Der Fasnächtler
Von: Pfr. Andreas Fischer
Man sieht sie verkleidet, bemalt, maskiert. Wer sich hinter der Larve verbirgt, bleibt Geheimnis. Irgendwann im Sommer, im Biergarten der Dorfkneipe, spricht mich einer an: Er sei Mitglied der Grossschtadtchnulleri, und zu dem, was mich beruflich beschäftigt, „Gott“, habe er ein paar Dinge zu sagen. Jetzt, kurz vor der Fasnacht, trifft man sich zum Gespräch.
Fasnächtler Adrian (Foto: zVg)
Adrian ist in Birsfelden aufgewachsen. Was man seinem Dialekt nicht anhört, er redet Berndeutsch. Das komme vom Vater, der komme aus Burgdorf. Von dort habe er auch seinen konservativen Protestantismus mitgebracht. Er sei Präsident der Kirchenpflege gewesen, die Kinder – Adrian ist das zweite von vier – mussten jeden Sonntag zur Kirche, an Weihnachten mussten sie vorsingen.
„Ich habe immer an etwas geglaubt“, sagt Adrian, „aber an das, woran ich wollte“. Woran? „An Gott. Nicht an Christus.“ Obwohl, fügt er zögernd hinzu, der sei ja auch irgendwie Gott. Aber jedenfalls: An Gott habe er immer geglaubt, glaube er auch heute noch. Und an Engel. Die haben ihm in den entscheidenden Momenten im Leben geholfen.
Adrian absolvierte zunächst eine Lehre als Verkäufer, doch da verdiene man zu wenig, also hängte er noch eine Fahr- und Motorradlehre an. Dann arbeitete er in einer Bude als Mech, er war ein Freak, chrampfte bis zehn Uhr nachts, die Kunden kamen aus dem Tessin angereist, um ihre Vespa von ihm flicken zu lassen. Der Chef sass dieweil in der Beiz.
Als er ihm zu Weihnachten einen Bonus von 100 Franken zukommen liess, hatte Adrian genug. Er wechselte in die Chemie, liess sich zum Apparateführer ausbilden, wurde Schichtführer. Der Job gefiel ihm, destillieren, den Dampf kondensieren lassen, es sei wie Kochen gewesen. Zirka drei Jahrzehnte arbeitete Adrian dort.
Der Moment, wo alles anders wurde
Seine Frau lernte Adrian in einer Bar in Liestal kennen, es war Liebe auf den ersten Blick. Bald darauf fuhr man zusammen in die Ferien, sie wurde schwanger, man heiratete, zwei Kinder kamen zur Welt, sie sind inzwischen 18 und 21 Jahre alt. Alles war gut.
Doch dann kam jener Moment, wo alles anders wurde. Adrian war mit dem Mofa unterwegs. Ein Auto fuhr ihm in die Fahrbahn, er flog drei Meter hoch in die Luft, den Helm schleuderte es fort, Adrian prallte mit dem Kopf auf den Asphalt. So wurde es ihm erzählt, er selber erinnert sich an nichts.
Ein Arzt fuhr vorbei, leistete erste Hilfe, organisierte die Ambulanz. Im Unispital wurde er operiert, wie viele Brüche es waren, weiss er nicht mehr. Adrian konnte nicht mehr gehen, nicht mehr sprechen. Er kam nach Bellikon in die Reha. Ein Jahr lang war er dort, kämpfte sich ins Leben zurück. Das erste Wort, das er wieder aussprechen konnte, war „Natalie“, der Name seiner Tochter.
Heute hat Adrian keine Kopfschmerzen mehr, einer von tausend sei er, er habe Glück gehabt. Beziehungsweise: Gott habe ihm geholfen. Dass jener Arzt an der Unfallstelle vorbeifuhr, sei kein Zufall gewesen.
„Das war Gottes Plan. Ohne Gott wäre er heute tot.“ Weshalb ihn Gott nicht vor dem Unfall bewahrt hat? „Gott“, glaubt Adrian, „interveniert erst, wenn es ganz schlimm ist.“ Bei ihm sei das nach dem Unfall gewesen. Und auch danach sei es nicht nur Gott gewesen, der gearbeitet habe, auch sein eigener Wille sei wichtig gewesen. „Wir haben zusammengearbeitet, Gott und ich“. Das sei es, was er mir mal habe erzählen wollen, sagt Adrian, ohne Kostüm und Maske.
Bald ist wieder Fasnacht. Die Fasnacht bedeute ihm viel, schon als Jugendlicher habe er Trompete in einer Gugge gespielt. Als er nach Kaiseraugst kam, vor zwanzig Jahren, wollte er auch hier mitmachen. In der Gülle, wie man früher das Bassin in der Kaiseraugster Badi nannte, lernte er Guido kennen. Da sei er an den Richtigen geraten, Guido, Fasnachtsurgestein, sei damals der Major der Chnulleri gewesen. Adrian lernte Posaune spielen, dann Sousaphon, diese riesige Kontrabasstuba, die schwer zu tragen ist und viel Luft braucht.
Dunkel im Hirn
Zwei Jahre nach dem Unfall durfte Adrian wieder Fasnacht machen. Für ihn sei das wie Weihnacht und Geburtstag zusammen gewesen. Vor lauter Begeisterung hyperventilierte er und fiel um. Man munkelte im Dorf, er habe halt zu viel getrunken. „Doch ich hatte“, sagt Adrian, „nicht zu viel Alkohol, ich hatte zu viel Atem“. Seither spielt er „Bässli“, Euphonium.
Noten zu lesen, fällt ihm schwer. Er hat es nach dem Unfall mühsam wieder zu lernen angefangen, mit zusätzlichen Proben. „Es ist“, sagt Adrian, „dunkel im Hirn. Es hat chli en Schade.“ Die Konzentration lässt schnell nach, und wenn er sich überfordert fühlt, wird er verrukkt.
Dabei ist Adrian eigentlich ein fröhlicher Mensch. An der Fasnacht und an Festen liebt er es zu tanzen. Er hat seinen ganz eigenen Stil. Seine Frau will eigentlich richtig tanzen lernen, Standard und Latin, doch Adrian tanzt, wie er will und wie es ihm Spass macht. An der Altersheimfasnacht auch mit Bewohnerinnen im Rollstuhl. „Wenn man die Freude sieht“, sagt er, „dann ist es schön.“
Ausserdem spielt er Darts, aber nur, wenn es der dichtgedrängte Terminkalender der Gugge zulässt. Der Zusammenhalt unter den Chnulleri tut ihm gut. Adrian kann Teilzeit arbeiten in der Garage eines Guggenmitglieds, „der, der jetzt Sousaphon spielt“. Aus der Garage kommt gegen Mittag der Anruf: Die Pizza sei bereit, mit scharfer Salami, wie Adrian sie liebt.
Andreas Fischer
INFO Fasnachtsgottesdienst
Am Sonntag, 9. Februar um 11 Uhr findet im reformierten Kirchgemeindehaus Kaiseraugst zum 17. Mal der Chaiseraugster Fasnachtsgottesdienst statt. Auch diesmal wird die lokale Gugge „Grossschtadtchnulleri“ ihre diesjährigen Kostüme präsentieren und ihre neu einstudierten Stücke uraufführen. Das Thema ist tabu.
Dies jedoch ist garantiert: Der Lärm wird ohrenbetäubend und das Gaudi gross sein. Und auch die Nervosität. Es herrscht Premieregroove, bei der Gugge und auch beim Pfarrer und dessen Frau. Cool ist einzig Theobald, em Pfaff sin Aff. Er wird in einem von einer Schneiderin extra für ihn massgeschneiderten Kostüm auftreten und ex cathedra, von der Kanzel herab vorwitzig-altkluge Reden vortragen:
„Heut müsst ihr nicht auf Durchzug schalten! / Der Pfaff wird seine Schnuure halten. / ICH werde in der Kirche walten. / Drum, Leute, kommt in grosser Zahl! / Mich zu verpassen wär fatal.“
Im Namen von Theobald und allen anderen Beteiligten lädt herzlich ein:
Andreas Fischer, Pfarrer von und zu Chaiseraugst.
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