Kaiseraugster Politrunde mit Niveau
Von: Hans Berger
All jene potentiellen ZuhörerInnen und TeilnehmerInnen, welche am vergangenen Freitag den Fussballmatch Schweiz-Wales oder den Auftritt Christoph Blochers in Aarau der Podiumsdiskussion in Kaiseraugst vorzogen, hätten vermutlich im Kaiseraugster Violahof spannendere, informativere und unterhaltendere zwei Stunden erlebt wie am Ort ihrer Präferenz. Die von der SP Bezirk Rheinfelden und Kaiseraugst organisierte Talk-Runde jedenfalls brauchte den Vergleich mit der gleichentags ausgestrahlten Arena nicht zu scheuen.
(v.l.) Martin Hächler, Zeihen, FDP; Alfons Paul Kaufmann, Wallbach, CVP; Moderator Urs Tremp, Redaktor Radio DRS; Max Chopard-Acklin, Nussbaumen, SP; Elisabeth Burgener Brogli, Gipf-Oberfrick, SP; Cédric Wermuth, Baden, SP
Das Gegenteil war eher der Fall. Moderator Urs Tremp, Redaktor Radio DRS, hatte sich sehr gut vorbereitet, stellte durchaus auch provozierende Fragen sowohl ans linke wie rechte Lager, räumte aber den Befragten, der NR-Kandidatin Elisabeth Burgener Brogli, Gipf-Oberfrick, SP; sowie den NR-Kandidaten Max Chopard-Acklin, Nussbaumen, SP; Cédric Wermuth, Baden, SP; Alfons Paul Kaufmann, Wallbach, CVP und Martin Hächler, Zeihen, FDP, genügend Zeit ein, sich einerseits die Antworten zu überlegen und andererseits dafür, ihre Meinung ausführlich darzulegen. Aber auch die Befragten gaben sich diszipliniert und fielen einander nicht ins Wort. Bezüglich einer spannenden und informativen Diskussionsrunde mit hochstehender Gesprächskultur könnte somit die Kaiseraugster „Arena“ durchaus ein Vorbild für die TV-Arena sein.
Einigkeit
Nachdem Peter Koller, Präsident der SP Bezirk Rheinfelden die rund dreissig Anwesenden begrüsst hatte, stellte Moderator Urs Tremp die Talkrunde vor, welche sich in der ersten Frage einig war, dass den Strassenrand zu viele Wahl-Plakate zieren und daher deren Effizienz anzweifelten. Allesamt sind sie zudem froh, dass der Wahlkampf bald sein Ende findet.
Keine Differenzen ergaben sich auf die Fragen: „Wissen Sie, was die Leute beschäftigt?“ oder „Wird in der Schweiz je noch ein AKW gebaut?“ Eine Konkordanz war auch in der Präjudizierung der Alternativenergien festzustellen, ja und selbst der Bau neuer Wasserkraftwerke in den Bergen wurde nicht tel quel abgelehnt. Unbestritten war ebenso, dass die grüne Technologie neue Arbeitsplätze generiert und Energie-Effizienz keinen Luxusverzicht zur Folge hat. Nur durch Nuancen unterscheide sich das Podium in der Beurteilung der Sozialpolitik.
Wachsendes Unbehagen
In der wohl renommiertesten Nachrichtensendung der Schweiz „Echo der Zeit“ sagte zwei Stunden vor der Podiumsdiskussion Altbundesrat und einstiger vehementer Verfechter der Marktliberalisierung Rudolf Friederich: „Ich bin ein absoluter Gegner der Exzesse wie sie heute passieren, das ist das Entstehen einer Art Finanzfeudalismus, der eben auch politische Macht gibt und das finde ich ausserordentlich gefährlich.“ Der offizielle Biograph von Margaret Thatcher und lupenreiner Marktliberale Charles Moore analysierte die Marktliberalisierung der Ära Thatcher-Reagan als ein Teufelspakt zwischen Regierung und Banken, deren Ende jetzt mit furchtbaren Kopfschmerzen komme und fragte sich sogar, ob die Linken damals nicht doch recht hatten, als sie diese Politik bekämpften. Der Neoliberalismus sei wie eine Gehirnwäsche über die Gesellschaft gekommen und habe die bürgerlichen Werte zertrümmert, wurde in selbiger Sendung die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) zitiert, welche wohl auch nicht dem linken Lager zuzuordnen ist.
Ein Sinneswandel, der offensichtlich auch im Fricktal angekommen ist, denn sowohl Alfons Paul Kaufmann, Wallbach, CVP wie auch Martin Hächler, Zeihen, FDP liessen kaum ein gutes Haar am Gebaren der Banken, wobei Kaufmann insbesondere deren Knauserigkeit bei der Vergabe von Hypotheken kritisierte, worunter vor allem auch das Kleingewerbe leide. Die Bankenkrise belegt es, Risikokapital wird vornehmlich zur angeblichen Gewinnmaximierung spekulativ an der Börse und in Staatsanleihen, aber nicht im Mehrwert schaffenden Gewerbe eingesetzt. Es zeigte sich deutlich, die Finanzkrise ist auch eine Vertrauenskrise.
Diskrepanz
Die vom Publikum her gesehen rechts sitzende, politisch aber linke Seite freute sich ab der Kritik am Finanzwesen der links sitzenden rechten Seite. Leider verpasste es Moderator Urs Tremp, an dieser Stelle das Parteiprogramm der SP Schweiz „Für eine sozial-ökologische Wirtschaftsdemokratie“ (Kampf dem Kapitalismus) zu thematisieren. Vermutlich wäre die Einigkeit am Podiumstisch in der Beurteilung der Finanz- und Wirtschaftspolitik schnell dahingeschmolzen.
Eine Diskrepanz zeigte sich dann aber in der Diskussion um das Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU. Zweifel Kaufmanns, ob die EU längerfristig überlebensfähig sei, wurden seitens einiger Zuhörer nicht goutiert und obwohl nicht anwesend, hielten gar die Thesen der SVP Einzug in die EU-Debatte. Präsent ohne präsent zu sein, was will man mehr als Partei im Wahlkampf? Einig war sich das Podium, dass es für die Schweiz eine Katastrophe wäre, wenn die EU zusammenbrechen würde.
EU vor Finanzen
Obwohl die EU von einer Finanz-Epidemie befallen ist und in einem solchen Fall im Gesundheitswesen die Kranken von den Gesunden getrennt werden, dominierte statt der Frage: „Wie kann die Schweiz dem benachbarten Patienten zur Gesundung verhelfen?“ ein EU-Beitritt der Schweiz die abschliessende Diskussion mit dem Publikum. Weder die Sozialpolitik, noch die Anschaffung von Kampfjets waren ein Thema. Nur ganz am Schluss bemängelte ein Votant, dass die Finanz- und Wirtschaftspolitik im Walkampf eine untergeordnete Rolle einnimmt und die SP ihr diesbezügliches Wahlprogramm zu wenig vertrete, was aber die SP-Vetreter Elisabeth Burgener Brogli, Gipf-Oberfrick, Max Chopard-Acklin, Nussbaumen wie auch Cédric Wermuth, Baden, vehement bestritten.
Fazit
Nach rund zwei Stunden beendete der zu Recht mit viel Applaus bedachte Moderator Urs Tremp die auf hohem Niveau sachlich geführte Diskussion. Während SP-Bezirksparteipräsident Peter Koller die Talkrunde positiv resümierte, verteilte Marianne Grauwiler, Vizepräsidentin der SP Kaiseraugst den Podiumsteilnehmern entsprechend ihrer Parteifarbe je einen Marienkäfer und lud abschliessend zum Apéro ein, wo die Diskussion auf bilateraler Ebene ihre Fortsetzung fand.
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