Wie sich Oktopusse vom bisher bekannten Muster der Evolution lösten
Von: Alexandra Frey
Ihre Tarnungsfähigkeit, ihr höchst interaktives Verhalten sind einzigartig im Tierreich – Oktopusse und andere Tintenfische sind komplexe Lebewesen. Die Entschlüsselung der Genome von Kopffüssern spielt eine zentrale Rolle, um diese Tiere besser zu verstehen. Ein Team an Wissenschafter*innen der Universität Wien rund um die Molekularbiolog:*innen Oleg Simakov und Hannah Schmidbaur hat zwei multinationale Studien geleitet, um diese Wissenslücke zu schliessen und die Geheimnisse der Kopffüsser-Genome aufzudecken. Beide Studien sind in Nature Communications erschienen.
Kalifornischer Oktopus (Octopus bimaculoides) (Foto: Tom Kleindinst, Marine Biological Laborator
Cephalopoden, einer faszinierenden und andersartigen Tiergruppe. Ihre beweglichen Arme tragen Saugnäpfe und sie haben die Fähigkeit, sich durch Änderung ihrer Farbe an ihre Umgebung anzupassen. Diese Eigenschaften sowie ihr komplexes Nervensystem sind einzigartig im Tierreich.
Seit langer Zeit studieren Wissenschafter:innen die Evolution dieser faszinierenden Tiere. Eine grosse Herausforderung, um zu verstehen, was hinter dieser morphologischen Komplexität steckt, war die Entschlüsselung der Genome der Kopffüsser. Das Genom von Kopffüssern ist auffällig gross, grösser als die Genome ihrer Verwandten, der Mollusken, und ähnlich der Grösse des menschlichen Genoms. Neue genetische Werkzeuge erlauben es, das gesamte Erbgut (Genom) von Kopffüssern unter die Lupe zu nehmen.
In den beiden Studien wurden die Genome des kalifornischen Oktopus (Octopus bimaculoides), des hawaiianischen Zwergtintenfischs (Euprymna scolopes) und des Langflossen Küstentintenfischs, auch Bostoner Markt-Tintenfisch genannt (Doryteuthis pealeii) herangezogen, dabei kamen mehrere neue Werkzeuge zum Einsatz, um die Organisation und Funktion des Genoms zu untersuchen.
Chromosomen von Oktopussen und anderen Tintenfischen unterscheiden sich stark von denen jeder anderen Tiergruppe
In der ersten Veröffentlichung hat das wissenschaftliche Team der Universität Wien als Teil eines internationalen Teams die Zusammensetzung der Chromosomen von Kopffüssern untersucht und herausgefunden, dass sich die Chromosomen von Oktopussen und Tintenfischen stark von denen jeder anderen Tiergruppe unterscheiden.
Tierische Chromosomen sind einander sehr ähnlich, auch wenn die Tiergruppen evolutionär weit voneinander entfernt sind, wie die Wissenschafter:innen in einer früheren Studie zeigen konnten. Kopffüsser hingegen haben einen Weg gefunden, sich von diesem Muster zu lösen und völlig neue Kombinationen zu bilden. Dadurch ist ein ganz besonderer Karyotyp entstanden: Ihre Chromosomen sehen aus wie ein Mosaik aus den Bausteinen, die ansonsten bei anderen Tiergruppen gut erhalten geblieben sind.
„Neue Nachbarn“ im Genom bringen andere Wechselwirkungen mit sich
In der zweiten Veröffentlichung untersuchten die Wissenschafter:innen der Universität Wien ebenfalls in einem internationalen Team den Beitrag dieser Genomumstrukturierung zu den vielen bekannten morphologischen Neuerungen bei Kopffüssern.
Die Studie konzentrierte sich auf genomische Regionen, die aus drei oder mehr Genen bestehen, die in dieser Kombination nur bei Kopffüssern zusammen vorkommen. Die Wissenschafter:innen haben herausgefunden, dass solche neuartigen Kombinationen an Genen, quasi neue Nachbarn, oft andere Wechselwirkungen miteinander haben als andere Teile des Genoms und an vielen der neuartigen Cephalopoden-Geweben, wie dem komplexen Nervensystem, beteiligt sind.
Beiden Studien zusammen zeigen schliesslich eine sehr einzigartige genomische Organisation von Kopffüssern, die viele neue Forschungswege eröffnet. „Durch unsere Forschung ist jetzt deutlich geworden, dass wir, um die Biologie der Kopffüsser zu verstehen, zuerst die genetischen Bausteine dieser Tiere verstehen müssen – und solche Bausteine scheinen sich radikal und oftmals von dem zu unterscheiden, was wir von anderen Tieren kennen“, so Schmidbaur von der Ökologie und Evolution Doktorat Schule der Universität Wien.
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