Lassen sich Nutzpflanzen impfen?
Von: Angelika Hamacher
Es stand im Schatten der Corona-Krise – das „Internationale Jahr der Pflanzengesundheit 2020“, ausgerufen von den Vereinten Nationen. Die wachsende Weltbevölkerung hat einen enormen Bedarf an Lebensmitteln, aber auch an Textilien, Medikamenten und Kraftstoffen aus Pflanzen.
„Heute gehen aber immer noch rund vierzig Prozent der Erträge an Nutzpflanzen durch Schädlinge und Krankheiten verloren“, sagt Professor Uwe Conrath von der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen (RWTH). Er ist Leiter des Lehr- und Forschungsgebiets Biochemie und Molekularbiologie der Pflanzen. In der Aachener Biologie wird die systemisch erworbene Resistenz, eine Komponente des pflanzlichen Immunsystems, erforscht. Sie kann durch eine moderate Erstinfektion provoziert werden – ähnlich der Impfung beim Menschen.
Schon vor Jahren prägte Conrath den Begriff Abwehrpriming: Er hatte entdeckt, dass eine pilzinfizierte Gurkenpflanze eine Resistenz nicht nur gegen diesen bestimmten Pilz, sondern gegen ein breites Spektrum von Pilzen, Bakterien, Viren und abiotische Stressfaktoren entwickelte.
Der Kontakt mit dem Krankheitserreger versetze die Zellen in einen Alarmzustand, erklärt er. Die Pflanze synthetisiere beispielweise Eiweissmoleküle, die dann in ihrem gesamten Organismus schlummerten und nur bei einem erneuten Angriff sehr stark aktiviert würden. Deshalb sei das Priming (Beeinflussung der Verarbeitung), die Sensibilisierung nach einer Erstinfektion, eine überaus energieeffiziente Reaktion: Sie werde nur im Ernstfall eingeschaltet und hemme die Pflanzen nicht in ihrem Wachstum und Ertrag.
Für diese Forschungsergebnisse interessieren sich die Hersteller von Pflanzenschutzmitteln, mit denen das Lehr- und Forschungsgebiet kooperiert. Denn Pestizide wirken häufig gegen einzelne oder nur wenige Krankheitserreger. Zudem besteht die Gefahr, dass sie auch Nützlinge eliminieren oder dass Chemikalien-Rückstände im Grundwasser ebenso wie auf den Feldfrüchten verbleiben.
Es bestehe daher, so der Molekularbiologe, ein grosses Interesse an natürlichen oder naturnahen Substanzen. Sie sollen einerseits toxisch gegen die Krankmacher wirken, andererseits aber das pflanzeneigene Abwehrsystem anregen.
Abwehrpriming der Pflanzen nutzen
So wurden gemeinsam mit Chemikern und Verfahrenstechnikern der RWTH teilweise automatisierte Prüfsysteme entwickelt, um Stoffe aufzufinden, die das Abwehrpriming in Pflanzen hervorrufen. Ein System nutzt die Eigenschaft der Petersilie, fluoreszierende Verbindungen zu produzieren, die eine Aktivierung der Abwehrreaktion anzeigen. Die Petersilienzellkultur leuchtet im UV-Licht besonders stark, wenn ein Wirkstoff ihr Immunsystem scharf stellt. „Was bei der Petersilie wirkt, ist auch bei anderen Pflanzen möglich“, versichert Conrath.
Konventionelle Pflanzenschutzmittel belasten die Umwelt auch, weil der Regen sie abwäscht: Landwirte müssen sie immer wieder neu ausbringen. Deshalb haben die Aachener Biologen Conrath und Professor Ulrich Schwaneberg in Zusammenarbeit mit anderen Forschungseinrichtungen an Pflanzenoberflächen haftende „Ankerpeptide“ aus der Natur, zum Beispiel aus der Wanze, entwickelt. Sie wurden mit einem antimikrobiellen Protein aus der Haut eines Baumfrosches verbunden, damit das Protein nach dem Regen an den Blättern verbleiben kann.
Das patentierte Anhaftungsverfahren habe man bereits bei Früchten wie Sojabohne, Avocado, Mais oder Heidelbeere getestet. Die Ankerpeptide kommen auch in Verbindung mit so genannten Gelcontainern zum Einsatz, die Professor Andrij Pich von RWTH-Institut für Technische und Makromolekulare Chemie konzipiert hat. Diese Container können als Green Release-Technologie mit Wirksubstanzen beladen werden. Unter Feuchtigkeitseinwirkung quellen die Gele, ihre Poren weiten sich und lassen die Substanz frei. Dabei verhindern die Ankerpeptide, dass der Regen das Gelreservoir herunterspült.
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