Wie eine Seherin
Von: Elisha
Ich hatte mir alles so oft vorgestellt: die heimelige Kirche, die Blüten auf dem Boden, und vor dem Altar das junge Paar, er mit dem eleganten Schnauzbart, sie in Tüll und Spitze wie eine Prinzessin.
Alle Augen der geladenen Gäste ruhen auf ihnen, aufmerksam und still, damit sie auch jedes Wort vernehmen. Und ich sitze in der ersten Reihe, nahe genug, um fast dabei zu sein. Denn ich war und bin sein Beistand, immer schon gewesen, und ich werde es immer bleiben. Mein Rat ist ihm wichtig, schliesslich bin ich seine Mutter.
Und jetzt scheint es wahr zu werden. Endlich ein Mädchen, das sich seiner würdig erweist. Ich habe Bernadette mit Vorsicht kennen gelernt, aber sie war anmutig und zurückhaltend, und Clemens bedachte sie mit einem liebevollen Blick, der mir Gewissheit gab. Und so war ich nicht überrascht, dass er ihr schon bald einen Antrag gemacht und ein Datum geplant hatte.
„Bei mir rennst du offene Türen ein, mein Sohn“, sagte ich ihm mit leuchtenden Augen. „Ich will doch nur dein Glück.“ Erleichtert über meinen Segen brachte er sie mit, um noch weiter die Hochzeit zu planen.
„Die Kirche haben wir schon reserviert“, sagte er stolz und tätschelte ihre Hand, wie er es sonst bei mir immer tat.
„Und nebenan ist ein Café, da wollen wir Kaffee und Kuchen bestellen“, fuhr Bernadette begeistert fort.
„Dort wollt ihr feiern? Ist das nicht etwas klein?“
„So viele Gäste haben wir ja nicht“, fügte sie erklärend hinzu. „Keine Geschwister, also nur meine Eltern und du natürlich, dann ein paar Freunde …“
„Und Tante Ludowiga?“, fragte ich gekränkt.
„Auch die können wir einladen, auch wenn sie gar nicht meine Tante ist“, sagte Clemens beschwichtigend.
Wir sprachen weitere Einzelheiten ab, Anzahl der Torten, Ort und Auswahl für das Abendessen … Die jungen Leute hatten von manchem seltsame Vorstellungen, aber ich konnte sie gut zu den richtigen Ergebnissen führen.
„Schliesslich ist das mein einziger Sohn, da will ich doch dafür sorgen, dass alles nach Plan verläuft“, sagte ich zur Aufmunterung. „Und das Hochzeitskleid …“
„Das werde ich mit meiner Mutter und meiner Freundin aussuchen“, sagte Bernadette schüchtern. Ich schwieg, und Clemens sagte in die Stille: „Vielleicht kannst du ja auch mit gehen.“
Bernadette schluckte, aber nach einem Blick auf Clemens nickte sie.
Der Laden für Brautmoden war sehr gepflegt, und wir liessen uns verschiedene Modelle vorführen. Schon beim dritten stand Bernadette verzückt auf dem kleinen Sockel, strich an dem schmalen Seidenkleid an sich hinab und rief aus: „Das ist genau das, was ich mir gewünscht habe. Schlicht und elegant, ohne zu viel Schnörkel.“
Ich war entsetzt, nicht nur über das unerfahrene Kind, sondern auch den zustimmenden Blick ihrer Mutter. Dabei hing das richtige ganz in der Nähe, mit aufgestickten Pailletten auf der Schleppe. Erst nach einigem Drängen erklärte sie sich bereit, es wenigstens einmal anzuprobieren. Ihre unsägliche Freundin schüttelte sofort den Kopf und meinte: „Das passt gar nicht zu dir.“
„Wie kannst du so etwas sagen?“, stellte ich sie zur Rede. „Ich habe immer schon davon geträumt, dass die Braut meines einzigen Sohnes genau dieses Kleid trägt.“ Die drei starrten mich an, als ob ich etwas Bizarres von mir gegeben hätte.
Und unter dem Einfluss liess sich Bernadette nicht von ihrem Vorhaben abbringen. Sie entschied sich für das unaufwändige und gab meinem Traumkleid keine Chance.
Kurz nachdem wir das Brautmodengeschäft verlassen hatten, trennten sich unsere Wege. Ich hielt kurz inne, fasste einen Entschluss und kehrte in den Laden zurück. Zum Glück hatte die Verkäuferin noch keine neue Kundin, um die sie sich kümmern musste.
„Meine zukünftige Schwiegertochter …“ – ich kostete es aus, sie so zu bezeichnen – „ … hat, wie Sie wissen, ein Kleid ausgesucht, das Sie ihr liefern wollen.“
Die Verkäuferin nickte und wartete ab, bevor sie fragte: „Ist damit etwas nicht in Ordnung?“
Es klingelte die Glocke an der Eingangstür, als ich fortfuhr: „Sie hat sich umentschieden. Sie nimmt jetzt doch ein anderes Kleid.“
„Das habe ich befürchtet, dass du das durchziehst“, drang eine Stimme schrill an mein Ohr. „Wie kannst du nur? Schreckst du denn vor gar nichts zurück?“ Bernadettes Mutter baute sich vor mir auf.
„Es ist mein einziger Sohn, der heiratet.“
„Und meine einzige Tochter. Aber um uns geht es doch gar nicht. Die beiden sollen doch einfach nur glücklich werden, und das Kleid hat sie glücklich gemacht.“
Ich erstarrte, wusste nicht recht, was ich erwidern sollte.
„Aber meine Vision …“, stammelte ich.
„Sei froh, wenn sie überhaupt noch heiraten“, sagte Bernadettes Mutter mit warnendem Unterton. „Durch deine Einmischung verlieren sie langsam die Lust.“
Während ich überdachte, was sie mir da an den Kopf geworfen hatte, fügte sie noch hinzu: „Und wenn dir das Kleid so gefällt, dann kaufe es doch für dich!“
Und damit drehte sie sich um und liess mich einfach stehen.
«fricktal24.ch – die Online-Zeitung fürs Fricktal»