In verschiedenen Welten
Von: Caba
Letzte Woche hatte ich ein paar freie Tage. Glück und Wonne, blauer Himmel und Sonne!
Von einer Welt in die andere reiste ich, von Belgien bis ins Emmental, von Paris bis nach Genf. Während ich üblicherweise zur selben Zeit arbeitete, sass ich im Kino, lachte oder weinte, entsetzte mich oder liess mich einrieseln, je nachdem, was ich gerade für einen Film sah und in welche Welt ich gerade eintauchte.
Da sass ich also, für einen Augenblick dem Alltag entflohen, mit Leib und Seele präsent in einer anderen Welt. Beim ersten Film kam ich zwischen die Fronten von zwei Zöllnern, einem belgischen und einem französischen und lernte, dass Rassismus nicht nur zwischen Schwarz und Weiss existiert: «Les camemberts« auf der einen Seite, les «frites» auf der anderen.
Am nächsten Tag meiner Reise verschlug es mich ins schöne Emmental, doch die Schönheit dieses schweizerischen Flecks war trügerisch, denn dem Max, dem Verdingten und seiner Leidensgenossin, dem Berteli, ging es elendiglich. Ich war auf einmal froh und dankbar darüber, wie ich aufgewachsen war. Erst jetzt kenne ich überhaupt diese dunkle Seite der Schweizer Geschichte über die Verdingkinder. Auf einer Sonnenterrasse bei einer Tasse Cappuccino sinnierte ich über das Leben und schätzte mich glücklich, dass ich kein Verdingkind war.
Der nächste Tag entführte mich nach Paris, in die Bohème des 19. Jahrhunderts und ich begegnete Picasso, Dali, Hemingway und Fitzgerald, verbunden mit einer Zeitreise in die belle époque. Welch zauberhaftes Paris!
Einen Tag später endete meine Reise im Ausschaffungszentrum «Framboise» in Genf, wo mir das Ausmass einer unmenschlichen Schweizer Asyl- und Ausländerpolitik - für dessen Umsetzung das Schweizer Volk gewählt hatte - , in Bezug auf menschliche Schicksale, die in bürokratischen Prozesse übersetzt wird, nüchtern vor Augen geführt wurde. Etwa drei Schulklassen, allesamt Teenager, sassen auch im Kino; ich hörte während des ganzen Films keinen Mucks von ihnen, nicht mal deren Atem. Die Betroffenheit aller Anwesenden lag spürbar im Raum.
Ich schaue auf die Rückwand des Nachbarhauses, auf die Blätter der wilden Reben vor mir, in ihrem leuchtenden Rot, die, wie diese Menschen, einfach fallen, sterben, wegfliegen, und eine nackte, kahle Rückwand hinterlassen. Erst jetzt, nachdem die Blätter nicht mehr da sind, wird die kalte, graue Mauer sichtbar.
Und ich sterbe ein wenig mit, mit ihnen allen, den wegfliegenden Blättern im herbstlichen Wind und diesen Menschen, denen man nicht nur einen Teil ihres Lebens, ihrer Würde, sondern auch ihre letzte Hoffnung genommen hat.
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