Schweizer Manager haben die Harddiscounter unterschätzt
Von: mm/f24.ch
Am 27. Oktober 2005 eröffnete Aldi seine ersten vier Filialen in der Schweiz. Die Erfolgschancen des Harddiscount-Konzepts wurden damals als sehr gering eingeschätzt. Zu hoch seien die Qualitäts-ansprüche der hiesigen Konsumenten und die Bindung an die etablierten Händler. Sechs Jahre später hat sich die Handelslandschaft verändert. Wie die Discounter heute von Konsumenten und Managern der Schweiz beurteilt werden, haben Dr. Maximilian Weber und Prof. Dr. Thomas Rudolph am Kompetenzzentrum für Retail Branding des Forschungszentrums für Handelsmanagement der Universität St.Gallen (IRM-HSG) untersucht.
Mit Studierenden der HSG haben die Forscher 400 Passanten in den Fussgängerzonen der Deutschschweiz und knapp 200 Manager aus den oberen Führungsebenen der Schweizer Industrie- und Detailhandelsunternehmen befragt.
Grosser Einfluss von Aldi und Lidl
Mehr als die Hälfte der befragten Manager geht heute davon aus, dass die Marktaktivitäten von Aldi und Lidl in den nächsten zwei Jahren zu erheblichen Veränderungen im Schweizer Detailhandel führen werden. Vor drei Jahren prognostizierten nur 31% grosse Veränderungen. Ferner sind 36% der Manager überzeugt, dass Aldi und Lidl von hiesigen Handelsmanagern unterschätzt werden. Fast jeder dritte Befragte betrachtet die Harddiscounter als ernstzunehmende Konkurrenz für etablierte Schweizer Händler. Auch diese Einschätzung hat sich im Vergleich zu der Befragung im Jahr 2008 verschärft.
Während vor drei Jahren noch 59% der Manager der Meinung waren, dass die Marktaktivitäten von Aldi und Lidl zu Umsatzrückgängen bei den etablierten Händlern führen werden, sind es heute 71%. Ferner rechnen 89% der Manager mit einem zunehmenden Preiswettbewerb. Gleichzeitig sehen sie jedoch auch die Chance, dass es zu Effizienzsteigerungen im Schweizer Detailhandel durch die Harddiscounter kommen kann.
Anhaltender Preisdruck auf Lieferanten
Nahezu jeder Manager (89%) prognostiziert einen verstärkten Preisdruck auf die Lieferanten durch die Aktivitäten von Aldi und Lidl. Auch drei von vier Manager befürchten Konflikte für die Markenartikelproduzenten mit bestehenden Abnehmern. Beide Ergebnisse decken sich mit den Einschätzungen aus dem Jahr 2008. Die Manager fühlen sich folglich in ihren Prognosen bestätigt und rechnen mit anhaltenden Auswirkungen.
Doch es gibt auch Potenziale durch Aldi und Lidl aus Managementsicht für die Schweiz. So sehen 36% der Befragten zusätzliche Umsatzchancen für die Landwirtschaft und Industrie durch die Expansion von Aldi und Lidl.
Einkaufsverhalten der Konsumenten verändert sich
82% der befragten Manager gehen davon aus, dass sich die Preissensibilität der Konsumenten in den nächsten zwei Jahren durch die Aktivitäten von Aldi und Lidl weiter erhöhen wird. Auch die Schnäppchenjagd wird sich aus Sicht von 73% verstärken. Vor drei Jahren sahen in den Harddiscountern «nur» 45% der Manager eine Gefahr für die Kundenbindung der Grossverteiler. Mittlerweile hat sich dieser Anteil auf 63% erhöht. Auch die Unsicherheit der Konsumenten beim Einkauf in Bezug auf Qualität und Preiswürdigkeit der verschiedenen Anbieter wird sich aus Sicht von 58% der Manager weiter erhöhen.
Profilierungschancen für etablierte Händler im Sortiment und Dienstleistungsangebot
Auf die Frage, wie etablierte Händler mit der zunehmenden Discountherausforderung umgehen sollten, führen 76% der Manager das Sortiment als Profilierungsinstrument an. Auch im Dienstleistungsangebot sehen 62% Potenziale, das eigene Profil zu schärfen. Den Preis nannten immerhin 26% der Befragten. Innerhalb der Sortimentsgestaltung wollen die Manager in den kommenden zwei Jahren Schwerpunkte setzen.
Beim Vergleich der Managerantworten mit den Ergebnissen einer Konsumentenbefragung in den Schweizer Fussgängerzonen, fallen jedoch Unterschiede auf. So wird die Relevanz von «Premium-Produkten», «Fettreduziertem Essen» und «Günstigem Essen» von Managern im Vergleich zu den erhobenen Bedürfnissen der Konsumenten überschätzt, während die Bedeutungen von regionalen und Fairtrade-Produkten unterschätzt werden.
Aldi und Lidl werden von Konsumenten hinsichtlich der zentralen Profilierungsinstrumente grundsätzlich ähnlich bewertet. Einzig das Preis-/Leistungsverhältnis und die Erreichbarkeit ist aus Konsumentensicht bei Aldi besser als bei Lidl. Beim Vergleich der Bewertungen der Harddiscounter aus Management- und Konsumentensicht fällt auf, dass die Discounter von Konsumenten tendenziell besser beurteilt werden. Überaschenderweise werden jedoch das Preis-Leistungsverhältnis und die Qualität der Produkte von den Managern besser als von den Konsumenten eingeschätzt.
Jeder vierte Konsument kauft regelmässig beim Discounter ein
27% der Konsumenten kaufen mindestens einmal im Monat bei einem Lebensmitteldiscounter ein. Nichtsdestotrotz bleiben Migros und Coop die beliebtesten Einkaufsstätten. Die Discounter werden jedoch vor allem für Ergänzungskäufe aufgesucht.
Die günstigen Preise sind der primäre Grund, warum Konsumenten bei den Discountern einkaufen. Die kontinuierliche Werbung und Medienpräsenz der Discounter hat aber auch fast ein Viertel der Grossverteiler-Kunden zu Neugier-Käufen bei den Discountern bewegt. 22% der Probanden lehnen es hingegen grundsätzlich ab, bei Aldi oder Lidl einzukaufen. Die schlechte Erreichbarkeit und die Vermutung, dass die Mitarbeiter der Discounter schlecht bezahlt werden, führen ca. 15% der Konsumenten als Gründe an, warum sie nicht beim Discounter einkaufen.
Die Grossverteiler Migros und Coop übertreffen die Erwartungen hinsichtlich der Erreichbarkeit, der Ladengestaltung und des Personals. Dies hält die Konsumenten jedoch nicht davon ab, bei Discountern einzukaufen. Zufriedenheit alleine scheint offensichtlich mittlerweile nicht mehr auszureichen, um Kunden zu binden. Andere Untersuchungen des Forschungszentrums für Handelsmanagement mit realen Kaufdaten kommen zu ähnlichen Ergebnissen.
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