Karfreitag - Das Kreuz mit dem Kreuz
Von: Hans Berger
Nun ist er also wieder da, der die arbeitsfreien Tage einläutende, Ferienstimmung stimulierende, die Gotthardroute verstopfende Karfreitag. Freude herrscht im ganzen Lande, zumal die Sonne dem Winter endlich einmal, wenn auch noch zaghaft, Paroli bieten will.
Der Tod durch Kreuzigung kam spät, war schmerzhaft und blutig. Kreuzigen war eine in der Antike verbreitete und gängige Hinrichtungsart. Sie wurde im Orient und im Römischen Reich vor allem gegen entlaufene oder rebellische Sklaven verhängt. Bei Markus 15, 27 ist nachzulesen: "Mit Jesus kreuzigten sie zwei Räuber, den einen zu seiner Rechten, den anderen zu seiner Linken“, daher auch die drei Kreuze. Bei Lukas 23, 39 ff wird berichtet: „Einer von den Missetätern, die am Kreuze hingen, lästerte ihn mit den Worten: „Bist du nicht der Messias? So rette dich selbst und uns“. Der andere aber verwies es ihm und sagte: „Fürchtest auch du Gott nicht, und du leidest doch die gleiche Pein. Wir leiden allerdings mit Recht, denn wir empfangen die gerechte Strafe für unsere Taten, dieser aber hat nichts Böses getan!“ Darauf erwiderte ihm Jesus: „Wahrlich, ich sage dir, heute noch wirst du bei mir im Paradiese sein!“
Aber eigentlich besteht kein Grund für eine Heirassa-Stimmung, zumindest für jene 62.2 % der schweizerischen Bevölkerung, die sich zum christlichen Glauben bekennt, denn schliesslich sind sie aufgerufen, an diesem Tag der Hinrichtung ihres Religionsstifters Jesus Christus zu gedenken.
Differenzen
Auch wenn die Bibel die Exekution mit: „Jesus starb für die Vergebung unserer Sünden“ begründet, vermag dies gleichwohl nicht die Freudenstimmung zu erklären. Am Karfreitag wie ebenso an anderen kirchlichen Feiertagen scheint offensichtlich eine grosse Diskrepanz zwischen Statistik und Realität zu bestehen.
Dies ist jedoch nicht die einzige auszumachende Differenz. Dass ausgerechnet am Karfreitag konfessionelle Unterschiede bestehen ist eigentlich kaum zu verstehen. Während bei der römisch-katholischen Glaubensgemeinschaft die Glocken schweigen, läuten sie bei den Reformierten quasi umso lauter, weil der Karfreitag für sie ein besonders hoher Feiertag ist. Ein weiterer Gegensatz ist beim Kreuz auszumachen, bei den Reformierten ist es ohne, bei den Katholiken mit der künstlerischen Darstellung des gekreuzigten Christus.
Das Kreuz mit dem Kreuz
Die ersten Christen verwendeten das körperlose Kreuz als Symbol. Man zögerte, den Körper bildlich darzustellen, um das Heilige nicht durch die Fixierung in gegenständlicher Kunst zu entwürdigen.
Den Augen der ersten Christen wie den harschen heidnischen Kritikern wurde der Gekreuzigte entzogen. Erst nach der präzisen Abgrenzung zum heidnischen Bilderkult und zum alttestamentlichen Bilderverbot fast 400 Jahre nach dem Tod Jesu taucht erstmals im orthodoxen Raum der Kirche der Gekreuzigte auf und wurde im Jahr 431 n. Chr. durch das Konzil von Ephesos offiziell als christliches Zeichen eingeführt.
Zentral ist die theologische Aussage. Zu sehen ist der wache Erlöser: Der Gekreuzigte hat grosse Augen und weist unmissverständlich auf die Unsterblichkeit des Gottessohnes hin. Das eigentliche Kreuzigungsgeschehen wird stark theologisiert, um es darzustellen. In der Folgezeit kommt es daraufhin zu einer grossen Anzahl verschiedenartiger Darstellungen, die den Gekreuzigten unterschiedlich interpretieren und verschiedene Identifikationsweisen zulassen.
Die Inszenierung des Körpers am Kreuz
Der gekreuzigte Körper wird in Szene gesetzt und mit Bedeutungen aufgeladen. Königliche Gewänder, ornamental gewundene Lendentücher oder der unbekleidete Körper inszenieren den Erlöser am Kreuz.
Wundmale werden herausgehoben, Dornen der Krone bohren sich in das Fleisch, das Blut rinnt am Körper hinunter und womöglich auf den Schädel Adams zu seinen Füssen, um die Tilgung der Schuld zu verdeutlichen. Der Blutstrahl wird von Engeln als Personifikationen der Kirche aufgefangen, die das Heil verwaltet. Schönheit und Hässlichkeit des Körpers tragen dazu bei, die Reinheit oder das Opfer des Gottessohnes drastisch vor Augen zu stellen.
Mitleid auslösen
Ein schmerzverzerrtes Gesicht, äusserlich sichtbare Wunden und Zeichen von Erschöpfung lösen Mitleid aus. Auslöser dieser tiefen Emotionen kann der entsprechend ästhetisierte Körper des Gekreuzigten sein. Zu typischen, Mitleid evozierenden Signalen gehört das Durchhängen oder die äusserste Anspannung des Körpers am Kreuz. Spuren der Folter, Blutrinnsale, Wunden und Schweissperlen unterstützen die Auffassung des Gekreuzigten als Sinnbild für drastisches Leiden und Tod.
Der Betrachter findet eigenes Leiden gespiegelt und überboten. Mit dem Herrn leiden zu wollen, kann sogar zu Phänomenen wie strenger Askese oder Selbstgeisselungen führen.
Bewunderung bewirken
Über den Gesichtsausdruck und die Körperhaltung sowie zusätzliche Hinweise auf quälende Einwirkungen (z.B. Wunden) schliesst der Betrachter aus allgemeinmenschlicher Erfahrung entsprechenden Schmerz und bewundert die zuwiderlaufende heroische Ruhe und Gelassenheit des Gekreuzigten. Ein solcher Gekreuzigter wird zum Vorbild, um Leiden und Qualen zu erdulden, bzw. sich ihnen zu widersetzen.
Die Wirkung des Kreuzes geht gar soweit, dass es zum modischen Accessoire wurde und auch von Menschen getragen wird, die mit dem Christentum wenig am Hut haben.
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