Noch ungestellte Fragen
Von: Elisha
„Du willst ihn treffen?“, fragte ich meine Freundin Jennifer. „Wann denn?“ Jenni hatte mir gerade mitgeteilt, dass es sie endlich erwischt hatte. Auf der Hochzeit unserer gemeinsamen Freundin Elena hatte sie zum ersten Mal mit deren Cousin Fred gesprochen. Es war mehr gewesen als nur ein guter erster Eindruck, und so hatten sie den ganzen Abend miteinander geplaudert und nach und nach immer mehr Gemeinsamkeiten entdeckt.
Dabei war es nicht nur um Allgemeinheiten gegangen wie Biologie als Lieblingsfach oder rötliche Buche als bevorzugtes Holz bei den Möbeln im eigenen Zimmer. Nein, auch die Marotte, im Supermarktregal immer Produkte aus der zweiten Reihe zu nehmen, ganz gleich, ob es sich um frisches Brot handelte oder haltbare Konserven, hatten sie als Gemeinsamkeit entdeckt.
„Ich bin doch bald in Urlaub. Fred wohnt eine halbe Stunde von unserem Hotel entfernt.“
„Hast du nicht gesagt, du fährst mit deiner Familie?“
„Ja, mit meinen Eltern, meinen Brüdern und Tante Hildegard.“
„Willst du dir das wirklich antun?“ Ich sah sie mitleidig an. „Die fragen dir doch ein Loch in den Bauch, wenn sie das mitkriegen.“
Ich kannte Jennifers Familie, seit wir in der ersten Klasse die besten Freundinnen geworden waren. Nett, ein lustiges Völkchen, aber neugierig wie junge Kätzchen.
„Ich glaube nicht, dass du es schaffst, dich heimlich wegzuschleichen.“ Seit Jahren hatte ich miterlebt, wie die Ungeduld in ihrer Familie wuchs, weil Jennifer noch immer keinen vorzeigbaren potenziellen Schwiegersohn angeschleppt hatte.
„Nein, das habe ich nicht vor. Ganz im Gegenteil!“ Jennifer lächelte verschwörerisch. „Und keine Sorge, ich bin darauf vorbereitet.“
„Wie das?“
„Du kennst auf Webseiten doch FAQ, diese Sammlung von häufig gestellten Fragen.“
„Jaaa“, sagte ich gedehnt. „Und?“
„So etwas habe ich für meine Familie vorbereitet: wie er heisst, wie er aussieht, wie alt er ist, was er arbeitet …“
Ich bemerkte, dass mein Mund noch offen stand und klappte ihn mit der Hand zu. Irgendwie wusste ich nicht, worauf das hinauslief.
„Na, damit ich nicht dauernd alles erzählen muss, habe ich die Fragen schriftlich beantwortet.“
Sie reichte mir ein Quadrat aus Pappe, auf dem in Zeilen und Spalten angeordnet, jeweils eine Frage mit passender Antwort aufgeschrieben war.
„Ein Fragen-Bingo?“ Ich schüttelte den Kopf und lachte. „Und kann man dabei was gewinnen?“
„Ja, ich!“ Jennifer prustete los. „Wer eine Reihe zusammen fragt, soll mich zum Eis einladen.“
„Ich merke, der Urlaub ist gut vorbereitet.“ Ich schmunzelte und wollte Jenni ihr Spiel wieder reichen, liess aber den Blick über die Fragen huschen. „Da steht gar nicht die Frage, ob du verliebt bist“, stellte ich fest.
„Na ja …“ Jennifers Ohren wurden rot. „Das ist eine Frage, die ich noch nicht beantworten kann.“
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