«Bankenombudsman» - Schlichter oder Richter?
Von: mm/f24.ch
Im Hinblick auf das 20-jährige Bestehen der Stiftung Schweizerischer Bankenombudsman in diesem Jahr hat der Stiftungsrat eine Studie in Auftrag gegeben mit dem Ziel, das aktuelle Konzept zu analysieren und mit ausländischen Systemen zu vergleichen, Arbeitsweise und Aufgabenerfüllung des Bankenombudsman seit Gründung zu hinterfragen sowie einen Ausblick mit Handlungsoptionen und Empfehlungen aufzuzeigen.
Hanspeter Häni, Schweizer Bankenombudsman
Diese „Jubiläumsaufgabe“ wurde akzentuiert durch die einschneidende Finanzmarktkrise, welche dem Bankenombudsman 2009 eine rekordhohe Anzahl von Anfragen bescherte und die FINMA veranlasste, die Diskussion für einen besseren Kundenschutz zu lancieren (FINMA Vertriebsbericht 2010). Damit einhergehend sank die Akzeptanzquote der Banken. Wurden in den Jahren 2006 bis 2008 zwischen 86 Pro-zent und 95 Prozent der Empfehlungen des Bankenombudsman von den betroffenen Banken akzeptiert, sank sie im Jahr der Krisenbewältigung 2009 auf 73 Prozent.
Damit stellte sich auch die Frage, ob und welche Veränderungen am bestehenden Bankenombudsmankonzept vorgenommen werden müssten, um den neuen Herausforderungen begegnen zu können, zeigte doch die noch nie da gewesene Zahl ähnlich gelagerter Fälle (Lehman Brothers, Absolute-Return-Produkte), dass die Einzelfallbehandlung an ihre Grenzen stossen kann.
Mit der Durchführung der Studie wurde im Dezember 2010 Dr. Urs Philipp Roth-Cuony, ehemaliger Direktor und Delegierter der Schweizerischen Bankiervereinigung, beauftragt. Sein rund 90-seitiger Bericht geht auf die sich ergebenden wichtigen Fragestellungen ein und enthält 10 konkrete Empfehlungen für die weitere Ausgestaltung der Bankenombudsstelle.
In seiner Arbeit hat Urs Philipp Roth das schweizerische Bankenombudssystem aufgrund der reglementarischen Grundlagen und der praktischen Durchführung der Verfahren untersucht und dieses an den Ausgestaltungen und Entwicklungen in Ombudssystemen der Finanzwirtschaft in der EU und in verschiedenen weiteren Ländern auf globaler Basis gemessen. Die Ergebnisse wurden im Rahmen strukturierter Interviews mit Vertretern von Banken, der FINMA, des Ombudsman der Privatversicherung und der SUVA und von Konsumentenorganisationen sowie verschiedener Ombudsstellen im Ausland besprochen.
Bankenombudsman EU-konform
Das Konzept des Schweizerischen Bankenombudsman entspricht sowohl bezüglich der reglementarischen Grundlagen als auch bezüglich der informellen Ausgestaltung der Verfahrenspraxis den Empfehlungen der EU-Kommission:
- Unabhängigkeit und Neutralität
- Transparenz und Effizienz
- Umfassende Abklärungsbefugnis (Auskunfts‐ und Akteneditionspflicht der Bank)
- Faires, kontradiktorisches Verfahren, rechtliches Gehör
- Beurteilung der Kundenbeschwerden nach Recht und Billigkeit
- Unentgeltlichkeit des Verfahrens und Niederschwelligkeit der Ansprache des Bankenombudsman
- Handlungsfreiheit und Vertretungsrecht.
Die Studie kommt zum Schluss, dass im Vergleich zu ausländischen Ombudsmankonzepten im Finanzdienstleistungsbereich dasjenige des Schweizerischen Bankenombudsman gleichwertig abschneidet.
„Einzelne Konzepte gehen insofern weiter als das schweizerische System, als dem Ombudsman eine Entscheidungskompetenz und nicht eine blosse Empfehlungskompetenz übertragen wird“, stellt Urs Philipp Roth fest. Dies sei jedoch nicht ausschlaggebend für den Ombudsprozess und habe sich bisher nicht als Standard in Ombudssystemen der Finanzdienstleistungswirtschaft durchgesetzt. „Dem Konzept des klassischen Ombudsman ist es sogar weitgehend fremd.“
Liberale Verfahrensordnung
Der Bericht hält umgekehrt fest, dass der Schweizerische Bankenombudsman seine Schlichtungsaufgabe „aufgrund einer liberalen Verfahrensordnung“ sehr aktiv wahrnimmt:
„Er insistiert auf einer lückenlosen Sachverhaltsfeststellung, nimmt eine detaillierte und professionelle Beurteilung der Rechtslage unter Berücksichtigung von Billigkeitsaspekten vor, die er den Parteien mitteilt, und leistet erhebliche Überzeugungsarbeit bei den Parteien, um seinen Empfehlungen zum Durchbruch zu verhelfen und eine gütliche Einigung in der Streitsache zu erzielen.“
Diesbezüglich hebt er sich vorteilhaft von einzelnen ausländischen Ombudssystemen ab, die keine ent-sprechend aktive Vermittlungsrolle des Ombudsman vorsehen, stellt der Bericht fest.
„Sowohl die Institution des Schweizerischen Bankenombudsman als auch Verfahrensordnung und Verfahrenspraxis werden von den befragten Banken und von der FINMA weitgehend positiv beurteilt.“
Lediglich bezüglich Unabhängigkeit und Kompetenzen des Bankenombudsman hat eine der befragten Konsumentenorganisationen einen Vorbehalt angebracht.
Problematik Serienfälle
Differenzierte Meinungen bestünden insbesondere in der Frage, inwiefern es dem Bankenombudsman zustehe, über den Einzelfall hinausreichende allgemeine Feststellungen rechtlicher Art zu treffen.
„Diesbezüglich haben sich Kontroversen namentlich bei Serienfällen ergeben; sie widerspiegeln das Dilemma zwischen Einzelfallgerechtigkeit und Effizienz des Ombudsverfahrens. Die klassische Einzelfallbeurteilung stösst hier an ihre Grenzen; die Bildung von Kategorien nach definierten Kriterien für die Behandlung vergleichbarer Fallkonstellationen drängt sich auf.“
Roth schlägt dem Stiftungsrat vor, die Frage zu untersuchen, ob dem Ombudsman oder allenfalls einer unabhängigen dritten Stelle die Kompetenz erteilt werden soll, die Kriterien und Kategorien für Serienfälle zu bestimmen.
Im Einzelnen ergibt sich aus der Evaluation eine Reihe von Empfehlungen, die allesamt innerhalb des bestehenden Konzeptes umgesetzt werden können. Bei den Empfehlungen 1 bis 4 geht es insbesondere um die Stärkung der Unabhängigkeit des Bankenombudsman und um eine Erhöhung der Transparenz. Die Empfehlungen 5, 6 und 9 zielen auf eine Verbesserung der Governance.
Die nachstehend aufgelisteten Empfehlungen werden in der Studie näher begründet. Urs Philipp Roth: „Auch ein gutes Ombudskonzept bietet Raum für Verbesserungen und Optimierungen.“
Entscheidkompetenz
Eine Konsumentenorganisation könnte sich vorstellen, den Bankenombudsman mit einer Entscheidkompetenz in der materiellen Streitsache auszustatten. Demgegenüber lehnen Bankenvertreter und die FINMA diese ab und könnten sich allenfalls ein „vom Ombudssystem personell und funktional getrenntes Branchenschiedsgericht“ vorstellen, das dann über eine Entscheidkompetenz verfügen würde.
Hier nun stellt Urs Philipp Roth die Frage, was mit dem Ombudssystem eigentlich bezweckt wird:
„Soll der Ombudsman Schlichter sein oder eine autoritative und für den Kunden kostengünstige Streitentscheidung ermöglichen? Ist ein solches hybrides Verfahren der Streiterledigung, das Elemente der Schlichtung mit solchen einer richterlichen Streiterledigung vereint, notwendig oder genügen dafür die in der schweizerischen Rechtsordnung gebräuchlichen Instrumente der autor-tativen Streiterledigung: Gerichte und Schiedsgerichte?“
Nach Ansicht von Urs Philipp Roth drängt sich ein Branchenschiedsgericht angesichts der potenziell geringen Fallzahlen nicht auf. Zwischen 86 Prozent und 95 Prozent der Empfehlungen des Bankenombudsman wurden in den Jahren 2006 bis 2008 von den Parteien akzeptiert. Im Jahr der Krisenbewältigung 2009 sank die Akzeptanz auf 73 Prozent; 2010 ist sie wieder auf 80 Prozent angestiegen.
Für die nicht durch Schlichtung erledigten Fälle genügen die ordentlichen Gerichte und das in der Schweiz gut ausgebaute Schiedsgerichtssystem.
Einheitliche Ombudsstelle für alle Finanzdienstleister:
„Eine einheitliche Ombudsstelle für alle Finanzdienstleister entspricht zwar einer gewissen Logik in einem einheitlichen Finanzmarktregulierungssystem wie der Schweiz“, wird im Bericht festgehalten. Allerdings sei zu bezweifeln, ob eine solche einheitliche Ombudsstelle den Kunden einen echten Nutzen brächte; sie wird deshalb nicht als zwingend angesehen.
„Auch auf internationaler Ebene ist das Bild gemischt; einheitliche Ombudsstellen sind klar in der Minderheit. Immerhin verfügen noch nicht alle Finanzmarktbranchen in der Schweiz über eine Ombudsstelle. Sollten sich die Banken dazu entscheiden oder von der FINMA dazu verpflichtet werden, wäre aber zu prüfen, ob vergleichbare Finanzdienstleistungssektoren in die bestehenden Ombudssysteme der Versicherungen und der Banken aufgenommen werden könnten.“
Mediationsrolle des Ombudsman:
Der Verfasser der Studie ging auch der Frage nach, ob der Bankenombudsman zusätzlich und in dafür geeigneten Fällen als Mediator wirken könnte. Die liberale Verfahrensordnung des Schweizerischen Bankenombudsman würde ein derartiges Rollenverständnis ohne Weiteres zulassen.
„In den Gesprächen mit den verschiedenen Anspruchsgruppen wurden die Rolle und der Wert der Mediation durchwegs anerkannt. Gleichzeitig wurde aber zu Recht darauf hingewiesen, dass da-für im Markt ausreichend professionelle Anbieter zur Verfügung stehen. Ein zusätzliches Eindringen des Bankenombudsman in die Mediation sei deshalb nicht angezeigt. Dieser Auffassung hat der Verfasser nichts beizufügen.“
Aufgrund seiner umfassenden Untersuchung gibt Urs Philipp Roth folgende Empfehlungen zuhanden des Stiftungsrates ab:
- Empfehlung 1: Ergänzung der Stiftungsurkunde in dem Sinn, dass der Stiftungsrat mehrheitlich aus von den Banken unabhängigen Persönlichkeiten zusammengesetzt sein muss.
- Empfehlung 2: Einführung des Mehrheitsentscheids für Budgetbeschlüsse
- Empfehlung 3: Festlegung einer fünfjährigen Amtsdauer für den Bankenombudsman auch im Arbeits- vertrag.
- Empfehlung 4: Erlass und Publikation eines Reglements, welches mögliche Interessenkonflikte von Mitarbeitern der Bankenombudsstelle und Stiftungsräten regelt.
- Empfehlung 5: Veröffentlichung des Reglements für den Ombudsman und des Annexes zum Reglement, ergänzt durch die Verfahrensbestimmungen im Pflichtenheft; Integration der nicht zu veröffentlichenden internen Kompetenz- und Organisationsbestimmungen in einem gesonderten Reglement.
- Empfehlung 6: Präzisierung der Unzuständigkeitsregel betreffend „behördliche Verfahren“
- Empfehlung 7: Abklärung der Möglichkeiten einer Mitgliedschaft in FIN‐NET und gegebenenfalls Beitritt zu diesem europäischen Netzwerk.
- Empfehlung 8: Regelung und Publikation des Verfahrens zur Behandlung von Serienfällen, besonders: Regeln zur (allenfalls autoritativen) Bildung von Kriterien und Fallkategorien durch den Ombudsman, zur Kommunikation mit den Anspruchsgruppen sowie zur internen Organisation der Ombudsstelle.
- Empfehlung 9: Verpflichtung der Banken, die Kundschaft auf geeignete Weise auf die Bankenombudsstelle aufmerksam zu machen.
- Empfehlung 10: Beibehaltung der getrennten Ombudssysteme des Versicherungs‐ und des Bankenbereichs.
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