Kraftvolle Kunst im Kraftwerk Augst
Von: Hans Berger
Wer die aktuelle Ausstellung „How to blur lines“ (Wie man Linien verwischt) im Kraftwerk Augst besucht, fragt sich, noch im Türrahmen der Maschinenhalle stehend, vermutlich sofort: „Was ist hier nun wirklich Kunst? Ist es die kühle, neoklassizistische Architektur, sind es die zwei, immer noch Strom produzierenden Francis-Turbinen aus dem Jahre 1916, ist es deren eigenartige Interpretation von „Sound of Silence“ oder sind es die mit dem ersten Blick erhaschenden Werke von Alexandra vom Endt, Andreas Schneider, David Siepert, Irene Maag, Günter Müller, Stefan Baltensperger?
Wer dann - ohne eine Antwort auf die Fragen gefunden zu haben – trotzdem durch die lichtdurchflutete Halle schlendert, merkt allmählich, dass die gegenseitige Handreichung der eingangs gemachten Beobachtungen die Kunst der Ausstellung ist. Dass die Künstlerinnen, die Künstler E mit ihren Werken auf das reagieren, was vor rund hundert Jahren von den Technikern, Ingenieuren, Architekten erdacht und von einfachen Leuten im Schweisse ihres Angesichtes umgesetzt wurde.
Wie eh und je
Erschreckend an der Ausstellung ist einmal mehr, feststellen zu müssen, dass sich trotz dem immensen gesellschaftlichen Wandel, trotz dem gewaltigen technischen Fortschritt, trotz der sozialen Errungenschaft im Kern nichts geändert hat. Mensch bleibt eben Mensch. Wie seit eh und je ist er ein Sammler und Jäger, ein Unterdrücker und ein Unterdrückter geblieben.
Gedanken fluten
Die angeborene Eigenschaft des Unterdrückers kann auch bei jenen Besuchern der Ausstellung erwachen, wenn sie die uniformen, weissen Koffer des Künstlers Stefan Baltensperger einfach als weisse Koffer abtun. Jenen aber, welche die eigenen Grenzen überschreiten, die geistigen Schleusen öffnen und die Gedanken fluten lassen, steht die Möglichkeit offen, neue Erkenntnisse zu erlangen.
Diese müssen mit jenen der Künstler nicht übereinstimmen. In einem Schreiben betonen sie ausdrücklich: „In einer Zeit globaler Umwälzungen und sozialer Ungleichheiten werden Menschen auf ganz unterschiedliche Weise zu Grenzgängern. Es ist ein Anliegen dieses Ausstellungsprojekts, auf solche Fragestellungen aufmerksam zu machen und einen Anstoss zum Nachdenken und zum Austausch über das hochaktuelle Themengebiet der Grenzlinien zu bieten.“
Ideale Bedingungen zum sinnieren schaffen die von Alexandra vom Endt gestalteten, das Licht brechenden, der kalten Halle ein kathedralisches Ambiente vermittelnden Fenster.
Wer sucht, der findet
Die Models von David Siepert sind für eine ordinäre Maschinenhalle schlichtweg einfach zu schön, zu adrett, zu erotisch. Und doch ist ihr Dasein nicht zufällig. Wer nach dem Grund sucht, findet eine Antwort.
Diese lässt im Untergeschoss beim Video von Andreas Schneider nicht lange auf sich warten. Die Knacknuss für die Betrachter ist allerdings die Frage, ob die aufkommenden Gefühle ein Spiegelbild des eigenen Ichs sind oder die Tragik fremder Menschen?
In der heutigen Zeit, wo der Mensch aufgrund der digitalen Evaluierung immer gläserner wird, fordert der Künstler die Betrachter seiner beiden weissen Fahnen mit den durchkreuzten Augen nochmals heraus.
Zerstörerischer Engel
Auch wenn eine Mauer immer eine Mauer bleibt und die freie Bewegung eingrenzt, war die von Irene Maag mit in Plastiksäcken verpackten Putzlappen gebaute Mauer durch ihre Buntheit dennoch akzeptabel. Am Sonntag aber weckte sie Erinnerungen an den 11. September 2001, als sie wie ein Engel durch den Raum schwebte (siehe Fotoreportage) und den Flug mit der Zerstörung der gefälligen Mauer beendet. Hoffnung weckte die Künstlerin allerdings, als sie zusammen mit den Besuchern die Putzlappen zu Fahnen zusammenknotete und damit die Halle gestaltete.
Ein Akt, den der Bauerdichter Ernst Niefenthaler (* 31. Dez 1894 in Bürchau; † 17. Aug. 1970) in seinem Gedicht „I streu dr Soome“ trefflich wie folgt beschreibt:
Vor mir lit wie ne offe Buech
Dr Schöpfig Seege un ihr Fluech;
I sieh wie jede Soome stirbt
Und mit em Tod neu Lebe wirbt,
i sieh, wie's Gueti Guetis bringt
un ewig mit em Schlechte ringt,
i sieh wie's Uchrut si vermehrt
un d‘Frucht verstickt, wenn niemes wehrt.
Es scheint, als ob der mit der Johann-Peter-Hebel-Gedenkplakette ausgezeichnete Bauerdichter Ernst Niefenthaler seinerzeit schon am selben Strick zog wie heute die fünf KünstlerInnen der bis 18. Mai andauernden Ausstellung „How to blur lines“ im Kraftwerk Augst.
Öffnungszeiten
Sa 13.00 - 17.00
So 13.00 - 17.00
Do 17.00 - 20.00
und 1. Mai 13.00 - 17.00
Eintritt gratis
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