Auch die „Erdschieflage“ beeinflusst, wie nass es wird
Von: Kristin Beck
Ursachen für wechselnde Niederschlags- und Feuchtigkeitsmengen in der Erdvergangenheit zu verstehen, ist eine wichtige Voraussetzung, um zukünftige Veränderungen des Hydroklimas auf der Erde besser abschätzen und bei Klimamodellierungen berücksichtigen zu können. Einem Forschungsteam unter Leitung des Leibniz-Instituts für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) gelang es nun erstmals, rund 50’000 Jahre Hydroklima der mittleren Breiten des Südostpazifiks anhand spezieller Indikatoren in Meeressedimentbohrkernen zu analysieren. Wichtigstes Ergebnis: Natürliche Schwankungen der Erdbahnparameter üben einen entscheidenden Einfluss aus. Die Studie erschien im Fachjournal Nature Communications.
Die Erde hängt schief im All! Wenn man sich die Erdumlaufbahn von der Seite anschaut, dann sieht man: Die Erdachse zeigt nicht gerade nach oben, sondern die Erde ist um etwa 23 Grad zur Seite gekippt. Vor etwa 800 Millionen Jahren hat sich die Erde um fünfzig Grad zur Seite geneigt, vermuten amerikanische Forscher: Auf die heutige Erde übertragen würde Alaska dann am Äquator liegen. Verantwortlich für diese Verschiebung war wohl ein großer Vulkan in der Arktis, der eine Unwucht der Erddrehung verursachte.
Den vom Menschen verursachten Klimawandel und seine Auswirkungen korrekt zu erfassen und Zukunftsszenarien möglichst zuverlässig modellieren zu können, ist unabdingbar wichtig, um negativen Klimawandelfolgen mit wirksamen Strategien entgegentreten zu können.
Ein Themenfeld, das dabei im Fokus von Klimaforschenden weltweit steht, ist das Hydroklima– also die Gesamtheit aller langfristigen Wettererscheinungen einer Region, die über Niederschlags- und Feuchtigkeitsmengen entscheiden. Denn der Weltklimarat konstatiert unmissverständlich: Mit fortschreitendem Klimawandel nimmt das Risiko für das Auftreten von Hydroklima-Extremen – sowohl Dürren als auch Starkregenereignisse – zu.
„Das Hydroklima einer Region zu verstehen oder für die Zukunft modellieren zu wollen, ist alles andere als trivial und mit grossen Unsicherheiten verbunden. Denn es ist das Ergebnis eines ausserordentlich komplexen Zusammenspiels vieler Faktoren“, sagt Jérôme Kaiser vom IOW. „Die Analyse von Veränderungen bis weit in die Vergangenheit des Erdklimas kann helfen, Muster zu erkennen und damit wichtige Einflussfaktoren zu identifizieren“, so Kaiser weiter.
Als Erstautor verantwortet der Experte für Paläozeanographie und Paläoklima die in Nature Communications erschienene Studie gemeinsam mit Forschenden des Alfred-Wegener-Instituts Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, des Bremer MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen sowie von zwei chilenischen Universitäten, der University of Magallanes in Punta Arenas und der University of Chile in Santiago.
Der Blick in die paläoklimatische Vergangenheit wurde in der Studie durch die Analyse mehrerer Sedimentkerne aus dem Südpazifik ermöglicht, die vor der nord- und der südchilenischen Küste am Kontinentalhang aus Wassertiefen zwischen rund 850 und 3'300 Metern entnommen wurden.
„Meeressedimente, die sich im Lauf der Jahrtausende in sehr gut datierbaren Schichten ablagern, sind exzellente Archive, aus denen wir anhand bestimmter Indikatoren – sogenannte Umweltproxies – vergangene Umweltbedingungen auf der Erde rekonstruieren können“, erklärt Kaiser. Die Bohrkerne in der vorliegenden Studie spiegeln einen Zeitraum von rund 50’000 Jahren wider.
Das Forschungsteam um Kaiser konzentrierte sich bei der Proxy-Untersuchung vor allem auf den Gehalt von Deuterium (einem natürlich auftretenden Wasserstoff-Isotop) in Blattwachsen von Landpflanzen, die sich auch in Meeressedimenten ablagern. „Denn wir wissen, dass unterschiedliche Gehalte sehr viel über die Niederschlagsverhältnisse einer Region aussagen – über Menge und Intensität des Niederschlags, ja sogar darüber, woher die Feuchtigkeit stammt, aus der sich der Niederschlag gebildet hat“, erläutert Kaiser den Ansatz.
Aus den Ergebnissen lassen sich klare Muster bezüglich Feuchtigkeitsquellen und Niederschlagsmengen im Hydroklima der mittleren Breiten des Südostpazifiks ablesen, und das, obwohl die Sedimentkerne einen sehr langen Zeitraum abbilden, der sich über das nacheiszeitliche Holozän hinaus bis zurück in das Pleistozän mit seinen Kalt- und Warmzeiten erstreckt und somit stark wechselnde klimatische Grundbedingungen aufweist:
Im Süden Chiles waren und sind offenbar vor allem subantarktische Westwinde die Hauptquelle für Niederschläge; in den mittleren Breiten Chiles hingegen kommt viel Regen zusätzlich zu den Westwinden auch aus den Subtropen. Wie viel Niederschlag in den beiden Regionen aus diesen Quellen ankommt, unterliegt über die Jahrtausende hinweg jedoch deutlichen Langzeitschwankungen.
„Für uns war besonders interessant, dass die Schwankungen in Niederschlagsmenge und -intensität markanten zeitlichen Zyklen folgen, die erst durch den langen von den Sedimentkernen abgedeckten Zeitraum sichtbar wurden: In Zentralchile beträgt die Zyklus-Länge 23.000 Jahre, in Südchile dagegen 41.000 Jahre“, hebt Jérôme Kaiser hervor. Diese zeitlichen Muster korrelieren sehr gut mit zeitlichen Zyklen von natürlichen Veränderungen der Erdbahn um die Sonne: Im Zuge eines „Präzession“ genannten Phänomens, das mit dem kürzeren Niederschlagszyklus in Zentralchile korreliert, durchläuft die Erdachse eine kegelförmige Rotationsbewegung und verändert damit die Ausrichtung der Erde zur Sonne.
Zusätzlich verändert die Erdachse ihre Schräglage innerhalb der Erdkugel, was als „Erdachsenneigungs-Phänomen“ bezeichnet wird. Dieses wirkt sich ebenfalls auf die Ausrichtung der Erde zur Sonne aus und korreliert mit dem längeren Zeitzyklus der Niederschläge im Süden Chiles. „Beide orbitalen Phänomene beeinflussen die ‚Schieflage‘ der Erde im Verhältnis zur Sonne und damit die Intensität der Sonneneinstrahlung, die in den verschiedenen Erdregionen ankommt. Und dies hat wiederum Folgen für die Winde, die Feuchtigkeit und Regen transportieren“, sagt Kaiser.
Dass die orbitalen Schwankungen auch klimatische Folgen haben, wurde theoretisch schon länger vermutet und in regionalen Klimamodellen berücksichtigt, so der Paläoklimaexperte weiter. „Unsere Studie hat jedoch erstmals durch die Ergebnisse der Deuterium-Messungen konkret belegt, dass das Hydroklima der mittleren Breiten Chiles auf orbitalen Zeitskalen ganz wesentlich gesteuert wird. Und auch hydroklimatische Extreme in Süd-Zentral-Chile, wie die sehr hohen Niederschlagsmengen während der letzten Eiszeit und die ausgeprägte Trockenheit des frühen Holozäns sind dadurch plausibel zu erklären“, fasst Jérôme Kaiser zusammen.
Der Warnemünder Forscher geht in seinen Schlussfolgerungen aber noch weiter: „Es kann hier nicht darum gehen, hydroklimatische Extremereignisse komplett auf die ‚Erdschiefe‘ zu schieben. Aber um das Signal von menschgemachten Klimawandelfolgen korrekt erkennen zu können, müssen wir die Schwankungen, die auch natürlichen Einflüssen unterliegen, besser verstehen und zudem berücksichtigen, dass sich natürliche und menschengemachte Schwankungen in der Wirkung aufaddieren können. Das gilt auch für Nord- und Mitteleuropa, wo sich die variable Erdbahn natürlich auch klimatisch bemerkbar macht.“
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