Michael von Dolivo-Dobrowolsky und Rheinfelden
Von: Kurt Beretta, Wolfgang Bocks
Die Technische Universität (TU) Darmstadt feierte am 13.Januar 2012 in einem Festkolloquium den 150. Geburtstag von Michael von Dolivo-Dobrowolsky. 1862 geboren, gilt er als Vater der heutigen Drehstromtechnik. Auch in Rheinfelden hinterliess er wichtige Spuren.
(v.l.) Dr. Wolfgang Bocks, Prof. Dr. Gerhard Neidhöfer, Dr. Kurt Beretta
Etwa 120 Personen nahmen am Festkolloquium teil, das im Anschluss an eine Kranzniederlegung am Grab des Vaters des heutigen Stroms – des 50-Hz-Drehstroms - in der TU Darmstadt abgehalten wurde.
Nachdem Michael von Dolivo-Dobrowolsky aus politischen Gründen sein Geburtsland Russland verlassen musste, studierte er an der weltweit ersten Fakultät der Universität Darmstadt Elektrotechnik. Später ging er als Entwicklungsingenieur zur damals jungen Firma AEG Berlin.
Prof. Andreas Binder, TU Darmstadt, schreibt im Vorwort der Festschrift: „Dort hat er innerhalb weniger Jahre seine bahnbrechenden Erfindungen gemacht, nämlich 1889 die Käfigläufer-Asynchronmaschine und 1890 den Dreischenkel-Drehstromtransformator. Gemeinsam mit Oskar von Miller und dem schweizerischen Elektropionier und späteren Mitbegründer der BBC Charles Brown realisierte er danach 1891 die erste Hochspannungs-Drehstromübertragung vom Wasserkraftwerk Lauffen am Neckar über mehr als 100 km quer durch den Odenwald nach Frankfurt am Main und entschied so den Streit „Gleichstrom oder Drehstrom“ innerhalb der elektrischen Energietechnik zugunsten der heute etablierten Drehstromtechnik“.
Obwohl Dolivo-Dobrowolsky mit seiner Drehstromtechnik einen weltweiten Standard gesetzt hat, erlangte er bis heute nicht den Bekanntheitsgrad eines Nikola Tesla oder eines Charles Brown. Prof. Gerhard Neidhöfer, ebenfalls Absolvent und Professor der TU Darmstadt, hat in seiner beruflichen Aktivzeit bei BBC/ABB/später ALSTOM in Birr (Kanton Aargau) gewissermassen das Lebenswerk von Dolivo-Dobrowolsky fortgeführt, indem er an der Entwicklung der heutigen Synchrongeneratoren mit Energieerzeugung bis 2 Gigawatt pro Maschine grossen Anteil hat..
Im Hauptvortrag stellte er auf der Basis seiner Biografie das Lebenswerk Dolivo-Dobrowolskys und dessen Lebensweg von St. Petersburg über Odessa, Riga, Darmstadt, Berlin bis nach Lausanne dar. Anschliessend widmete Prof. Binder, TU Darmstadt, dem zweiten Jubilar - Prof. Neidhöfer - einen ebenso eindrücklichen Festvortrag zu seinem 80. Geburtstag.
Nach der erfolgreichen Hochspannungs-Drehstromübertragung von 1891 plante die AEG Berlin in Rheinfelden am Hochrhein das erste Drehstrom-Grosskraftwerk in Europa. Die Wechselstrom-Generatoren wurden nach Plänen der AEG teils von der AEG in Berlin, teils von der Maschinenfabrik Oerlikon (MFO) in der Schweiz gebaut.
AEG-Direktor Emil Rathenau begründete damals ausführlich, warum man sich nicht mehr auf die 40-Hz-Frequenz von Lauffen am Neckar, sondern wegen verschiedener Vorteile auf 50 Hertz festlegte.
Überwacht wurde 1898 die Installation und Inbetriebnahme der 50-Hz-Drehstromgeneratoren im alten Kraftwerk Rheinfelden von keinem geringeren als vom Drehstrompionier Dolivo-Dobrowolsky selbst.
Von der Drehstromfernleitung zum Verbundsystem
So wie mit den Ortsnamen Lauffen am Neckar und Frankfurt die erste Drehstromfernleitung verbunden ist, ist mit den Orten Rheinfelden und Beznau die erste Masche im heutigen europäischen Verbundnetz verknüpft. AEG mit Dolivo-Dobrowolsky hat unter Mitwirkung der MFO die 50-Hertz-Drehstromgeneratortechnik im damaligen Grosskraftwerk Rheinfelden realisiert und damit ein zukunftsweisendes Vorbild gesetzt.
Charles Brown, ursprünglich Verfechter des Ein-und Zweiphasenwechselstromes, hat sich mit dem Bau des Wasserkraftwerkes Beznau ebenfalls auf die Erfolgsschiene des 50-Hz-Drehstromes begeben. Sein Mitarbeiter Ing. Agostino Nizzola, späterer Direktor der Motor AG, hat 1902 die Vernetzung der beiden Kraftwerke Rheinfelden und Beznau in Auftrag gegeben.
1903 wurde die entsprechende Hochspannungsleitung gebaut, 1904 war sie nachweislich schon in Betrieb. In den folgenden Jahren wurde der Kraftwerkverbund Rheinfelden-Beznau sukzessive erweitert.
Die TU Darmstadt hat der Bedeutung des alten Kraftwerks Rheinfelden im Lebenswerk Dolivo-Dobrowolskys damit Ausdruck gegeben, dass sie neben den Festvorträgen auch Neidhöfers Publikation „Technikgeschichtliche Bedeutung des alten Kraftwerkes Rheinfelden“ aus der Broschüre des Aargauer Heimatschutzpreises 2009 zu Ehren des Vereins IG pro Steg in ihre Festschrift aufgenommen hat.
Dolivo-Dobrowolsky hat sich in späteren Jahren auch mit der Gleichstrom-Hochspannungsübertragung beschäftigen wollen, sein früher Tod im Jahre 1919 erlaubte es ihm aber nicht mehr, diese Ideen weiter zu führen Prof. Gerd Baltzer, TU Darmstadt, hat mit seinem Vortrag über die moderne Hochspannungs-Gleichstromübertragung einen weiteren Bogen zur Gegenwart und zur Zukunft geschlagen. Das Fazit seiner Ausführungen ist brandaktuell: Die Akzeptanz eines übergeordneten Höchstspannungs-Gleichstromnetzes durch die Bevölkerung ist die Voraussetzung für das Gelingen des Atomausstieges.
Mit diesem Festkolloquium der TU Darmstadt ist einmal mehr zum Ausdruck gekommen, welche weltweite Bedeutung die Geschichte des alten Kraftwerkes Rheinfelden hat. Zukünftige Trägerin dieser Geschichte ist die Maschinengruppe M10 des alten Kraftwerkes, gewissermassen die „Ur-Turbine“ des damaligen neu entstehenden 50-Hz-Drehstrom-Kraftwerkverbundes.
Der Vorstand der IG pro Steg hat mit Freude die briefliche Mitteilung der Energiedienst AG zur Kenntnis genommen, dass sie „sich bei der Gestaltung des Pavillons M10 dafür einsetzt, die Geschichte des Kraftwerkes nach dem heutigen Fachwissensstand darzustellen“ und dass sie für den technikhistorischen Aspekt Prof. Dr. Neidhöfer hinzuzieht.
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