Ameisen betreiben seit 66 Millionen Jahren Landwirtschaft
Von: Florian Klebs
Nicht nur Menschen betreiben Landwirtschaft – Ameisen beherrschen diese Kunst schon viel länger. Sie bauen Pilze an. Und das seit 66 Millionen Jahren, wie Forschende mit Beteiligung der Universität Hohenheim in Stuttgart herausgefunden haben. Möglich wurde dies durch Gensequenzierung, aus der sich ein Stammbaum der Pilze ableiten liess. Kombiniert mit dem Stammbaum der Ameisen konnten die Forschenden eine Jahrmillionen dauernde Koevolution belegen, bei der sich die Arten in ihrer jeweiligen Evolution gegenseitig beeinflussten. Dass die Forschenden dabei auch neue Arten beschreiben konnten, kommt dem Schutz der Biodiversität zugute. Die Ergebnisse wurden jetzt in der Fachzeitschrift Science publiziert.
Ameisen betreiben seit 66 Millionen Jahren Landwirtschaft
Prof. Dr. Christian Rabeling braucht Geduld und Ausdauer: Bei tropischer Hitze verfolgt er sorgsam bis zu zwei Meter lange, winzige Gänge in der Erde, die sich manchmal wie Tannenbäume auffächern. Vor manchen Baumeistern solcher Kunstwerke muss er sich in Acht nehmen: Blattschneiderameisen können recht aggressiv auf die Störung reagieren. Kleinere Ameisen-Arten sind dagegen sehr scheu und ziehen sich vor ihm zurück.
Bis zu drei Tage kann es dauern, bis der Forscher der Universität Hohenheim fündig wird: eine Art Nest von der Grösse eines Golfballs am Ende eines Ganges. Darin wird Landwirtschaft betrieben – und zwar seit rund 66 Millionen Jahren, so die neue Erkenntnis der Forschenden.
„Die Ameisen züchten gezielt Pilze als Nahrungsquelle und versorgen sie mit Blättern als Substrat“, erklärt der Evolutionsbiologe. Über 250 Ameisenarten haben sich auf den Anbau von Pilzen spezialisiert, und die Pilze passten sich im Laufe der Evolution eng an ihre Wirte an. „Manche bilden Strukturen, die nur in der Kultivierung durch Ameisen vorkommen. Und sie lassen sich ausserhalb des Ameisennests gar nicht kultivieren – ein Zeichen einer echten koevolutiven Beziehung, bei der sich beide Partner gegenseitig beeinflussen und gemeinsam entwickeln.“
DNA-Sequenzanalysen geben Aufschluss über Verwandtschaft
Das Phänomen an sich ist seit rund 150 Jahren bekannt. Der Naturforscher Fritz Müller schilderte seinem Kollegen Charles Darwin seine Beobachtungen zu den pilzzüchtenden Ameisen in Brasilien, woraufhin Darwin den Briefwechsel 1874 zur Publikation an das Fachmagazin „Nature“ schickte. Doch lange Zeit war es nicht möglich, die Pilzarten voneinander zu unterscheiden und deren Stammesgeschichte zu rekonstruieren. Erst seit den 1990er Jahren ermöglichen molekularbiologische Untersuchungen Aussagen dazu.
Seitdem können Forschende über DNA-Sequenzanalysen die Verwandtschaftsverhältnisse verschiedener Arten bestimmen. Die Ähnlichkeit der Gene gibt Aufschluss über die Verwandtschaft und über den Verlauf der Evolution. „Heute verwenden wir dabei moderne Hochdurchsatzmethoden, die die Evolutionsbiologie revolutioniert haben“, erläutert Prof. Dr. Rabeling.
Die Forschenden nutzen sogenannte hochkonservierte Gene, die über grosse Zeitspannen und Artgrenzen hinweg kaum Änderungen erfahren haben. Sie kommen in vielen Organismen vor und dienen als Ankerpunkte, um aus kleinen Proben Tausende von Genabschnitten zu analysieren. Letztendlich lassen sich daraus ganze Stammbäume erstellen.
Koevolution von Pilzen und Ameisen
„Stammbäume für die Ameisen gab es bereits, doch nun ist es uns gelungen, auch Stammbäume für die Pilze aufzustellen“, freut sich Prof. Dr. Rabeling. Den neuen Evolutionsbaum für 475 Pilz-Arten kombinierten sie mit einem Baum für 276 Ameisen-Arten. Dieser Abgleich ergab, dass ein gemeinsamer Vorfahr sowohl bei den pilzzüchtenden Ameisen als auch bei den Pilzen vor etwa 66 Millionen Jahren lebte – kurz nach dem Einschlag eines Asteroiden im Bereich der heutigen mexikanischen Halbinsel Yucatán, der das Aussterben der Dinosaurier auslöste.
Dieser Moment markiert eine wichtige Phase in der Geschichte der Erde, nicht nur für die Grossreptilien. Abkühlung und Dunkelheit führten auch zu einem Massensterben vieler Pflanzenarten, was den Pilzen einen evolutionären Vorteil verschaffte. „Das könnte ein Schlüsselfaktor dafür gewesen sein, dass Ameisen sich verstärkt auf Pilze spezialisierten.“
Neu beschriebene Arten dienen Schutz der Biodiversität
Bei dem Blick in die Evolutionsgeschichte haben die Forschenden durch ihre Arbeit zahlreiche neue Arten und Gattungen entdeckt und beschrieben – und das kommt künftig der Biodiversität zugute. Dieses Thema hat sich das Kompetenzzentrum für Biodiversität und integrative Taxonomie (KomBioTa) auf die Fahnen geschrieben, bei dem das Fachgebiet von Prof. Dr. Rabeling ein Kernelement darstellt.
„Die Artbeschreibung ist der erste Schritt zum Schutz der Artenvielfalt“, stellt der Experte fest. „Denn schützen können wir nur Arten, die wir kennen. Und je mehr wir über sie wissen, wo sie vorkommen und wie sie leben, desto besser können wir Massnahmen zu ihrem Schutz ableiten.“
Hintergrund
Das Artensterben und insbesondere der Rückgang der Insekten stellt eine der grossen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts dar. Der Verlust an Vielfalt betrifft Pflanzen, Tiere, Pilze und Mikroorganismen, deren Fehlen die Funktion von Ökosystemen, und damit auch wichtige Serviceleistungen für den Menschen, wie die Bestäubung der Pflanzen bis hin zu fundamentalen Ökosystemleistungen, wie dem Reinigen von Luft und Wasser, gefährdet.
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