Karfreitag - ein freier Tag oder ein Feiertag?
Von: Hans Berger
Heute ist der höchste Feiertag der Reformierten. Dies ist doch eigentlich merkwürdig, da Karfreitag der Todestag Jesu ist, das Ende, das Aus. Der höchste Feiertag liegt am tiefsten Punkt und wird in den Kirchen doch feierlich begangen. Zugegeben von einer Minderheit, die Mehrheit freut sich nicht über den Feiertag als vielmehr über den freien Tag. Klar, wer will sich ausgerechnet an einem freien Tag, wo Freude und Fun angesagt ist, mit so tristen Gedanken wie dem Tod befassen?
Sind die Reformierten etwa so depressiv veranlagt, dass sie hier den wichtigsten Moment ihrer Religion sehen? Sind sie voll von dieser Wiener Mentalität, die den Tod ein wenig verklärt wie zum Beispiel im Lied, „Verkauft’s mei Gwand, ich fahr’ in Himmel“ oder dem noch berühmteren Schrammel „Es wird ein Wein sein, und wir wern nimmer sein?“ Haben die Reformierten so eine Mentalität, den Tod in den Mittelpunkt zu stellen, ihn letztendlich dann aber trotzdem nicht ganz ernst zu nehmen?
Damals
Das ist doch eine spannende Frage: Wie denke ich über den Tod? Wie gehe ich mit dem Tod um und gehe ich überhaupt damit um? Damals, als Karfreitag zum wichtigsten Feiertag erklärt wurde, nahm man den Tod jedenfalls sehr ernst. Man sah sich um in der Welt und erschrak, wie schnell er kam, der Tod, und wie ungerecht er oft war. Kleine Kinder, gute, geliebte Menschen riss er aus dem Leben. Man sagte: Wenn der Tod das letzte Ende ist, dann ist das Leben eine Schweinerei und Gott ein böser Gott.
Die „Ideologie“
Aber so ist das nicht, sagen die Reformierten – denn es gibt Karfreitag. Hier sei Gottes Sohn, der, so wie wir alle eines Tages, dieser Welt zum Opfer gefallen sei. Jesus sei ohne Schuld, habe nichts verbrochen. Aber sein Opfer sei nicht umsonst. Er habe sein Leben für Gott gelebt. Ja, er habe gar das Göttliche in diese Welt gebracht. Und diese Verbindung sei auch im Tod nicht abgerissen. Es gebe eine Verbindung zu Gott, die so stark sei, dass sie auch den Tod und die Sünde überstehe. Jesus befreie die Menschen, die gläubigen Menschen, von ihrer Schuld. Er befreie sie von dem schrecklichen Gedanken, diese Welt wäre alles und deshalb ungerecht. Diese Erfahrung habe Karfreitag gross gemacht: Schuld und Sterben seien überwunden.
Karfreitag wurde deshalb der wichtigste Reformierte Feiertag. In einer Zeit, in der das Sterben ganz nahe, alltäglich war, da hat man viel darüber nachgedacht.
Und heute.. ?
Heute ist das Sterben noch immer alltäglich und nahe. Nur – im Unterschied zu früher – bilden wir uns jedoch ein, meilenweit davon entfernt zu sein. Uns kann nichts passieren. Bin ich krank, kommt der Arzt. Der Terrorismus wird immer nur die anderen treffen. Atom- und Naturkatastrophen haben wir im Griff. Ein Autounfall wird schon nicht passieren.
Alles Lügen! - Wir sind so nah am Ende wie eh und je. Aber wir wollen davon weg sein, glauben unseren Lügen und denken nicht ans Ende.
Und so ist Karfreitag inzwischen zu einem exotischen Fest geworden. Der blutige Tod am Kreuz, der ist nicht mehr Alltag, das ist uns fremd. So fremd, dass wir uns im Fernsehen von einem Jesus-Film schocken lassen, wie brutal es doch damals zuging. Als ob heute alles so zivilisiert wäre.
Karfreitag ist uns fremd, weil uns Tod und Schmerz und alles das fremd geworden ist. Wir, die wir Mittel gegen den Schmerz haben. Wir, die wir die Sterbenden ins Krankenhaus, ins Pflegeheim oder allenfalls ins Hospiz auslagern. Wir, die wir uns so viel auf unsere Menschlichkeit einbilden – für uns ist das alles weit weg. Dass das Leiden, der Schmerz, die Trauer, die zerstörte Hoffnung, dass alles das im Mittelpunkt steht, das ist doch grauslich, fremd. Auch wenn wir nicht daran denken wollen: Das Dunkle ist mitten unter uns, mitten im Leben. Der Tod ist unter uns. Die Schmerzen und die Trauer sind unter uns. Es gibt Trauer, die bis an die Grenzen der Existenz geht. Aber wir haben keine Zeit dafür, denn wir müssen immer zuerst noch unsere 148 Mails checken.
Ein Tag für alle
Genau deshalb fehlt etwas, wenn wir nur vom Schönen reden und nicht davon, wie es wirklich zugeht. Und darum ist Karfreitag der höchste Feiertag, weil Karfreitag ein unvermeidbarer Bestandteil des Lebens ist. Die Täler des Lebens und der Tod sind immer da und kommen unaufhaltsam.
Karfreitag ist somit nicht nur ein Tag der Reformierten, und nicht einmal nur ein Tag der Gläubigen. Er ist ein Tag für Jedermann/frau, er ist ein Tag, um das Tempo zu drosseln, zum Innehalten, er ist ein Tag zum Nachdenken. Er ist aber auch ein Tag der Freude, weil wir die Fähigkeit des Grübelns haben und ist dies erst recht dann, wenn aus dem Sinnieren neue Erkenntnisse und Einsichten entwachsen.
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