Liebe des Lebens
Von: Elisha
„Also willst du mir nicht helfen, Mama?“ Theresa hatte Tränen in den Augen, und ihre Schultern waren zusammen gesunken. Ich spürte einen Stich in meiner Brust, und am liebsten hätte ich sie einfach in meine Arme genommen, wie es früher immer geholfen hatte. Aber das war es nicht, was sie wollte. Keine Zärtlichkeit, kein Mitgefühl, nur mein Geld.
Ich schaute zur Seite, dann auf meinen Teller, auf dem sich noch ein letzter Rest vom Kuchenstück befand. Mittendrin hatte ich aufgehört, hatte ihren begeisterten Worten mit immer weniger Gefühl gefolgt. Irgendwann hatte mir geschwant, worauf ihr Redeschwall abzielte, und ich hatte noch den letzten Bissen im Mund zu Ende gekaut und dann die Gabel neben den Teller gelegt. Jetzt nahm ich sie wieder in die Hand und spiesste das Stück auf. Was konnte der Kuchen für den Streit?
„Du glaubst mir nicht, oder?“, versuchte Theresa einen anderen Ansatz. „Aber Harald ist ein wunderbarer Mensch, er wird dir gefallen.“
„Da habe ich keinen Zweifel.“ Das Problem waren nicht die Männer gewesen, mit denen sie eine Bindung eingegangen war. Noch immer stand das Foto in unserem Regal, wie sie im weissen Spitzenkleid mit Schleier und Blumenkranz der Liebe ihres Lebens das Ja-Wort gegeben hatte.
Wie eine Prinzessin hatte sie gewirkt auf dem rauschenden Fest. Zarte Achtzehn damals, wie Timo, der schüchterne Mann neben ihr. Und ich hatte ihn wirklich ins Herz geschlossen, genau wie seine ganze Familie, die durch den Bund nun auch zu unserer Familie geworden war. Und genauso wie seine Verwandtschaft hatte es mich nach drei Jahren verstört, als sie uns zerknirscht mitteilten, dass sie von da an getrennte Wege gehen wollten.
Nur ein Jahr später hatte sie uns Manuel vorgestellt und von ernsten Absichten gesprochen.
„Du bist gerade erst geschieden worden“, hatte ich vorsichtig zu bedenken gegeben. „Ihr habt viel Zeit. Lernt euch doch erstmal richtig kennen.“
„Ach, Mama. Bei Timo war ich viel zu jung für die Ehe.“ Sie machte eine Pause, gab mir Gelegenheit, um den Gedanken sacken zu lassen. „Da wusste ich doch nicht, dass ich je so einen Menschen wie Manuel treffen würde.“
Natürlich war ich erleichtert, dass sie noch einmal eine Liebe gefunden hatte und insgeheim auch froh, dass sie nicht ihr halbes Leben darauf warten musste. Nicht wie bei ihrem Vater und mir, die wir uns in Schulzeiten aus den Augen verloren und erst nach Jahrzehnten wieder gefunden hatten.
„Und ich werde diesmal in Rosa heiraten. Nicht unschuldig in Weiss, aber nahe dran. Und ganz viel Tüll muss es auch sein.“
Mein Mund fühlte sich trocken an von dem Kuchen, der sich langsam in einen bröseligen Brei verwandelte. Ich nippte an dem Rest in der Kaffeetasse, leider kalt.
Wie vor Jahren, als sie von erneuten Scheidungsplänen sprach.
„Kind, Ehe ist nichts, was einfach so läuft“, sagte ich damals frustriert. „Meinst du, bei Papa und mir ist immer alles reibungslos? Manchmal muss man um seine Ehe kämpfen, daran arbeiten, damit sie funktioniert. Papa und ich gehen zur Beratung, weil wir uns beide füreinander entschieden haben.“
„Ich bin schwanger.“
„Das ist doch ein Grund mehr, um nicht aufzugeben.“
„Manuel ist aber nicht der Vater.“
Wahrscheinlich hätte sie ihren prallen Babybauch gut in einem Ungetüm aus Tüll verbergen können. Stattdessen entschied sie sich bei ihrer dritten Hochzeit für ein enganliegendes Etuikleid in Dunkelblau, das für sie der Inbegriff des seriösen Aussehens bedeutete.
Niklas, der werdende Vater, sah das nicht so streng. Immer wieder schob er seine Hand liebevoll auf ihren Bauch, wenn er meinte, dass keiner zusehe, und beim Tanzen stützte er sie zunehmend, je später der Abend wurde. Auch diesmal schien sie in guten Händen zu sein. Für drei Jahre.
„Was sagt denn Lilly zu Harald?“, fragte ich plötzlich.
„Ach, die kommen gut zurecht.“ Wieder dieses schwärmerische Lächeln. „Und sie freut sich auf ihren Bruder.“
Ich hatte gerade noch einen Schluck der kalten Brühe genommen, und mir spritzte fast der Kaffee aus dem Mund. „Du bist wieder schwanger?“
„Nein, Haralds Sohn. Sie können sich erst einmal ein Zimmer teilen.“
„Ihr scheint ja schon weit mit der Planung zu sein“, sagte plötzlich eine tiefe Stimme hinter mir. Mein Mann war vom Balkon wieder herein gekommen, und sein Tabakaroma verbreitete sich im Zimmer.
„Papa, Mama will mir nicht die Hochzeit bezahlen“, wagte Theresa noch einmal einen anderen Ansatz. Ihre Stimme klang hoch und mädchenhaft, wie sie sie früher bei manchen Betteleien eingesetzt hatte. Ich erstarrte, in der Angst, dass sie immer noch ihre Wirkung hatte. Aber die Liebe meines Lebens enttäuschte mich nicht. Auf seine eigene Art stärkte er mir den Rücken, nicht nur, indem er sich hinter mich stellte und seine Hände auf meine Schultern legte.
„Ich finde auch, wir setzen mal eine Hochzeit aus“, sagte er und strich mir über die Oberarme. „Mal sehen, wie es läuft. Vielleicht geben wir dir dann bei der nächsten wieder einen Zuschuss.“
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