Die nächste „Sintflut“ klopft an die Tür
Von: Jonas Viering/f24.ch
Allein die bislang vorliegenden Klimaschutzpläne der Länder für den Zeitraum 2016 bis 2030 würden den Meeresspiegel bis 2300 um zwanzig Zentimeter ansteigen lassen, wenn die Regierungen ihre Selbstverpflichtungen nicht noch einmal deutlich nachbessern. Das zeigt eine neue Studie. Die Arbeit von Forschern der Climate Analytics in Berlin und des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung zeigt erstmals die konkreten Auswirkungen der bislang vereinbarten Vorhaben der einzelnen Länder zur Emissionsreduktion im Rahmen des Pariser Klimaabkommens mit Blick auf den längerfristigen Meeresspiegelanstieg.
Erstmals beziffert die in den „Verfahren der Nationalen Akademie der Wissenschaften“ erschienene Studie den Beitrag der unter der Pariser Klimavereinbarung zu erwartenden Treibhausgasemissionen für den Meeresspiegelanstieg – vorausgesetzt, die als „National festgelegte Beiträge“ (NDCs) vorgelegten Pläne der Länder werden eingehalten. Diese Zusagen zum Klimaschutz gehen zurück auf das Pariser Klimaabkommen, auf das sich 2015 mehr als 190 Länder geeinigt haben. Sie umfassen zunächst den Zeitraum von 2016 bis 2030.
Allein die in diesen fünfzehn Jahren freigesetzten Emissionen würden bereits einen Meeresspiegelanstieg von 20 cm bis 2300 bedeuten, zeigt die Studie der Forschenden. Das entspricht einem Fünftel des Meeresspiegelanstiegs, der durch alle seit Beginn der Industrialisierung bis 2030 anfallenden Treibhausgasemissionen zu erwarten ist. Die möglichen Auswirkungen eines bereits irreversiblen Schmelzens von Teilen des antarktischen Eisschildes wurden hier noch nicht berücksichtigt.
"Unsere Ergebnisse zeigen: Was wir heute tun wird einen grossen Einfluss bis zum Jahr 2300 haben. Zwanzig Zentimeter sind keine kleine Zahl, das entspricht grob dem bislang im gesamten 20. Jahrhundert beobachteten Meeresspiegelanstieg. Diese Zahl durch nur fünfzehn Jahre zusätzliche Emissionen zu erreichen ist schon erstaunlich“, sagt Leitautor Alexander Nauels von Climate Analytics.
„Durch das langsame Tempo, mit dem der Ozean, die Eisschilde und Gletscher auf die globale Erwärmung reagieren, entfalten sich die wahren Folgen unserer Emissionen für den Meeresspiegelanstieg erst über Jahrhunderte. Je mehr Kohlendioxid-Emissionen jetzt freigesetzt werden, desto stärker bestimmen wir auch bereits den Meeressspiegelanstieg der Zukunft"
Die grössten vier Umweltsünder
Die Arbeit der Forschenden zeigt auch, dass mehr als die Hälfte (55.1%) der zu erwartenden zwanzig Zentimeter Meeresspiegelanstieg auf die vier grössten Verursacher von Treibhausgasemissionen zurückzuführen ist (Stand 2018): China (29.7%), USA (13.9%), Indien (6.9%) und Russland (4.6%). Allein die Emissionen dieser Volkswirtschaften im Rahmen ihrer NDCs unter dem Pariser Klimaabkommen würden dazu führen, dass die Meere bis 2300 um 12 cm ansteigen, so die Studie.
"Nur vier Volkswirtschaften sind für mehr als die Hälfte des Meeresspiegelanstiegs verantwortlich, der durch die Emissionen aus den ersten fürnzehn Jahren nach der Pariser Klimavereinbarung zu erwarten ist“, sagt Ko-Autor Johannes Gütschow vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. „Um den langfristigen Anstieg des Meeresspiegels zu begrenzen, ist es entscheidend, dass bei den Klimaplänen der Länder nachgebessert wird und die Anstrengungen zur Vermeidung von Emissionen verstärkt werden“.
Berücksichtigt man alle Emissionen, die zwischen 1991 und 2030 freigesetzt werden, also seit dem Jahr des ersten Berichts des Weltklimarats IPCC, erhöht sich der Beitrag der letztendlich fünf grössten Kohlendioxid-Emittenden China, USA Indien, Russland und Europa für den langfristigen Meeresspiegelanstieg auf 26 Zentimeter.
Meeresspiegelanstieg als Vermächtnis für die Menschheit
"Unsere Ergebnisse zeigen klar, dass unsere heutigen Emissionen unweigerlich dazu führen, dass die Meere bis weit in die Zukunft hinein ansteigen. Dieser Prozess lässt sich nicht zurückdrehen, er ist unser Vermächtnis für die Menschheit", sagte Ko-Autor Carl-Friedrich Schleussner von Climate Analytics.
"Die Regierungen müssen bis 2020 dringend ambitioniertere Klimapläne (NDCs) vorlegen und das Tempo ihrer Dekarbonisierung erhöhen, um das Pariser Abkommen und sein Ziel, die globale Erwärmung deutlich unter 2°C und möglichst 1,5°C zu begrenzen, einhalten zu können.“
Mit dem steigenden Meeresspiegel steigt auch das Risiko für häufigere und stärkere Überflutungen. Erst kürzlich hat der jüngste IPCC-Sonderbericht zu Ozeanen und Kryosphäre gezeigt, dass extreme Meeresspiegelereignisse, die derzeit nur einmal in hundert Jahren zu beobachten sind, durch den zu erwartenden Meeresspiegelanstieg um 24-32 Zentimeter bis 2050 in vielen Teilen der Welt jährlich auftreten könnten. Das kann für viele Küsten- und Inselgemeinschaften verheerende Auswirkungen haben und damit der Völkerwanderung (Klimaflüchtlinge) einen weiteren Auftrieb geben.
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