Merry meet and merry part
Von: Elisha
(Fröhliches Zusammentreffen und fröhliches Auseinandergehen) Es war kein kurzgeschorener Rasen, auf dem wir zur Sonnenwende zusammen gekommen waren, sondern eine Wiese voll mit Kräutern und Tupfen bunter Blumen: Gänseblümchen und Margeriten, Butterblumen und Löwenzahn, Kornblumenblau und roter Mohn.
Unsere Füsse hatten Spuren hinterlassen, einen schmalen Kreis um das runde Seidentuch in der Mitte, auf dem eine flache Schale mit Früchten stand. Kleine Figuren waren darauf angeordnet: eine Kerze und eine eherne Eidechse im Süden, ein Wasserschälchen mit einer Muschel im Westen, Knochen und Stein im Norden, Federn und Flöte im Osten. Alles hatte seinen Ort, hatte uns während des Rituals Orientierung gegeben. Jetzt sassen wir noch entspannt, reichten uns Kirschen und Himbeeren, tranken kleine Schlucke Johannisbeersaft oder Kräutertee.
Ich mochte diese Zeit als Abschluss der Feier, die uns alle berührt hatte, und wie zu Beginn die Besprechung des Ablaufs war auch dies der Übergang von dem Erlebnis im Kreis in unsere Alltagswelt. Oft tauschten wir dabei noch aus, was sich bei der gemeinsamen Handlung in jeder von uns abgespielt hatte, welche Empfindungen, Bilder, Erkenntnisse aufgetaucht waren. Und während wir da sassen in unseren langen, roten Gewändern und dem Blumenkranz auf dem Kopf, vollzog sich schleichend die Verwandlung von der Sommergöttin zurück zur Lehrerin, Architektin, Ingenieurin …
In diesem Jahr war etwas anders als sonst. Während wir sonst etwa alle sechs Wochen zusammen kamen, um den nächsten Abschnitt im Jahreskreis zu feiern und Raum für die Selbstbesinnung zu nutzen, waren in diesem Jahr Veranstaltungen verboten gewesen. So war die Sonnenwendfeier die erste Gelegenheit gewesen, uns wieder zu treffen, und wir hatten uns alle drauf gefreut. Natürlich kam allmählich das Thema auch auf das Virus.
„Seit die Lockerungen da sind, habe ich fast das Gefühl, ich bin die Sehende unter den Blinden.“ Gina beugte sich vor und nahm eine Erdbeere aus der Schale. Ich wunderte mich über ihre Wortwahl, dachte aber, zu verstehen, was sie meinte. Ich erwartete eine Anekdote über irgendeinen Spinner, der die Ansicht vertrat, dass das Virus frei erfunden wäre. Stattdessen fuhr sie fort: „Jetzt sollte es doch wirklich mal gut sein. Aber so viele Menschen rennen mit Masken rum.“
Mir rollte die Kirsche, die ich gerade in meinen Mund befördern wollte, vor Schrecken auf den Boden unter mir. Hatte ich mich verhört?
„Ich mache so ein Kasperletheater nicht mit. Aber da kommt mir dann schlechte Stimmung entgegen, Aggressionen, weil sowas unsolidarisch ist.“
„Stimmt doch!“, rutschte es mir heraus. „Es ist unsolidarisch!“
„Wahrscheinlich kennst du keinen, der zur Risikogruppe gehört“, murmelte Bettina und spuckte einen Kirschkern in weitem Bogen von sich, „sonst würdest du dich schäbig fühlen.“
„Ich lasse mich doch nicht von dir beleidigen!“ Gina war aufgesprungen, schaute Hilfe suchend von Frau zu Frau.
Mir wurde ganz kalt ums Herz. In den letzten Wochen hatte ich so viele absonderliche Theorien gelesen, so dass ich mich immer wieder gefragt hatte, wer solche Sachen glaubte. Und dann hatten Leute, von denen ich das nie erwartet hatte, angefangen, alles Mögliche in Frage zu stellen, anstatt mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung durchzuhalten und dem Virus zu trotzen. In dieser Gemeinschaft wenigstens hatte ich mich sicher gefühlt, war ich davon ausgegangen, dass wir alle dieselbe Meinung vertreten. Aber plötzlich brach auch hier die Kluft auf, und das, nachdem wir gemeinsam gesungen und getanzt hatten.
„Halt!“ Isolde, die die Feier heute vorbereitet hatte, mischte sich ein. „Hier ist kein Ort für Beleidigungen!“ Sie deutete auf den Krug mit Saft. „Möchtest du noch was trinken?“
Gina nickte, ging wieder in die Hocke, schenkte sich noch etwas ein.
„Ich glaube, uns alle hat das Ganze ziemlich verunsichert. Neue Regeln, so viele Ängste … ob es um eine mögliche Ansteckung oder um Lohn und Brot geht …“ Sie blickte sich um, sah in aufmerksame Mienen, schweigendes Nicken. „Und wir haben doch mit Absicht dieses Fest gefeiert, in diesem Kreis, wir alle zusammen. Geht doch noch einmal in euch, spürt ihr das noch?“
Ich schloss die Augen, hörte in mir die Töne der Lieder, spürte die Schritte der Tänze. Wir hatten uns nicht wie sonst bei den Händen gefasst, um einen Kreis zu bilden, aber doch hatte ich die Energie gespürt, die sich durch alle Körper bewegt, uns alle verbunden hatte. Als ich die Ruhe wieder spürte, öffnete ich die Augen, sah in lächelnde Gesichter. Das sollte uns nicht verloren gehen. Wir würden lernen, von dieser Basis aus Gedanken auszutauschen.
„Merry meet“ (Fröhliches Zusammentreffen), kam mir wieder in den Sinn, die Worte unseres letzten Liedes, und ich begann leise zu singen. Die anderen stimmten mit ein. „Merry meet, merry part (Fröhliches Auseinandergehen) and merry meet again (und fröhliches Wiedersehen).“
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