Bloss eine Momentaufnahme?
Von: Caba
Wenn man bedenkt, dass das Frauenstimmrecht in der Schweiz - als eines der letzten europäischen Länder, welches seiner weiblichen Bevölkerung das Stimmrecht einräumte – erst 1971 eingeführt wurde, wirkt die knapp vierzig Jahre später bestehende Frauenmehrheit im Bundesrat schier unglaublich.
Kaum hat die Schweiz das erste Mal eine Überbesetzung in der führenden Politik durch das weibliche Geschlecht, ein historischer Meilenstein, schon gibt ausgerechnet das weibliche Geschlecht in eben dieser führenden Elite zu bedenken, dass sich Männer nicht mehr vertreten fühlen könnten! Der Bundesrat müsse die Bevölkerung repräsentieren, damit diese sich mit ihm identifizieren könne. Diese Aussagen stammen von niemand anderem als von Frau Calmy Rey, was sie noch unverständlicher machen. Jahrelang war der Bundesrat von sieben Männern vertreten. Haben sich während dieser Zeit etwa die Frauen vertreten, in ihren Anliegen für eine Lohngleichheit oder einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie ernst genommen gefühlt?
Ist Frau sein eine Behinderung?
Untersuchungen zeigen, dass Unternehmungen besser geführt sind, je mehr Frauen in den Leitungsgremien sitzen, sagt Katja Gentinetta, stellvertretende Direktorin der Denkfabrik Avenir Suisse.
Verinnerlicht haben die Frauen offenbar diesen Fakt nicht. Gerade Frau Gentinetta musste selbst die schmerzliche Erfahrung machen, dass auf dem Arbeitsmarkt gleiche Leistung nicht gleich gleiche Chancen bedeuten. Sie hatte nach dem Rücktritt des Direktors der Avenir Suisse für dessen Posten kandidiert und ihn trotz hervorragenden Qualifikationen und ihrer bisherigen Stellung als Vizedirektorin nicht erhalten. Den Job bekam ein Mann, der sich nicht einmal dafür beworben hatte.
Es gebe zu wenig profilierten Frauen, heisst der allgemeine Tenor auf die Kritik, dass Frauen in der Politik und in der Wirtschaft untervertreten sind. Das Netzwerk «Get Diversity», ein Pool von Wirtschaftsfrauen, die für Verwaltungsratsmandate qualifiziert sind, zeigt ein anderes Bild. Nach nur zwei Jahren zählt der Pool fast 100 Mitglieder. Laut der Geschäftsführerin Dr. oec. Barbara Rigassi, die an der Hochschule St. Gallen promoviert hat, konnten dank dieses Netzwerkes acht Frauen in Verwaltungsräten platziert werden, dazu kämen sechs laufende Verfahren.
Doch es bleibt vor allem an den Frauen selber, sich in Position zu bringen. Helena Trachsel, die seit dreizehn Jahren «Madame égalité» beim Rückversicherer Swiss Re war, sagte: «Es macht kein Mann freiwillig Platz, den müssen wir uns selber holen.» Das beginne schon bei der Studienwahl. «Statt in "Kuschelfächer" sollten Frauen vermehrt in die Natur- und Wirtschaftswissenschaften gehen. Und den Anspruch haben, einmal Chefin zu werden und genug zu verdienen, um eine Familie zu ernähren.»
Doch solange die Chancengleichheit, die Lohngleichheit oder eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht intakt ist, wird Frau es immer schwieriger haben. Man spricht davon, dass Quoten eine gute Alternative zum bestehenden System wären. Das Parlament in Bern hat jedoch kürzlich einen entsprechenden Vorstoss abgelehnt. Die frauenbezogene Quotenregelung ist ein Instrument für die Förderung und Gleichstellung von Frauen bei der Besetzung von Gremien oder Stellen in der Gesellschaft, Politik und Wirtschaft. In Norwegen funktioniert es, dort beträgt der Frauenanteil in Verwaltungsräten über 40 Prozent. Warum wehrt man sich hier so dagegen? Weshalb ist das Phänomen eines verstaubt und vergilbt geglaubten Patriarchismus in einer modernen Gesellschaft noch immer so präsent in den Köpfen von Männern und Frauen?
Bloss eine Momentaufnahme?
Wird Micheline Calmy Rey weiterhin im Bundesrat bestehen können? Und Evelyne-Widmer Schlumpf; muss sie damit rechnen, im 2011 durch einen SVP-Politiker ersetzt zu werden? Verbleiben würden dann nur noch Doris Leuthardt und Simonetta Sommaruga und die Frauenmehrheit im Bundesrat wäre nur noch Geschichte.
Ob die offenen Fragen und Befürchtungen mit dem Leistungsausweis der Frauen seit ihrer Amtstätigkeit in Verbindung gebracht werden dürfen oder in der leidvollen Geschichte der Chancengleichheit der Frau wurzeln?
Freuen wir uns erst mal ab der Momentaufnahme – immerhin geniesst sie Symbolcharakter.
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