«Glücklich bin ich dann allemal»
Von: Pfr. Andreas Fischer
Sylvia König ist Dozentin für Kunst an der Pädagogischen Hochschule Zürich. Dass sie selber malt, hielt sie lange geheim. Nun hat sie sich bereit erklärt, im reformierten Kirchgemeindehaus Kaiseraugst einen Bilderzyklus auszustellen. Er ist, passend zur Adventszeit, sehr leise, zeigt Rehe, scheu, unscharf, im Nebel verschwindend.
Sylvia König (Foto: Jutta Wurm)
Man kennt sich seit mehr als vier Jahrzehnten, aus gemeinsamen Schulzeiten. Und weil Sylvia König damals als scheu galt, erlaubt sich der Schreibende im Gespräch die Frage, ob das Thema der Ausstellung – «Das Wesen der Rehe» – etwas mit ihrer eigenen Person zu tun habe. Sie schliesse das nicht aus, lautet die Antwort.
Doch Anlass für die Bilderserie seien Begegnungen mit Rehen in der Corona-Zeit gewesen. Bei ausgedehnten Spaziergängen im Wald am Stadtrand von Zürich fielen ihr die Tiere auf.
«Mit der Zeit meinte ich zu wissen, wo sie sich aufhalten», erzählt Sylvia König. «Ich fragte mich, ob sie mich gelegentlich absichtlich darauf hinweisen, dass sie da sind. Aber eben nur, wenn sie sich zeigen wollten. Als ich einmal mit dem Fotoapparat in den Wald ging, sah ich zu meiner grossen Enttäuschung kein einziges Reh. Und mehrfach, als ich angestrengt nach ihnen suchte, fand ich sie nicht. Man meint zu wissen, unter welchen Umständen die Chance gross ist, Rehe zu entdecken, dass sie Hunde und Jogger nicht mögen, dass sie, wie ich selbst, die blaue Stunde lieben, dieses besondere Licht in der Dämmerung vor Einbruch der Dunkelheit. Doch dann sieht man Rehe, die sich weder von Hunden noch Joggern verscheuchen lassen, und das mitten am Tag. Sie sind echte Wildtiere, nicht zu kontrollieren, unverfügbar in ihrem Verhalten.»
Jööö
Sylvia König, was nicht oft vorkommt, redet nun einfach drauflos: «Und dann diese grossen, dunklen Augen, mit denen sie dich anschauen, dich in ihren Bann ziehen, absolut ruhig, ohne einen einzigen Wimpernschlag.» Den Einwand, dass das ein wenig kitschig klinge, lässt sie gerne gelten. Das, sagt sie, sei die grosse Herausforderung bei der Auseinandersetzung mit dem Reh-Motiv: «Bambi, Sissi, Walt Disney, die runden Augen, der Jö-Effekt, die ganze Försteridylle, das macht die Sache schwierig. Ohne Bambi geht nichts. Dabei ist Bambi eigentlich gar kein Reh, sondern ein Hirsch.»
Zur Überlagerung des Themas mit einer Patina von Kitsch und Klischee kommt noch eine weitere Schwierigkeit: Sylvia König, ausgebildete Lehrerin und Absolventin eines fünfjährigen Studiums an der Zürcher Hochschule der Künste, ist Dozentin an der Pädagogischen Hochschule Zürich.
Als solche hat sie einen akademischen Zugang zur Kunst und weiss, dass sich mit Rehen schon viele Künstler befasst haben, unter ihnen ganz grosse wie Franz Marc, der selber ein Reh gehabt haben soll, oder Frida Kahlo, deren berühmtes Selbstporträt «Der verletzte Hirsch» nach einer Operation an der Wirbelsäule entstand. «Gerade bei einem so besetzten Thema», sagt Sylvia König, «gilt es, sich den eigenen Zugang nicht zu verstellen bzw. allererst zu ent-decken. So verstehe ich auch meine Arbeit mit den angehenden Lehrerinnen und Lehrern.»
Bitte nicht alle denselben Pinguin ausmalen!
Künstlerischer Ausdruck, fährt sie fort, sei ein Menschenrecht. Sie zitiert die pakistanische Soziologin und UNO-Sonderberichterstatterin für das Recht auf Bildung, Farida Shaheed, die sinngemäss sagt, künstlerischer Ausdruck sei kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit, ein wesentliches Element unserer Menschlichkeit und ein grundlegendes Menschenrecht.
«Die Schule», fährt Sylvia König fort, «man muss das leider so sagen, verhindert diesen künstlerischen Ausdruck oft eher als dass sie ihn fördert, wenn die Lehrer aus lauter Unbeholfenheit ihre Schulkinder alle denselben Pinguin ausmalen lassen.» Ihre erste Aufgabe als Kunstdozentin sei es, den angehenden Lehrern den Irrglauben zu nehmen, sie seien nicht gut im Malen.
In diesem Zusammenhang sei zuweilen der Hinweis auf Jackson Pollock hilfreich, einen der bedeutendsten modernen US-amerikanischen Maler. «Der fiel durch die Akademien, weil er nicht abzeichnen konnte. Und natürlich kann man sagen, dass ein gewisses Talent im Abzeichnen von Vorteil ist. Aber erstens ist Abzeichnen trainierbar, und zweitens geht es in der Kunst nicht ums Kopieren, sondern ums Erschaffen von etwas, was es in der sogenannten Realität noch nicht gibt. Paul Klee hat das mit einem unglaublich treffenden Grundsatz zur Sprache gebracht: ‘Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern Kunst macht sichtbar’.» Jackson Pollock wurde berühmt u.a. durch seine «Dripping Paints», in denen er eine Leinwand auf den Boden legte und Farbe darauf spritzte.
Zweite Naivität
Und, ist das Kunst?, fragt man nach. Es entsteht eine von ziemlich vielen längeren Stillen im Gespräch. Sylvia König hat offenbar keine pfannenfertigen Antworten, ja, sie scheint sich geradezu darum zu bemühen, keine derartigen Antworten zu haben. Sie sucht, sie schürft nach Worten. Schliesslich verweist sie noch einmal auf Paul Klee, den grossen deutsch-jüdischen Künstler, der in der Schweiz zur Welt kam und starb: Als jemand spottete, was er da zeichne, könne doch jedes Kind, soll er sinngemäss geantwortet haben, eben dies sei sein Ziel.
Um aber eine solche zweite Naivität zu erlangen, fügt Sylvia König hinzu, brauche es Übung, Übung, Übung. Das sei der zweite Punkt, den sie ihren Studenten mitgebe, wenn sie sich erstmal von der Vorstellung befreit haben, sie seien künstlerisch unbegabt. «Dann gilt es, sich an die Arbeit zu machen, die Wahrnehmung schärfen.»
Zwar sei die Malerei, anders als das Schreiben und Lesen von Texten, in gewissem Sinn unmittelbar. Man muss dafür kein Alphabet kennen. Doch genauer besehen gibt es auch in der Malerei so etwas wie Buchstaben, Orthografie, Syntax und Grammatik: «Es gibt Raumaufteilungen, Farbübergänge, die alten Meister kannten das alles, und die modernen auch, auch wenn sie mit Grundregeln zum Teil bewusst brechen.»
Zeichnungen am Zeitungsrand
Wie sie merke, wenn ein Bild gelingt? Wieder zögert Sylvia König, wieder dehnt sich die Stille. Dann gibt sie, ungewöhnlich für sie, Persönliches preis: Ihr früh verstorbener Vater sei Schreiner gewesen. Als Kind habe sie ihn immer zeichnend erlebt, das habe sie geprägt.
«Oft nahm er einen Zeitungsrand und skizzierte darauf ein Möbel, das er nachher erstellte. Er war ein künstlerisch hoch begabter Mensch, doch wenn er so am Zeichnen war, dann strahlte er eine kindliche Freude aus. Wenn ich selber in Kontakt komme mit dieser Energie, dann fühlt sich das gut an. Dann ist da die kleine Sylvia im Kindergarten am Malen, selbstvergessen, mit sich selbst und der Welt zufrieden. Dann geht es mir gut, auch wenn die Zeichnungen dann manchmal nicht gelingen und ich die Entwürfe am Ende zerfetze. Glücklich bin ich dann allemal.»
Im Rahmen einer Ausstellung im reformierten Kirchgemeindehaus Kaiseraugst vom 29. November (Beginn Vernissage: 19.15 Uhr, mit Klavierkonzert von Daniel Borovitzki und Apero Riche von der Yoya Pita Bar Basel) bis 31. Dezember (Beginn Gottesdienst mit Finissage: 19.15 Uhr) können die Bilder des Zyklus «Vom Wesen der Rehe» von Sylvia König besichtigt und gekauft werden (weitere Informationen).
Ref. Rheinfelden
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