Explosion des Lebens fand zwei Millionen Jahre später statt
Von: Judith Jördens
Senckenberg-Wissenschaftler haben mit einem internationalen Team den Zeitpunkt für die „kambrische Explosion“ anhand von Uran-Blei-Datierung auf 538,8 Millionen Jahre vor heute hochpräzise datiert. Während der "kambrischen Explosion" erschienen in wenigen Millionen Jahren alle bekannten Baupläne der Tierwelt, zeitgleich starben die sogenannten „Ediacara“- Biota, einzigartige besondere Lebensformen, aus. Die Studie erschien kürzlich im Fachjournal „Terra Nova“.
Das kambrische Spurenfossil Streptichnus narbonnei unmittelbar über der Präkambrium-Kambrium-Grenze in Süd-Namibia bezeugt das Einsetzen der kambrischen Explosion. (Foto: Senckenberg/Linnemann)
Die Vorfahren der heutigen Schnecken, Insekten, Würmer, Muscheln, Krebse, Seesterne, Wirbeltiere und letztlich auch des Menschens – die „kambrische Explosion“ war der Startpunkt für das moderne Leben aus der Erde.
„Wir konnten nun ein exaktes Zeitfenster für den Start dieses Ereignisses festlegen“, erklären Prof. Dr. Ulf Linnemann, Direktor der Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen in Dresden sowie Dr. Maria Ovtcharova und Prof. Dr. Urs Schaltegger von der Geochronologie-Gruppe der Universität Genf und fahren fort: „Die von uns durchgeführten Uran-Blei-Datierungen zeigen, dass sich die Vielfalt des Lebens auf unserem Planeten ab einem Startpunkt vor genau 538,8 Millionen Jahren entwickelte.“
Das internationale Forscherteam hat in Süd-Namibia datierbare Minerale aus mehreren vulkanischen Aschenlagen mit der Uran-Blei-Methode datiert. Hierbei wird die radioaktive Zerfallsreihe von Uran im Mineral Zirkon verwendet, um die Entstehung des Gesteins zeitlich festzulegen.
„Wir haben die Proben an der Grenze zwischen Präkambrium und Kambrium genommen – die beiden Erdzeitalter lassen sich gut durch die dort vorhandenen Fossilien unterscheiden“, erklärt Linnemann und fährt fort: „Unsere sehr präzise Datierung zeigt, dass die ‚kambrische Explosion’ etwa zwei Millionen Jahre später stattfand, als wir bisher angenommen haben.“
Die Datenreihen der Wissenschaftler offenbaren zudem, dass die Entwicklung der Tierwelt in einem sehr kurzen Zeitraum vollzogen wurde: Der Übergang von den „Ediacara-Biota“ – vielzellige, aber sehr einfache Organismen – zu den vielgestaltigen kambrischen Lebensformen vollzog sich in weniger als 410‘000 Jahren.
„Das ist aus geologischer Sicht ein echter Sprint“, so das Wissenschaftlerteam. Dieser rasante Faunen-Wechsel sei laut der aktuellen Studie am besten durch eine Art „biologisches Wettrüsten“ zu erklären: Neue grundlegende Eigenschaften beschleunigten die weitere Evolution und trieben zum nächsten „adaptiven Durchbruch“ an.
„Wenn die Organismen beispielsweise beweglicher wurden und sich räuberisch ernährten, mussten sich die bisher noch unbeweglicheren Tiere etwas zum Schutz ‚einfallen lassen’ – so könnten in kurzer Zeit Schalen oder Skelette entstanden sein. Eine Errungenschaft bedingte demnach die nächste – und dies, aus der Notwendigkeit heraus, in verkürzter Zeit“, fasst Linnemann die These zusammen.
INFO
Das Kambrium ist eine erdgeschichtliche Periode. Eine Zeit, in der verschiedenste tierische Baupläne in Form von Fossilien erstmals nachgewiesen sind. Und kambrische Explosion bedeutet, dass die Fossilien, die in dieser Zeit eingebettet wurden, plötzlich da sind und sich nicht langsam von Schicht zu Schicht entwickelt haben und zusehends komplizierter wurden. Plötzlich war in einem engen Zeithorizont eine ganz grosse Vielfalt unterschiedlichster Baupläne vorhanden.
Darwin hat das als Problem erkannt, weil er davon ausging – wie das normalerweise auch heute noch der Fall ist – dass Evolution nur in kleinen Schritten abläuft und kleine Änderungen hervorbringt. Und wenn nun plötzlich sehr viele Formen mit einem Mal auftauchen, dann passt das nicht zu dieser Vorstellung. Er hatte gehofft, dass im Laufe der Zeit durch viele neue Funde dieses Problem gelöst würde und dass man Vorformen finden würde. Im Grossen und Ganzen hat sich das nicht erfüllt.
Man hat zwar viele weitere Fossilien gefunden, auch in älteren Schichten, doch diese besassen nochmals andere Baupläne, die meistens nicht zu denen aus dem Kambrium passen. Im Kambrium hat man mittlerweile so viele neue Formen gefunden, dass diese Explosion eher noch verstärkt wurde. Zum Beispiel von Tiergruppen, die noch nicht bekannt waren. Oder auch innerhalb von bekannten Tierstämmen wurde eine noch grössere Vielfalt festgestellt. Das Problem ist also in der Zeit von Darwin bis heute nicht entschärft worden.
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