Kaiseraugst setzt auf Wachstum
Von: Hans Berger
In den 1960er Jahre, als die Überbauung Liebrüti noch in der Planung steckte, war landauf landab die Wachstums-Euphorie so gross, dass Kaiseraugst gar anstrebte, innert kurzer Zeit den Status einer Stadt (10‘000 Einwohner) zu erreichen. Heute jedoch, sechzig Jahre später, zählt die einstige Römerstadt lediglich 5‘628 Einwohner. Der kantonale Richtplan prognostiziert dennoch, dass bis im Jahr 2040 die Wohnbevölkerung auf 7‘910 wachsen wird, dies, obwohl zurzeit das dafür nötige eingezonte Bauland gar nicht zur Verfügung steht. Potenzial für das Wachstum ortet Kaiseraugst derzeit indes im Gebiet nördlich der Überbauung Römerpark inmitten der „Pharmazone“ (Roche, DMS, Solvanis).
(v.l.) Jan Krarup, CEO und Partner beim Büro ffbk Architekten; Michael Haug, Geschäftsführer der Ernst Frey AG; Françoise Moser, Gemeindepräsidentin Kaiseraugst; Roger Rehmann, Gemeindeschreiber Kaiseraugst. Im Hintergrund das zu überbauende Areal Wurmisweg West, resp. Römerpark. (Fotomontage)
Das in unmittelbarer Nachbarschaft des pharmazeutischen Dienstleisters Solvias und der DSM liegende, rund 28‘000 m2 grosse Gelände der Firma Ernst Frey AG befindet sich derzeit jedoch noch in Arbeitszone. Will heissen: Bevor mit der Planung der rund dreihundert, mehrheitlich 2½- und 3½-Zimmer-Wohnungen begonnen werden kann, hat das Kaiseraugster Stimmvolk noch ein gehöriges Wort mitzureden. Die Möglichkeit dazu besteht ab heute bis 19. Februar im Mitwirkungsverfahren, bevor dann über eine allfällige Umzonung von der Arbeits- in eine Wohnzone an der Sommergemeindeversammlung endgültig entschieden wird.
Am Mittwoch, 23. Januar, und Dienstag, 29. Januar findet zudem , von 17 bis 19 Uhr im Gemeinderatszimmer eine öffentliche Fragestunden zu den Teilrevisionen der Nutzungsplanung und des Gestaltungsplans statt.
Begehrte Wohnlage
Das vom Kanton bereits abgesegnete Projekt steht angesichts der Zersiedlungsinitiative, des hohen Leerwohnungsbestandes und der daraus resultierenden Abzeichnung einer erneuten Immobilienblase etwas im Widerspruch zur momentanen Stimmungslage in der Bevölkerung.
Wie jedoch am vergangenen Freitag, anlässlich einer Medienorientierung sowohl Gemeindepräsidentin Françoise Moser wie ebenso Michael Haug, Geschäftsführer der Ernst Frey AG und Jan Krarup, CEO und Partner beim Büro ffbk Architekten übereinstimmend bekundeten, ist Kaiseraugst eine zu begehrte Wohnlage, als dass die drei vorgängig genannten Aspekte das mit 100 Millionen Franken veranschlagte Projekt negativ beeinflussen können.
Pro
Deren positive Bewertung ist tatsächlich auch nicht völlig von der Hand zu weisen, denn zum einen befindet sich die betreffende Parzelle mitten in einer Siedlung, zum anderen ist eine Wohnzone alleweil adretter zu gestalten wie eine eingezäunte, mit „Beton-Monolithen“ bestückte Arbeitszone.
Zudem fügt sich das neue Projekt so harmonisch in den bestehenden Römerpark ein, dass daraus ein „Gesamtwerk“ entsteht, welches sich ferner in die moderne Architektur südlich der Landstrasse integriert. Kommt hinzu, dass der hohe Leerwohnungsbestand allenfalls ein Problem der Eigentümer, nicht aber der Mieter ist, da er erheblich zur Drosselung der hohen Mietzinsen beiträgt.
Für die Gemeinde hat das Projekt indes auch noch einen finanziellen Reiz, da ihr die Umzonung der Parzelle in eine „höhere Liga“ zusätzliches Geld und die neuen Bewohner sichere Steuereinnahmen bringen ohne dass dafür Schulräume gebaut werden müssen, wie Gemeindepräsidentin Françoise Moser versicherte.
Insofern könnte also nebst der Aargauer und Kaiseraugster Regierung auch der ortsansässige Souverän Gefallen an der gefälligen, frühestens im Jahre 2024 realisierten Überbauung finden.
Kontra
Allerdings zeigt sich wiederholend, dass sich an Gemeindeversammlungen immer wieder selbsternannte „Bauexperten“ hervortun und ein Projekt zu Fall bringen, ohne dass sie sich vorgängig damit intensiv befasst haben und im Nachgang keine Verantwortung für den Entscheid übernehmen müssen.
Ein Argument gegen das rund zur Hälfte aus Miet- und Eigentumswohnungen bestehende Projekt könnte das in vielen Orten festzustellende bestreben eines Nullwachstums im Immobilienbereich sein, respektive das freihalten von Baugebieten zugunsten der nachkommenden Generationen.
Gibt es Wohlstand ohne Wachstum?
„Nein“ sagt Michael Dauderstädt, Ökonom und Leiter der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung, „künftiger Wohlstand wird nicht darin bestehen, dass wir überflüssigen Konsum vermeiden, Umweltressourcen schonen und die nicht marktbezogene Produktion in Familie und Ehrenamt ausdehnen. Wobei selbst diese Aktivitäten vielfach indirekt Wachstum auslösen, weil sie Investitionen benötigen. Klimaschutz und Ressourcenknappheit verlangen eine neue Qualität des Wachstums, aber nicht sein Ende.“
In der Wirtschaftskrise habe Wachstumspessimismus zwar Konjunktur. Aber das sei kein Grund, auf soziales und ökologisches Wachstum zu verzichten, das an gesellschaftlichen Bedürfnissen und technischem Fortschritt ausgerichtet sei und dort kaufkräftige Nachfrage schaffe, wo der gesellschaftliche Bedarf sei.
„Ja“ hingegen sagt Meinhard Miegel, Soziologe und Vorstandschef des Denkwerks ‚Zukunft – Stiftung kulturelle Erneuerung, denn Wohlstand und Wachstum seien keine siamesischen Zwillinge.
„Gewiss brauchen Menschen zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse Dienstleistungen und materielle Güter. Doch ist ein bestimmtes Niveau erreicht, brauchen sie nicht immer mehr davon. Die meisten haben ein gutes Gefühl dafür, wann ihre Mägen und Truhen voll sind.“
Die Menschen wüssten, dass Wohlstand, wie ihn die Wirtschaft schaffe, zwar wichtig, aber keineswegs umfassend sei. In gewisser Weise beginne menschenspezifischer Wohlstand sogar erst da, wo der wachstumsorientierte Wohlstand ende.
„Das heisst, bewusst zu leben, die Sinne zu gebrauchen, Zeit für sich und andere zu haben ist nicht zuletzt Revitalisierung der spirituell-kulturellen Dimension des Menschen, die durch das Streben nach Wirtschaftswachstum weithin verkümmert ist.“
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