Martin Willi - „Mein Theaterleben“ - Teil 15
Von: Martin Willi
Die vorliegende mehrteilige Serie „Martin Willi - Mein Theaterleben“ ist eine ausführliche Zusammenfassung, eine Art Biografie, meiner bisherigen Tätigkeit im Bereich des Theaters und der Literatur. Als künstlerischer Leiter des theater WIWA Laufenburg, als Schauspieler, Regisseur, Autor und Kursleiter, durfte ich viel Interessantes und Spannendes erleben, wovon ich Ihnen berichten werde. Darunter viele unvergessliche Highlights, aber auch schwierige Momente, die mich geprägt haben.
Szene aus "Schellen-Ursli" vom Theater WIWA
Abschluss der Ausbildung
Im Mai 2004 endete mein zweijähriger Nachdiplomkurs in angewandter Theaterpädagogik, über den ich hier bereits berichtet habe. Es war eine wirklich gute Zeit für mich und ich durfte viele Menschen kennenlernen, wie zum Beispiel Neps McGovern und Roland Ulrich.
Über diese beiden werde ich an dieser Stelle noch später berichten. Denn mit Neps und Roland durfte ich interessante Theaterprojekte realisieren.
Abschliessend darf ich festhalten, dass ich bei meiner Ausbildung vieles erlernen durfte, das mir bei der täglichen Theaterarbeit von Nutzen ist. Somit darf ich die Ausbildung durchaus als gelungen bezeichnen.
Schellen-Ursli als Zertifikatsarbeit
Wie vor einer Woche berichtet, entschloss ich mich, das Stück „Schellen-Ursli“ als Zertifikatsarbeit aufzuführen. „Schellen-Ursli“ war die zweite WIWA-Produktion und gleichzeitig wurde eine Tradition ins Leben gerufen, die bis heute von Bestand ist. Nämlich die dramaturgische Umsetzung von Kinderbuchklassikern.
Ich finde, dass jeder Mensch in seiner Einzigartigkeit faszinierend ist und ich finde es immer wieder spannend, wie Menschen miteinander umgehen, die völlig verschieden sind. Aus diesem Grund wollte ich in meinem Team viele verschiedene Menschen haben: fünfjährige Kinder, die sich fast nicht getrauen etwas zu sagen; hyperaktive Kinder, die keine Sekunde ruhig sitzen können; Erwachsene mit einer geistigen Behinderung, die manchmal genau das Gegenteil tun, was man erwarten könnte; Laiendarsteller, die schon so oft auf der Bühne standen, dass sie meinen, schon alles zu wissen was man ihnen sagt.
Für mich war es eine grosse Herausforderung und auch Motivation, dies alles unter einen Hut zu bringen, diese Personen zu einem Team zu schweissen.
Betreffend der Aufführungsorte war für mich klar, dass ich den Grossteil der Aufführungen in der Schüüre Laufenburg durchführen würde. Diese Lokalität kannte ich bereits von „Honigmond“.
Allerdings hat mich die Schüüre auf spezielle Herausforderungen gestellt. Da war vor allem die Grösse der Bühne, die lediglich zwölf Quadratmeter beträgt. Man bedenke, dass 29 Spieler(innen) mitwirkten.
So musste ich dies bereits beim Verfassen des Stücks berücksichtigen. Mit Ausnahme des Glockenumzugs am Schluss beschränkte ich mich auf maximal zehn Spieler, die sich gleichzeitig auf der Bühne befanden.
Auch was den Bühnenbau betraf, war ich gefordert, mir früh Gedanken darüber zu machen, waren doch nicht weniger als fünf Bühnenbilder herzustellen, die in 15 Szenen immer wieder gewechselt wurden.
Nebst fünf Aufführungen in Laufenburg, fanden noch je eine in der Turnhalle Ueken, im Kulturhaus RATS Zürich und in der Turnhalle Mettau statt. Alle Aufführungen waren restlos ausverkauft, oft mussten wir Publikum abweisen, da wir keine freien Plätze mehr hatten.
Blinddarmentzündung!
Die Premiere am Samstag, 17. Januar 2004, verlief toll! Uns allen fiel ein grosser Stein vom Herzen, wir hatten es geschafft!
Am Sonntagmorgen früh aber die Ernüchterung. Mein siebeneinhalbjähriger Sohn Lukas, der den „Schellen-Ursli“ spielte, erwachte mit 39 Grad Fieber. Trotz grosser Übelkeit und Fieber spielte er am Sonntag die zweite Aufführung. Während der Woche waren wir zweimal beim Arzt. Alles deutete auf eine schwere Magen- und Darmgrippe hin: Fieber, Erbrechen, Durchfall, Magenkrämpfe. Mit grossen Schmerzen spielte Lukas auch die dritte Aufführung.
Die folgende Nacht verlief nicht gut, Lukas hatte grosse Schmerzen und uns blieb keine andere Wahl, als mit ihm zum Notfallarzt zu gehen. Dieser wies ihn umgehend in die Kinderklinik ein, um nähere Abklärungen zu treffen. Susanne, mit ihr war ich zu jener Zeit noch verheiratet, fuhr mit ihm in die Klinik.
Die nächsten Stunden wie ich sie erlebt hatte:
Ich mache mir derweil Gedanken, was zu tun ist. Die Aufführung absagen? Nein, das darf doch nicht sein! Gibt es eine andere Lösung? Ja, es muss eine andere Lösung geben. Wie wäre es, wenn die Rolle des „Schellen-Ursli“ auf drei Kinder aufgeteilt wird? Einen Teil könnte mein zweiter Sohn Fabian übernehmen. Die anderen Teile übernehmen Lara und Yannick. Um 16.30 Uhr erfahre ich, dass Lukas nun operiert wird, Verdacht auf Blinddarmentzündung!
Bereits um 17 Uhr sind Fabian und ich in Laufenburg und bereiten alles auf die Aufführung vor. Ich bin wie auf Nadeln, wie wird heute alles klappen? Ab 17.45 Uhr treffen die ersten Spieler und Helfer ein. Alle zeigen sich geschockt über die Ausgangslage. Um 18.30 Uhr, eine halbe Stunde vor Beginn, besammle ich das Team zu einem Warm-Up, es herrscht grosse Unruhe und Anspannung. Ich versuche das Team zu beruhigen, was mir auch gelingt, obwohl ich selbst sehr angespannt bin, noch immer habe ich keine Nachricht aus der Klinik erhalten!
Die Aufführung beginnt, ich informiere das Publikum über die spezielle Situation. Wir wissen alle, dass gleichzeitig mit unserer Aufführung Lukas noch immer operiert wird. Eine grosse Belastung für uns alle und natürlich für mich besonders, stand ich doch als Vater von „Ursli“ selbst auf der Bühne. Mit erhöhter Konzentration schaffen wir es, den ersten Akt sehr gut hinter uns zu bringen.
In der Pause dann endlich eine Nachricht aus der Klinik. Die Operation ist vorbei, Lukas hatte einen geplatzten Blinddarm und konnte noch im letzten Moment operiert werden.
Wir sind alle sehr froh, wissen aber auch, dass die Situation sehr kritisch gewesen ist. Der zweite Akt verläuft wie der erste sehr gut. Ein Kompliment gebührt vor allem den drei Kindern, die innert kürzester Zeit eine neue Rolle einstudiert haben.
Nach einer beinahe schlaflosen Nacht mache ich mir Gedanken wie es weitergehen wird. Heute steht bereits wieder eine Aufführung auf dem Programm, in den nächsten zwei Wochen folgen noch drei weitere. Wird Lukas wohl noch einmal spielen können?
Die Zukunft zeigt, dass dies nicht möglich ist. Alle Aufführungen werden nun in dieser Konstellation über die Bühne gebracht. Was mich wundert, aber auch zufrieden stimmt, ist die Tatsache, dass das Team durch den Ausfall von Lukas gestärkt wurde. Das heisst, wir sind uns viel mehr bewusst geworden, wie wir alle aufeinander angewiesen sind. Für mich persönlich ist es eine sehr schwere Zeit. Immer wieder muss ich die Spieler auf die Aufführungen motivieren und einstimmen, obwohl ich in Gedanken immer in der Klinik bin.
Alles in allem muss ich sagen, dass ich dieses Projekt trotz der schweren Krankheit meines Sohnes noch heute in guter Erinnerung habe. Es hat mir persönlich viel gebracht, auch bei den Mitwirkenden hat unsere Zusammenarbeit positive Gefühle ausgelöst, dies durfte ich immer wieder erleben.
Fortsetzung folgt nächsten Samstag…
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