist Lüge oder im besten Falle Halbwahrheit – und selbst beim Prinzen Orlofsky, zu dessen Erheiterung dieses ganze Intrigengeflecht ins Werk gesetzt wird, weiss man nichts so genau. Wenn am Morgen nach dem Ball der Mantel der verkaterten Nächstenliebe über die halben und ganzen Verfehlungen der letzten Nacht gedeckt und dem Champagner die Schuld an allen Turbulenzen zugeschoben wird, weiss der Zuschauer einiges mehr über das Leben in der gutbürgerlichen Familie und – wenn er gut aufgepasst hat – vielleicht auch, warum das Werk seinen Titel führt, obwohl das genannte Tier gar nicht auftritt. Auf jeden Fall aber hat er ein Stück erlebt, das nicht totzukriegen – eben unsterblich – ist. Das Meisterwerk des Walzerkönigs, die Operette der Operetten, voller Witz und Alberei und mit hinreissenden Melodien, die kaum jemand mehr vergisst, wer sie einmal gehört hat.
Hochkarätig
Andres Pfister als Frank wie auch Reimund Wiederkehr als Eisenstein sind in Hochform und flirten was das Zeug hält. Ein weiterer Pluspunkt der Inszenierung sind die weiblichen Hauptprotagonistinnen Jeane Pascale als Rosalinde und Christa Fleischmann in der Rolle der Adele. Hervorragend präsentiert sich Åsa Margareta Dornbusch als Prinz Orlovsky, der sich wirklich zu Tode langweilt. Die ziemlich undankbare Rolle der Ida wird von Nina Widmer problemlos gemeistert und Hans Michael Sablotny stottert sich gekonnt als Dr. Blind durch die Partie. Michael Gniffke gehört als Alfred zur Luxusbesetzung wie auch Michael Raschle alias Dr. Falke, die eigentliche Fledermaus. Auch Wolfgang Beuschel, der dem Slibowitz frönenden Gefängniswärter Frosch trägt mit seiner Rolle zum amüsanten Abend bei. Nicht zu vergessen dabei ist aber auch das Ballett, welches mit Anmut und Grazie tanzt.
Renato Botti und Iwan Wassilevski sind zwei umsichtige Kapellmeister, welche alternierend mit viel Schwung das 25-köpfige Orchester leiten und gekonnt einige musikalische Überraschungen in die Partitur einbauten. Welche sei an dieser Stelle nicht verraten. In der grossen Fotoreportage kann aber an einigen Bildern erahnt werden, was sich die beiden Dirigenten so ausgedacht haben. Ein letztes Wort noch zur Regie; Paul Suter hat es ausgezeichnet verstanden, den von Strauss damals beabsichtigten gesellschaftskritischen Aspekt der Operette in die Gegenwart zu transferieren.
Parallelen
Für das moralische Niveau der Stadt Wien war das Jahr 1873 von entscheidender Bedeutung. Das entscheidende Ereignis war der katastrophale Börsenkrach, der mit einem Schlag wohlhabende Männer Wiens zu Bettlern machte. Viele von ihnen waren bankrott, einige wenige konnten sich finanziell erholen, mussten aber aus finanziellen Gründen ihre Freundin aufgeben. Aus launenhaften ehemaligen Mätressen vor dem Jahre 1873 sind so Lohndirnen geworden. Der soziologische Hintergrund der Operette „Die Fledermaus“ ist in dieser unsicheren Zeit zu sehen.
Obgleich nicht namentlich erwähnt, ist mit grösster Sicherheit anzunehmen, dass der Handlungsort die südlich von Wien gelegene Kurstadt Baden ist. Kaiser Franz I. (II.), 1803 – 1834, hat in dieser Stadt seine Sommeraufenthalte verbracht und Baden somit zur Sommerresidenz erhoben. Dadurch wurde Baden zum bevorzugten Sitz des Hofes und der oberen Gesellschaftsschicht Wiens. Am Ende des 19. Jahrhunderts, zu der Zeit, wo das Geschehen der Operette „Die Fledermaus“ anzusiedeln ist, ist Baden wie damals auch Rheinfelden der Nobelkurort der Österreich-ungarischen Monarchie.
Fazit
In der Operette „Die Fledermaus“ ergeben sich Situationen, die der Zuhörer als amüsante Ironie, Verwechslung oder Angabe empfindet. Liebhaber und Opernsänger Alfred wird irrtümlich verhaftet. Oder zwei Männer geben sich als Franzosen aus: Gabriel von Eisenstein nennt sich „Marquis Renard“ und der Gefängnisdirektor Frank stellt sich als "Chevalier Chagrin" vor. Beide beherrschen die französische Sprache nicht, tun aber so als ob. Rosalinde, Ehefrau von Eisenstein, mimt eine ungarische Gräfin, mit der ihr eigener Ehemann flirtet und Adele, Rosalindes Kammermädchen, stellt sich (im Kleid ihrer Dienstgeberin) als Künstlerin vor.
Das turbulente Spiel, in dem kaum einer das ist, was er vorgibt, ist voller Kapriolen und unvergänglicher Musik. Mit der Fledermaus lässt die Fricktaler Bühne ihre Besucher in den zwanzig weiteren Aufführungen eine wahre Sternstunde der Operette erleben. Dass manche Zuschauer bei der schwungvollen Musik mit den Füssen wippten, ist nicht als "faux-pas" zu bewerten, sondern bei dieser Operette ausnahmsweise erlaubt und fast erwünscht. An einer gehörigen Portion Amusement mangelt es in der Rheinfelder Inszenierung der Fledermaus jedenfalls nicht.
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