Auge um Auge oder Gnade um Gnade?
Von: Caba
Kürzlich habe ich von der Iranerin, die im Jahre 2004 von einem hoffnungslosen Verehrer Schwefelsäure ins Gesicht geschüttet bekam, gelesen. Die Frau ist für ihr Leben lang entstellt, ihr Augenlicht hat sie verloren, ihr Leben ist zerstört. Der Täter wurde zu zwölf Jahren Haft und einer hohen Geldbusse verurteilt. Ameneh Bahrami, das Opfer dieser Tat, will eine andere Vergeltung: Sie will den Täter blenden, ihn blind machen.
Ein arabisches Sprichwort besagt: «Der Schlimmste der Menschen ist der, wer keine Entschuldigung annimmt, keine Sünde deckt und keinen Fehler vergibt»
Die Sharia, das Gesetz im Islam, macht diese Rache möglich: Gleiches darf mit Gleichem vergolten werden. Nun ist die Vollstreckung vom Gericht verschoben worden, nachdem die Frau mehrere Jahre auf diesen Tag gewartet hatte. Schreckliche Jahre. Unzählige Operationen hatte sie über sich ergehen lassen, Operationen, die sie nach Spanien geführt hatten, bis der iranische Staat den Geldhahn für die Operations- und Pflegekosten abgedreht hatte. In der Folge hatte sie sich in einem Obdachlosenheim eine Augeninfektion geholt und das verbleibende Auge verloren, das ihr, wie sie in einem Interview mal sagte, buchstäblich ausgelaufen sei.
Nun richtet die Welt ihren Moralfinger einmal mehr gegen die islamische Religion, gegen dieses unmenschliche Gesetz, die Sharia. Aber auch das iranische Gericht versuchte, die Frau von ihrem Vergeltungswunsch abzubringen, Menschenrechtsorganisationen boten ihr sogar Geld an, damit sie das Vergeltungsprinzip nicht in Anspruch nimmt. Bahrami will kein Geld, sie hatte auch die Entschädigungszahlung abgelehnt: Auge um Auge!
Ist es recht, Schlechtes mit Schlechtem, Gewalt mit Gewalt zu vergelten? In den drei Weltreligionen tröstet man sich jeweils mit dem Gedanken an Gerechtigkeit im Hinblick auf das jüngste Gericht. Gott wird dann schon für Gerechtigkeit sorgen. Warum also diese von Gott legitimierte Selbstjustiz?
Auf der anderen Seite: Jesus sagte in seiner Bergpredit: Wenn dir einer ins Gesicht schlägt, halte die andere Wange auch noch hin. Christen sind demnach angehalten, zu vergeben. Die westlichen Demokratien, wie die USA und andere, nicht islamische Nationen, sehen dies in ihrer Rechtsprechung jedoch anders: Sie vergelten kriminelle Strafhandlungen, bei denen Menschen zu Tode kamen, ebenfalls mit dem Tod. Durch legitimisiertes Töten, mit Hilfe von anonymen Henkern.
Und bei uns in Europa? Wo hier oft nur die Ohnmacht bleibt und einzig am Glauben auf eine einstige, göttliche Gerechtigkeit festgehalten wird, bleibt die vergewaltigte Tochter, der von einem Pädophilen missbrauchte und ermordete Junge, die von einem Raser getötete Mutter ungerächt.
Wären wir selbst Opfer oder mitbetroffen, was würden wir wohl tun, gäbe das Gesetz uns die Möglichkeit, uns nach dem Prinzip «Auge um Auge, Zahn um Zahn» zu rächen?
Mit einigen meiner Fragen gehe ich in den palästinesischen Laden im Quartier, zu Mohamed. Mohamed ist im Eifer, als er mir antwortet: «Scharia» bedeute: ein Weg zur Tränke, ein klarer Weg. Die Strafen gälten vielmehr als Abschreckung für andere, als den Täter oder die Täterin zu quälen. Besonders zur Abwendung von Schäden, zum Erhalt des Lebens, zur Unversehrtheit des Körpers und zum Schutze des Besitzes. Die Blendung sei zwar brutal, verfolge aber den Zweck, andere Männer davon abzuhalten, dasselbe zu tun, sagt er.
Wenn mit dem Gerichtsvollzug der Blendung tatsächlich weitere solche Verbrechen an Frauen verhindert werden können, macht das Vergeltungsprinzip dann doch einen Sinn? Der römische Kaiser Marc Aurel hatte gesagt: Die beste Art, sich zu rächen ist, nicht Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Die Meinungen bei diesem Thema werden immer auseinandergehen. Tatsache ist, dass es leicht ist, Ratschläge zu geben oder zu urteilen, wenn man nicht selbst Opfer oder mitbetroffen ist.
Eine Frage bleibt allerdings offen: Ob man, wenn man Rache geübt hat, tatsächlich auch Frieden gefunden hat?
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