Vielseitiges Verständnis von Gastfreundschaft
Von: Caba
Ein kürzlich eher etwas negatives Erlebnis in der Eigenschaft als Gast veranlasste mich, über den Begriff Gastfreundschaft nachzudenken.
Wikipedia definiert den Begriff so: Die Gastfreundschaft ist die freundliche Gesinnung, die einem Besucher von seinem Gastfreund bei seiner Beherbergung, Bewirtung und Unterhaltung entgegengebracht wird. Das Grundprinzip der Gastfreundschaft seit alters her ist wohl das der Gegenseitigkeit: Man erhofft sich selbst, unter ähnlichen Bedingungen, gastfreundliche Aufnahme.
Gastfreundschaft: Bloss zielgerichtetes Handeln?
Diese Auslegung aber zeigt nur einen Aspekt eines vielbedeutenden Begriffes. Gastfreundschaft wird in manchen Religionen den Gläubigen als (heilige) Pflicht auferlegt; sie gehört nicht nur zum guten Benehmen.
Zuweilen ist sie auch geknüpft an Versprechen, die Götter gemacht haben, damit die Gastfreundschaft eingehalten wird. Bei den Indern beispielsweise soll sie irdisches Glück und höchste Glückseligkeit versprechen. Umso länger man Gastfreundschaft übt, umso herrlicher die Versprechungen. Im jüdischen Talmud steht: Gastfreundschaft wiegt gleich viel wie ein Gottesdienst. Gastfreundschaft wird demnach an etwas gemessen, führt also zu einem zielgerichteten Handeln.
Auf der einen Seite heilige Pflicht, auf der anderen Seite Versprechungen, damit die Gastfreundschaft ausgeübt wird. Welche Geheimnisse verbergen sich in Weisungen, die der Gastfreundschaft etwas abverlangen? Warum muss der Mensch sich Gastfreundschaft verdienen oder als moralische Pflicht auferlegen? Wussten die Götter oder der Gott monotheistischer Religionen vielleicht, wie schwierig es sein wird, Gastfreundschaft zu üben? Wohl kommt es deshalb auch nicht von ungefähr, dass wir im Umgang mit dem Begriff das Verb «üben» gebrauchen.
Lässt sich das Fremde in uns und das Eigene verbinden?
Worauf basiert nun die Gastfreundschaft? Aus reinem Pflichtgefühl heraus? Auf der Hoffnung des Versprechens? Im grösseren, politischen Sinne aus Angst, man könnte als ein ungastliches, fremdenfeindliches Land gelten?
Gastfreundschaft kennt viele Dimensionen, und jeder Einzelne hat seine eigene Vorstellung davon. Dies lässt sich ableiten an der Existenz unzähliger Zitate. Friedrich Nietsche beispielsweise bringt sie amüsant so auf den Punkt: Gastfreundschaft ist die Kunst, Besuchern das Gefühl zu vermitteln, als seien sie zu Hause, während man wünscht, sie wären es. Darüber kann man schmunzeln. Die adversative Satzverbindung der Gegensatz-Beziehung: «während man wünscht, sie wären es» lässt aber auch Analogien zu. Drückt der Satz nicht aus, was gegenwärtig offen oder latent in Europa die Ausländer- und Migrationspolitik bestimmt?
Der Umgang mit der Gastfreundschaft spiegelt die Einstellung eines Individuums, ja einer ganzen Gesellschaft zum Fremden. Die Gastfreundschaft ist ein Mittel, welches uns die Möglichkeit bietet, das Fremde in uns als das Eigene im Fremden zu reflektieren und zu verbinden.
Warum scheitert wahre Gastfreundschaft so oft? Gewiss nicht nur, weil sie mitunter überstrapaziert oder ausgenutzt wird. Vielleicht deshalb, weil man sich an Stereotypen orientiert? Und damit Gräben schafft, statt Brücken schlägt? Vielleicht auch, wenn das Machtverhältnis vom Gastgeber zum Gast oder umgekehrt unausgeglichen ist? Sie scheitert möglicherweise auch dann, wenn ich nur Gastfreundschaft übe, um meinen Reichtum und mein Glück zu präsentieren oder mich durch die Rolle des Gastgebers profilieren will. Oder dann, wenn Gastfreundschaft gesellschaftlich selektiv geübt wird: Die einen nehmen wir gastfreundlich auf, die anderen nicht. Im Kleineren auch dann, wenn ich als Gast den Kaffee selbst kochen muss, den ich gewünscht habe oder am Ende einer gemeinsamen Mahlzeit, zu der ich wesentlich beigesteuert habe, den Abwasch erledigen muss! Spass beiseite! (das Beispiel ist übrigens das negative Erlebnis, welches zu dieser Kolumne führte).
Vielleicht gelingt wahre Gastfreundschaft besser, wenn man sie jenseits von Politik und Religion betrachtet? Und wenn alle anderen, hindernden Faktoren subtrahiert werden, träte statt der zielgerichteten Gastfreundschaft vielleicht eine intuitiv handelnde entgegen?
Gastfreundschaft bedeutet doch nichts anderes als bloss Menschlichkeit.
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