Galerist der Menschlichkeit
Von: Pfr. Andreas Fischer
Vier Jahrzehnte lang, von 1979 bis 2010, hatte Erich Schätti einst für „Kunst in Liebrüti“ Ausstellungen kuratiert und Konzerte organisiert. Nun stellt er eigene Werke aus.
Erich Schätti in seinem Bastelraum (Fotos: zVg)
„Endlich rechte Kundschaft“, sagt Erich Schätti zur Begrüssung, „komm herein, ich zeige dir meine Wandaktien“. Mit letzteren meint er die Bilder, die allüberall in der Wohnung hängen. Sogar die Wände im Badezimmer haben Erich Schätti und seine Frau Barbara nur bis zur Mitte mit Platten verlegen lassen, damit oben noch Platz blieb für ein paar Kunstwerke. Träfe Sprüche und Ausdrücke sind typisch für Erich Schätti.
Einst habe ihn Jürg Randegger, kürzlich verstorbenes Mitglied des Cabaret Rotstift, gefragt, ob er sich nicht auch der Truppe anschliessen wolle. Man wäre sogar bereit gewesen, die Proben von Zürich nach Brugg zu verlegen, um ihm entgegenzukommen. Doch Schätti war damals, wie sein ganzes Leben lang, bis über beide Ohren zugedeckt mit Arbeit und ehrenamtlichen Engagements.
Erich Schätti wurde zwei Tage vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs geboren, er sei also, sagt er, „noch Vorkriegsware“. Er wuchs in Lotzwil in der Nähe von Langenthal im Berner Oberaargau auf, besuchte die Kantonsschule in Olten und liess sich zum Postbeamten ausbilden. Dann wechselte er in die Patentabteilung der Sandoz und später in die Personalabteilung von Hoffmann-La Roche; dort, sagt Schätti, sei er so etwas wie der Sozialarbeiter der Pensionskasse gewesen. Bei der Sandoz hatte er seine Frau Barbara kennengelernt. Die beiden heirateten 1973 und lebten zunächst in Basel.
Mit Kunst die Kluft schliessen
1976, als die Wohlfahrtsstiftung der Roche die Wohnsiedlung Liebrüti fertig gebaut hatte, zogen sie nach Kaiseraugst. „Wir wussten nicht einmal, wo dieses Dorf liegt“, erinnert sich Erich Schätti. Hier angekommen, stellte er fest, dass die neue Überbauung den Charakter von Kaiseraugst tiefgreifend verändert hatte. Ursprünglich war da das Dorf unten am Fluss mit ungefähr 1’600 Bewohnern. Nun kamen oben ca. 2200 Neuzuzüger dazu. Dazwischen tat sich eine Kluft auf. Diese zu schliessen war eines der Ziele der Kunstausstellungen und Konzerte, die Erich Schätti im Jahr 1979 in der ökumenischen Kirche Liebrüti ins Leben rief.
Er war dafür nicht ausgebildet und stammte auch nicht aus einem kunstaffinen Elternhaus. „Bei uns zuhause hingen Bilder, die wir aus dem ‚Gelben Heft‘ ausschnitten und rahmten, vom General Guisan und von Eiger, Mönch und Jungfrau, so Sachen.“
Doch Schätti spürte, was in jener Zeit in Kaiseraugst notwendig war. „Kunst muss sozial sein“, sagte er viele Jahre später in einem Interview in den Roche Nachrichten anlässlich der 25. Ausstellung unter dem Label „Kunst in Liebrüti“. Schätti liest ein paar Sätze aus jenem Interview vor. Sie stammen aus dem Jahr 1994, wirken aber hochaktuell: „Ohne Kultur sind wir eine selbstsüchtige, eigensinnige, kriegerische Gesellschaft. Kulturelle Aktivitäten bringen uns dazu, aus dieser unsozialen Isolation, aus dieser alltäglichen Aggression herauszutreten, miteinander zu kommunizieren, Sinnfragen aufzuwerfen, uns mit grundlegenden Fragen des Daseins auseinanderzusetzen: Wozu lebe ich eigentlich? Was ist der Sinn und der Zweck meines Erdendaseins?“
Der Schreibende ist erstaunt, dass solche Themen in den „Roche Nachrichten“ verhandelt werden. Sie gehören sonst eher in die Kirche, vermutet er. Tatsächlich hatte Erich Schätti einen guten Draht zu Jürg Fahrni, dem damaligen reformierten Pfarrer in Kaiseraugst. Dieser fragte jeweils nach, was das Thema der Ausstellung sei und nahm es dann in der Sonntagspredigt auf.
„Es ist“, sagt Schätti, „meine tiefe Überzeugung, dass wir Menschen aufeinander zugehen sollen. Wir sollen uns um einen zivilisierten Umgang miteinander bemühen. Und übrigens auch mit der nichtmenschlichen Kreatur. Ich glaube, dass Menschen, die zur Kunst Sorge tragen, auch zur Natur Sorge tragen.“ Er habe sich, sagt Schätti, immer als eine Art Galerist der Menschlichkeit gesehen.
„Biederkeit mit wilden Tupfen“
Ob er mit seiner „Kunst in Liebrüti“ denn auch Erfolg hatte? „Anfangs nicht wirklich“, erinnert sich Erich Schätti lachend, „bei der ersten Vernissage waren ausser den Künstlern nur meine Frau und ich anwesend. Wir haben den Kühlschrank dann halt selber leergetrunken und sind heiter von dannen gezogen.“
Doch bald nahm das Projekt Fahrt auf, die Roche finanzierte die Werbung, eine Kartei wurde erstellt, Frau und Kinder sowie eine grosse Anzahl Freiwilliger wurden in die Vorbereitung und Durchführung der Ausstellungen eingebunden, bald standen die Künstler, die ausstellen wollten, bei Schätti Schlange. Der Hobbygalerist zeigte grosses Geschick bei der Auswahl der Ausstellenden, der Mix von lokalen und auswärtigen Künstlern war attraktiv, dazu kamen Konzerte mit hochkarätigen Musikern.
Ob er so etwas wie eine künstlerische Linie für seine Galerie hatte? „Avantgarde, unverständliche Konzeptkunst, all das verrückte, abstrakte Zeug überliess ich getrost den grossen Basler Galerien. Mir selber gefallen eher Landschaften, Stillleben und konkrete, gegenständliche Kunst. Weil ich von niemandem bezahlt wurde und die Galerie eine Art Familienunternehmen war, hatte ich bei der Auswahl der Ausstellungsobjekte grosse Freiheit.“ Das Profil von „Kunst in Liebrüti“ hat Schätti einmal auf die schöne Formel gebracht: „Eine gewisse Biederkeit mit wilden Tupfen“.
Irgendwann anfangs der Neunzigerjahre fing Erich Schätti an, selber Kunst zu machen. "Vielleicht ist es auch keine Kunst“, fügt er hinzu. Die Trennlinie zwischen Kunst und Kunsthandwerk zieht er nicht scharf. „In einer Uhr ist doch auch viel Kunst drin“, sinniert er, „wichtig ist, dass das Werk gefällt. Aber klar, was ich mache, ist geklaute Kunst. Ich suche mir Vorlagen im Internet und kopiere sie als eine Art Scherenschnitte mit meiner Laubsäge.“
Dann führt er den Schreibenden hinunter in den Bastelraum, wo Schätti in der Regel täglich mehrere Stunden verbringt, wo zahllose Ordner mit Vorlagen stehen und viele von seiner Holzarbeiten – Trauben, Autos und helfende Hände, Zebras, Katzen, Hunde, Fische, Fliegen, Frösche, Nackedeien, Harlekine und Tambouren, Schmetterlinge, Adler und Eulen, um hier nur eine kleine Auswahl der Motive zu nennen.
Hyperaktiv auch noch im Pensionsalter
Schon einmal hatte Erich Schätti seine Laubsägearbeiten im reformierten Kirchgemeindehaus ausgestellt. Das war vor genau zehn Jahren anlässlich der Verabschiedung von Pfarrerin Esther Borer. „Ich wollte ihr zeigen, dass man auch im Ruhestand etwas Sinnvolles tun kann“, sagt er und grinst breit. Er müsse sich immer beschäftigen, Geniessen und Schaffen, das gehöre für ihn zusammen, sagt er von sich. Und seine Frau Barbara bestätigt: „Jaja, der Bäpu war immer schon hyperaktiv.“
Schättis gesellschaftliches Engagement beschränkte sich nicht auf „Kunst in Liebrüti“. Er ist auch Ehrenmitglied der Musikgesellschaft Kaiseraugst und war viele Jahre lang Präsident des lokalen Natur- und Vogelschutzvereins. Doch auch Erich Schätti – obwohl nach eigener Aussage ein „Bürschtel aus Milch und Bschütti“ – fängt an zu spüren, dass er „Vorkriegsware“ ist. Eine Borreliose, die sich der leidenschaftliche Pilzsucher durch einen Zeckenbiss im Wald zugezogen hat, belastet seine Gesundheit. „Wir müssen anfangen loszulassen. Deshalb möchte ich meine Werke nun verkaufen und den Erlös einem guten Zweck zukommen lassen.“ Er hoffe, sagt er zum Abschied, die Formulierung bei der Begrüssung zitierend, auf „rechte Kundschaft“.
Hinweis Ausstellung:
Ausstellung im reformierten Kirchegemeindehaus Kaiseraugst mit Laubsägearbeiten von Erich Schätti, gemeinsam mit Skulpturen von Toni Hollenstein
Gottesdienst und Vernissage: Sonntag, 10. März, 10 Uhr
Öffnungszeiten in Anwesenheit der Künstler jeweils freitags, 15., 22. März, 5., 12. April, 17-20 Uhr sowie vor und nach den Gottesdiensten: 24., 29. und 30. März.
Gottesdienst und Finissage: Sonntag, 14. April, 10 Uhr
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