Erst fokussieren, dann fliehen
Von: Helena Dietz
Forschende des Exzellenzclusters „Kollektives Verhalten“ der Universität Konstanz haben herausgefunden, wann Tauben ein Raubtier scharf erkennen und in welchem Moment sie die Flucht ergreifen.
Bei der Beobachtung von Tauben fällt eines schnell auf: Ihr Kopf ist immer in Bewegung. Sei es das ulkige Nicken beim Laufen oder das ständige Kippen des Kopfes, wenn sie versuchen, etwas in den Blick zu nehmen. Forschende des Exzellenzclusters „Kollektives Verhalten“ an der Universität Konstanz untersuchen anhand dieser Bewegungen die Blickrichtungen der Vögel und ihre Reaktion auf mögliche Fressfeinde. Doch wie kann solch ein Vorhaben gelingen?
Um das zu klären, müssen Forschende einer Taube ganz tief in die Augen schauen. Auf die Netzhaut, um genau zu sein. Dort befindet sich eine kleine Einsenkung, die den Bereich des schärfsten Sehens darstellt, die sogenannte Fovea. Auch das menschliche Auge hat dieses Areal. Es ermöglicht beispielsweise das gestochen scharfe Lesen dieser Textzeile, während das restliche Umfeld unscharf in den Hintergrund tritt.
Biolog:innen ist bereits länger bekannt, wo dieser Punkt im Auge liegt. Eine hiervon ausgehende gedachte Linie definiert den Bereich der scharfen Sicht. Es wird angenommen, dass Tauben ihre Fovea nutzen, um eine Bedrohung zu identifizieren.
Bislang wurde diese Annahme jedoch noch nicht wissenschaftlich untersucht. Mithilfe von computergestützten Technologien zur Bewegungserfassung haben die Biolog:innen Mathilde Delacoux und Fumihiro Kano vom Exzellenzcluster „Kollektives Verhalten“ an der Universität Konstanz nun diese Blickrichtungen anhand der Kopfhaltung gemessen und in Freiversuchen analysiert, wie sich Tauben bei der Beurteilung von Fressfeinden verhalten.
Wie sich herausstellte, nutzen Tauben ihre Fovea gezielt, um Bedrohungen zu identifizieren. „Sie konzentrieren sich auf die Quelle der Gefahr, um sie zu untersuchen und das damit verbundene Risiko einzuschätzen“, erklärt Mathilde Delacoux.
Aufgefallen ist dabei, dass Tauben, die mit dem Fressen beschäftigt waren, in der Tat die Bedrohung langsamer erkannten als Artgenossen, die ihren Kopf nach oben hielten. Zudem zeigte sich, dass die Tiere, die sich mit ihrer Fovea auf die Gefahr fokussierten, schneller die Flucht ergriffen. Ein reiner Schatten im peripheren Gesichtsfeld führte hingegen selten direkt zu einer Fluchtreaktion.
Bemerkenswert ist zudem, dass Tauben zwar beim eigenen Entdecken eines Feindes zunächst auf diesen fokussieren, ihren Schwarmkollegen aber blind vertrauen. Picken sie in der Gruppe gerade Futter, genügt das Auffliegen mehrere Artgenossen im peripheren Sichtfeld, um auch bei den übrigen Tauben eine Fluchtreaktion auszulösen – ohne vorab genau hinzuschauen, was den Nachbarn erschreckt haben könnte.
Dank der noch neuen Technologie der 3D-Darstellung von Kopfpositionen und Blickrichtungen können individuelle, aber auch Gruppeninteraktionen genauer analysiert und interpretiert werden. „Die Ergebnisse der Studie sind ein wichtiger Baustein zur Erforschung dessen, was Vögel wahrnehmen, wie sie individuell darauf reagieren und inwieweit sie dadurch das Verhalten des gesamten Schwarms beeinflussen“, fasst Fumihiro Kano die Relevanz der Studie zusammen.
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