Petermann-Gletscher droht riesiger Eisberg-Abbruch
Von: Ralf Röchert
Risse in der siebzig Kilometer langen und fünfzehn Kilometer breiten schwimmenden Eiszunge des 1‘300 Quadratkilometer grossen Petermann-Gletschers im äussersten Nordwesten Grönlands deuten auf einen weiteren Abbruch eines grossen Eisberges hin. Wie Glaziologen des Alfred-Wegener-Institutes, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in einer neuen Studie berichten, hat sich seit dem 120 Quadratkilometer grossen Eisberg-Abbruch im Jahr 2012 das Fliesstempo des Gletschers um durchschnittlich zehn Prozent erhöht, sodass in der Folgezeit neue Risse entstanden sind – ein durchaus natürlicher Vorgang. Modellsimulationen der Forscher zeigen jedoch: Sollten auch diese Eismassen abbrechen, wird sich der Petermann-Gletscher vermutlich weiter beschleunigen und mehr Eis ins Meer transportieren, mit entsprechenden Folgen für den globalen Meeresspiegel. Die Studie ist im „Journal of Geophysical Research: Earth Surface“ erschienen und frei erhältlich.
Luftaufnahme des Store-Gletschers, Westgrönland (uummannaq fjord) (Foto: Coen Hofstede)
Der Petermann-Gletscher im äussersten Nordwesten Grönlands gehört zu den bekanntesten Gletschern der Region. Zum einen umfasst sein Einzugsgebiet vier Prozent des Grönländischen Eisschildes. Zum anderen besitzt er eine schwimmende Eiszunge wie nur zwei weitere Gletscher Grönlands. Diese schiebt sich derzeit über eine Strecke von etwa siebzig Kilometern in den Petermann-Fjord. Risse etwa zwölf Kilometer oberhalb der bisherigen Gletscherkante deuten darauf hin, dass in naher Zukunft wieder ein großer Eisberg vom Petermann-Gletscher abbrechen könnte.
Zu diesem Ergebnis kommen Glaziologen des Alfred-Wegener-Institutes, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven, nachdem sie Satellitenaufnahmen des Gletschers aus den zurückliegenden zehn Jahren analysiert haben.
„Die Satellitendaten zeigen, dass der Petermann-Gletscher im Winter 2016 mit einer Geschwindigkeit von durchschnittlich 1‘135 Metern pro Jahr floss. Dies entsprach einer Beschleunigung von etwa zehn Prozent im Vergleich zum Winter 2011 und wir haben uns gefragt, was diesen Geschwindigkeitsanstieg ausgelöst hat“, erzählt AWI-Glaziologe und Mitautor Niklas Neckel.
Felswände als Gletscherbremse
Die Wissenschaftler simulierten daraufhin den beobachteten Eistransport des Petermann-Gletschers in einem Computer-Eismodell und konnten nachweisen, dass der Abbruch eines grossen Eisberges im August 2012 die Beschleunigung des Gletschers in Gang gesetzt hatte.
„Die Eismassen des Gletschers reiben auf ihrem Weg ins Meer rechts und links an Felswänden, welche den Fjord einrahmen. Bricht nun am Ende der Gletscherzunge ein grosser Eisberg ab, schrumpft die Länge der Eiszunge insgesamt und damit auch die Strecke, auf der die Eismassen die Felsen berühren. Deren Bremswirkung sinkt und der Gletscher beginnt, schneller zu fliessen“, erklärt AWI-Eismodellierer und Erstautor Martin Rückamp.
Eine ähnliche Beschleunigung sagt das Computermodell auch für den Fall voraus, dass es zu einem erneuten Eisberg-Abbruch kommen sollte. „Wir können nicht vorhersagen, wann der Petermann-Gletscher wieder kalben (Abbrechen grösserer Eismassen) wird und ob ein Abbruch tatsächlich bis zu den von uns entdeckten Rissen in der Gletscherzunge reichen wird“, sagt Martin Rückamp. „Anzunehmen ist aber, dass die Gletscherzunge im Falle eines weiteren Abbruchs wieder deutlich schrumpfen und die Bremswirkung der Felsen noch weiter abnehmen wird“.
Eine Folge des Klimawandels?
Inwieweit der beschleunigte Eistransport des Petermann-Gletschers auf verschiedene Konsequenzen der globalen Erderwärmung zurückzuführen ist, haben die Wissenschaftler bislang nicht tiefgreifend untersucht. „Wir wissen jetzt, dass das Fliesstempo des Gletschers infolge von Eisberg-Abbrüchen steigt. Ausserdem beobachten wir, dass die Häufigkeit solcher Abbrüche am Petermann-Gletscher zunimmt. Ob dafür jedoch die wärmer werdende Atmosphäre über Grönland oder aber wärmeres Meerwasser verantwortlich ist, haben wir anhand der Satellitendaten nicht untersuchen können“, so Niklas Neckel.
Für die Wissenschaftler ist die Beschleunigung des Petermann-Gletschers dennoch ein Signal. Im Gegensatz zu den Gletschern im Südosten und Südwesten Grönlands haben die Gletscher im hohen Norden der Insel bislang kaum Veränderungen gezeigt. Das scheint sich nun zu ändern.
Der Grönländische Eisschild und die dazugehörigen Gletscher haben seit dem Jahr 2002 im Durchschnitt jährlich 286 Milliarden Tonnen Eis verloren. Diese Massenverluste sind vor allem auf die Zunahme der sommerlichen Oberflächenschmelze zurückzuführen. Das Kalben von Eisbergen hat ebenfalls zugenommen. Grönlands Gletscher verlieren heutzutage ein Viertel mehr Eis durch Eisberg-Abbrüche als im Vergleichszeitraum von 1960 bis 1990.
Als mögliche Ursachen werden u.a. wärmere Meeresströmungen diskutiert, welche die schwimmenden Gletscherzungen von unten schmelzen, sowie Schmelzwasser, welches durch Spalten und Risse bis ins Gletscherbett sickert und dort wie ein Schmiermittel das Gleiten der Eisströme beschleunigt.
Derzeit tragen die Eismassenverluste Grönlands jährlich etwa 0,7 Millimeter zum globalen Meeresspiegelanstieg bei. Dieser beträgt aktuell 3,3 Millimeter pro Jahr.
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