Lindenthal: schuldig oder unschuldig?
Von: Hans Berger
Aufgrund des heutigen allgemeinen Wissensstandes kann diese Frage momentan alleinig vom zu 20 Jahren Zuchthaus verurteilten Klaus Lindenthal selber beantwortet werden. Die Crux dabei aber ist: beteuert Lindenthal seine Unschuld, so hegen wir alle gewisse Zweifel an der Aussage, würde aber der gleiche Lindenthal seine Schuld eingestehen, so stünde dieses Geständnis ausser Frage.
Das Feuerwehrmagazin, provisorischer Tagungsort des Bezirksgerichts Rheinfelden. (Bildmontage HB)
Um es vorwegzunehmen: Nein, das Bezirksgericht Rheinfelden hat weder ein Fehlurteil gefällt, noch unterliegt sein Entscheid einem Justizirrtum. Ein Gericht aber ist nicht Gott und nicht allwissend, es fällt sein Urteil nach bestem Wissen und Gewissen im Namen des Volkes und soll dieses in seinem Rechtsspruch auch repräsentieren. Aus dieser Sicht ist es mehr wie angenehm, dass das Bezirksgericht Rheinfelden „nur“ mit einem Mehrheitsentscheid Klaus Lindenthal für schuldig befunden hat, seine Frau Nicola Lindenthal am 22. Januar 2006 ermordet zu haben.
Hoffnungen Es ist aber zu hoffen, dass der Verteidiger Dr. Urs Oswald, den „Fall Lindenthal“, wie von ihm angekündigt, ans Obergericht weiterziehen wird, nicht, um weder Staatsanwältin Christina Zumsteg noch das Bezirksgericht Rheinfelden zu diskreditieren, sondern alleinig darum, damit der Fall von einer zweiten Instanz nochmals geprüft wird. Da die Fakten des Mordprozesses Lindenthal so oder so ausgelegt und gewichtet werden können, ist der Weiterzug ans Obergericht nicht nur im Interesse des Verurteilten, sondern auch zum Nutzen der Justiz und deren Verankerung im Volk und schlussendlich auch im Interesse jedes einzelnen Bewohner dieses Landes, damit er Gewissheit hat, im Falle eines Falles in der schweizerischen Justiz gut aufgehoben zu sein. Zu hoffen ist auch, dass das Bestreben des Verteidigers nicht an den Finanzen scheitert.
Denn wie gesagt, es geht nicht um Sieg oder Niederlage der Kontrahenten, sondern um die über jeden Zweifel erhabene Rechtssprechung, auch wenn dies im Fall Lindenthal äusserst schwierig ist, so liegt der Weiterzug dennoch im Interesse des Verurteilten der Justiz und dem Volk. Am Schluss müssten wir aber alle, so schwer uns das auch fallen mag, den Mut zum obersten Grundsatz der Justiz „in dubio pro reo“, „im Zweifel für den Angeklagten“, haben.
Schlussendlich ist aber auch zu hoffen, dass sich die Medien alsdann in ihrer Berichterstattung zurückhalten. Aussagen einzelner Zeugen nicht als Schuldbeweis darstellen und das Richtergremium in Ruhe seine Arbeit machen lässt. Zum Teil nahmen die Schlagzeilen Ausmasse an, wie wir sie von amerikanischen Gerichtsfilmen her kennen.
Das Urteil Während eine Minderheit, (1 bis 2 Laienrichter), der fünf Gesetzeshüter des Bezirksgerichts Rheinfelden für ein „in dubio pro reo“ votierte, folgte die Pluralität (den Ausführungen der Gerichtspräsidentin, als einzige juristische, stimmberechtigte Person war zu entnehmen, dass sie dieser Gruppe angehörte) in der Urteilsbegründung fast vollumfänglich den Anklagepunkten der Staatsanwaltschaft.
Diese beruhen vorwiegend auf dem Charakter von Klaus Lindenthal, der auszugsweise wie folgt umschrieben wird: vom Durchschnitt der Menschen abhebend, ausserordentliche Intelligenz (IQ 124), komplexe Beziehungen in neuartigen Situationen wahrnehmen und erfassen zu können, Durchsetzungswille, Kontaktfähigkeit, gut strukturiert und kontrolliert, weitblickend, dominant, Planungstalent und einige mehr. Alles Attribute, welche nicht nur in der Arbeitswelt sehr gefragt sind, aber zugegebenermassen auch dazu befähigen, einen „perfekten“ Mord zu planen und auszuführen.
Ein weiteres Indiz für den Schuldspruch ist nach Meinung des Gerichts das Fehlen von fremden DNA-Spuren am Tatort und die, bezogen auf das Eheverhältnis, 12 negativen der insgesamt 138 Aussagen in einem Tagebuch. Wesentlich für das Gericht ist auch der Zeitfaktor von vier Stunden, welche Klaus Lindenthal zwischen den beiden nächtlichen Zusammentreffen mit seinem Vater hatte, um den Mord, bei einer Fahrtzeit von zwei Mal 45 Minuten von Schönau nach Rheinfelden, zu begehen. Zumindest in der offiziellen Urteilsbegründung war die nachträgliche Aussage des Vaters, dass er den Sohn noch zwei Mal, also insgesamt vier Mal in der Wohnung wahrgenommen hat, nicht relevant.
Schwerwiegend für die Schuldsprechung erachtet das Bezirksgericht den Fussabdruck auf dem WC-Deckel, den der angebliche Einbrecher hinterlassen hat und der identisch ist mit einem Turnschuhtyp, welcher bewiesenermassen Klaus Lindenthal vor fünf Jahren gekauft hatte. Dieser einzige fassbare Hinweis, den Lindenthal zumindest des Mordes verdächtig macht, erachtet die Minderheit des Gerichtes als nichtig, da er nicht der hohen Intelligenz des Verurteilten und dessen angeblichen Raffinesse entspricht.
Mehr oder weniger trugen die vierzig Zeugenaussagen wenig zur Urteilsfindung bei, da sie richtigerweise vom Gericht eher als emotionale Empfindungen für oder gegen Klaus Lindenthal eingestuft wurden.
Fazit Viele Fragen bleiben nach der Verurteilung im Fall Lindenthal noch offen. Auch die Reaktion von Klaus Lindenthal, der sein Urteil stehend entgegennehmen musste, bald darauf zusammenknickte und die 1½-stündige Urteilsbegründung weinend, den Kopf in den Händen vergrabend auf dem Tisch liegend vernahm. Entsprach dieses Verhalten dem schauspielerischen Talent des Verurteilten oder war es die Verzweiflung darüber, weil er seine Unschuld nicht beweisen konnte? Wir wissen es nicht.
Obwohl es nicht Usus ist, die Tatfähigkeit eines Angeklagten durch ein ausführliches psychologisches Gutachten zu ergründen, wäre es in diesem Fall aber doch von grossem Nutzen, um das zweitinstanzliche Urteil, mag es ausfallen wie es will, zu untermauern. Denn für das justiziable Gewissen gibt es wohl nichts Schlimmeres, wie einen Unschuldigen im Gefängnis oder umgekehrt einen Schuldigen in Freiheit zu wissen.
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