Ein Gespräch über Musik, Schönheit und Frieden
Von: Pfr. Andreas Fischer
Stundenlang üben Assel Abilseitova und Rani Orenstein die beiden Klavierkonzerte, die sie am kommenden Samstag zur Aufführung bringen werden. In einer Pause bitte ich sie, ihr gemeinsames Spiel im Gespräch zu reflektieren. Die Kasachin Assel Abilseitova (AA) ist Muslima, Rani Orenstein (RO) jüdischer Israeli. Die Situation in Israel, sagt Rani Orenstein gleich zu Beginn, sei sehr, sehr schlecht. Es herrsche Chaos allüberall. Er, der sonst eine geradezu überirdische Gelassenheit ausstrahlt, wirkt aufgewühlt.
Assel Abilseitova und Rani Orenstein spielen kommenden Samstag im ref. Kirchgemeindehaus Kaiseraugst das 23. Klavierkonzert in A-Dur, KV 488 von Wolfgang A. Mozart sowie das 2. Klavierkonzert in f-moll, op. 21 von Frédéric Chopin. (Fotos: Jutta Wurm)
RO: Was am 7. Oktober passiert ist, ist das Schrecklichste, was man sich vorstellen kann. Die Hamas ist eine furchtbare Terrororganisation, und Israel hat das Recht zu existieren – davon bin ich überzeugt, auch wenn ich die derzeitige Regierung sehr kritisch sehe. Die Situation ist völlig blockiert, man hat keine Ahnung, wie es weitergehen könnte. Und die Atmosphäre ist emotional extrem aufgeheizt.
AA: Irgendwie gibt es auch hier in der Schweiz kein Gefühl von Sicherheit und Frieden mehr, auch wenn man nicht direkt vom Gazakrieg betroffen ist. Was dort in Israel und im Gazastreifen geschieht, das betrifft auch uns.
RO: Für mich und meine Familie ist es schwierig, ein scheinbar alltägliches Leben hier in der Schweiz zu führen. Natürlich bin ich dankbar für die stabile politische Situation hier, doch irgendwie ist es auch verwirrend, einen normalen Alltag zu leben, und zu wissen, was im Nahen Osten derzeit abgeht.
AA: Wie schätzt du eigentlich die Bedeutung der Religion in dem Konflikt ein?
RO: Das Problem mit der Religion ist, dass sie von allen Seiten immer extremer gelebt wird. Religion hat mit Hingabe an etwas Höheres, Grösseres zu tun, da besteht natürlich die Möglichkeit, die Menschen zu manipulieren.
AA: In meiner Kindheit in Kasachstan ist mir beigebracht worden, dass jeder Mensch auf der einen Schulter einen Dämon und auf der anderen einen Engel habe. Die Religion helfe eigentlich, der Stimme des Engels zu folgen.
RO: Ja, eigentlich sollte Religion zu dem führen, was man im Judentum als ‚Heiligung des Lebens‘ bezeichnet. Doch es kann eben auch das Umgekehrte geschehen. Religion kann sich aus guten böse Menschen machen. Es ist so einfach, Menschen zu ideologisieren, zu radikalisieren.
AA: Ich finde den Unterschied zwischen Religion und Ideologie wichtig. Oder vielleicht wäre statt Religion Spiritualität das bessere Wort. Ich glaube an Gott, ich nenne ihn in meiner Tradition Allah, aber es ist doch keine Frage, dass all diese alten Bücher – die Bibel, der Koran – von Menschen geschrieben sind, und zwar vor langer Zeit. Sie enthalten keine absoluten Wahrheiten.
RO: Ja, es ist eine schwierige Aufgabe, innerhalb der Heiligen Schriften zu differenzieren, da gibt es so viel Gewalt, aber eben auch so viel Weisheit.
AA: Ich glaube an die Seele, ich glaube, dass es etwas vorher gibt und nachher. Und du?
RO: Ich bin eher agnostisch, doch ich glaube, dass es eine physische Ebene gibt, die Ebene der Instinkte. Und dann gibt es eine Ebene, die darüber hinaus geht, die nach dem Ganzen fragt, die Ebene des Staunens. Die Musik öffnet diesen Raum, Kunst insgesamt, die Schönheit. Es ist der Raum des Nicht-Begreifbaren. Die Musik führt dich über dich hinaus, aber nicht so, dass es dich irgendwohin katapultiert und dann Tschüss. Vielmehr führt dich die Kunst über dich hinaus und gerade so zu dir selbst, ins Innerste. Es ist etwas kompliziert, was ich da zu sagen versuche.
AA: Aber ich verstehe gut, was du meinst. Und ich spüre, dass, wenn du spielst, du dort bist, in jenem Raum. Das ist sehr eindrücklich. Deine Musik ist dann wie eine Predigt.
RO: Schön, danke. Und du, was erlebst du, wenn du spielst?
AA: Nach einem Auftritt, sei es in einem Konzert oder auch in einem Gottesdienst, bin ich mehr in Kontakt mit mir selber. Und ich bin stolz und happy, wenn meine Musik auch die Zuhörenden mehr in Kontakt mit sich selber bringt – und mit anderen. Wenn die Menschen sensitiver werden. Dann hat Musik Bedeutung.
RO: Das verstehe ich gut. Zugleich finde ich es aber wichtig, dass Musik zweckfrei bleibt. Es geht nicht darum, mit Musik bessere Menschen zu machen, auch wenn das eine Wirkung der Musik sein kann. Aber die Musik hat ihren Zweck in sich. Und das gilt besonders für die Musik von Chopin und Mozart. Es ist Musik, die fliesst. Da geht es nicht wie bei Beethoven um Kampf, Widerstand, Revolution.
AA: Genau, da geht es um Schönheit. Ziel dieser Musik ist die reine Schönheit – was sich, übrigens, bei beiden Komponisten nicht unmittelbar in ihrem Charakter widerspiegelt. Beide waren ziemlich arrogant und keine reine Seelen. Doch die Musik führt eben darüber hinaus, in diesen anderen Raum, wo es keine Gegensätze gibt zwischen Juden, Christen und Muslimen und auch nicht zwischen Nationen. Und von dort her hat die ‚reine Schönheit‘ dann vielleicht doch eine ‚Funktion‘, eine Wirkung: Menschen, die jenen Raum kennen, werden Krieg, Gewalt, Negativität, Egoismus nicht gut finden.
Konzert auf zwei Flügeln
Am Samstag, 25. November, um 18.15 Uhr spielen die beiden Pianisten Assel Abilseitova und Rani Orenstein im reformierten Kirchgemeindehaus Kaiseraugst das 23. Klavierkonzert in A-Dur, KV 488 von Wolfgang A. Mozart sowie das 2. Klavierkonzert in f-moll, op. 21 von Frédéric Chopin. Der Eintritt ist frei (Kollekte).
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