Schwere Geburt - Auch Schimpansen müssen pressen
Von: mm/f24.ch
Einer neuen Studie zufolge haben nicht nur Menschen, sondern auch Schimpansen bei der Geburt mit engen Platzverhältnissen zu kämpfen. Beim Menschen kommt erschwerend der durch den aufrechten Gang verdrehte Geburtskanal hinzu. Dieses «Geburtsdilemma» habe sich im Laufe der Evolution allmählich entwickelt, so die Forschenden.
Laut der neuen Studie hat sich das «Geburtsdilemma» schrittweise im Laufe der Evolution entwickelt – doch auch bei Schimpansen hat der Geburtsvorgang evolutionäre Kompromisse gefordert. (Foto: Patrick Rolands / Adobe Stock / UZH)
Die Geburt bei Schimpansen und anderen Menschenaffen wird gemeinhin als unproblematisch beschrieben – wegen ihres relativ geräumigen Beckens und des kleinen Kopfes der Neugeborenen. Im Gegensatz dazu ist die Geburt beim Menschen die komplexeste und risikoreichste unter den Säugetieren.
Laut der «Geburtsdilemma»-Hypothese entstand während der menschlichen Evolution ein Konflikt zwischen der Anpassung des Beckens an den aufrechten Gang und der Zunahme der Hirngrösse.
Einerseits haben sich die Beckenschaufeln verkürzt, um die Balance auf zwei Beinen zu verbessern, andererseits musste der grosse Kopf des Babys durch den Geburtskanal passen. Als Lösung dieses Dilemmas unterscheidet sich die Form der Beckenknochen zwischen den Geschlechtern, und menschliche Babys kommen neurologisch unreifer zur Welt als andere Primaten.
Ein internationales Forschungsteam unter Leitung von Nicole M. Webb vom Senckenberg Forschungsinstitut und Martin Häusler von der Universität Zürich verglich die anatomischen Gegebenheiten des Geburtsvorgangs bei Schimpansen und Menschen.
Die Studie zeigt: Ein enger Geburtskanal im Verhältnis zum Kopf findet sich nicht nur beim Menschen. Das bisher allein durch die Entwicklung des aufrechten Gangs und die Grösse des menschlichen Gehirns erklärte «Geburtsdilemma» sei demnach nicht plötzlich bei der Entwicklung des modernen Menschen entstanden, sondern habe sich vielmehr schrittweise im Laufe der Evolution entwickelt – und beim Menschen dann zugespitzt und verschärft.
Becken beim Schimpansen genauso eng wie beim Menschen
Um die These des «Geburtsdilemmas» zu überprüfen, verglich das Forschungsteam für die neue Studie zunächst die «Platzverhältnisse» im Geburtskanal von Schimpansen und Menschen, den mittleren Abstand zwischen dem Fötuskopf und dem knöchernen Becken. «Das Becken ist bei beiden Arten völlig unterschiedlich geformt und der Kopf des menschlichen Fötus wird während der Geburt gebeugt, bei Schimpansen dagegen meist gestreckt. Durch eine dreidimensionale virtuelle Simulation des Geburtsvorgangs konnten wir zeigen, dass die räumlichen Gegebenheiten im Schimpansen-Becken tatsächlich genauso eng sind wie bei uns Menschen», erklärt Paläoanthropologin Nicole M. Webb.
Auch weibliche Schimpansen haben ein geräumigeres Becken als Männchen, und ihre Neugeborenen sind ebenfalls sekundäre Nesthocker – ähnlich wie menschliche Babys, wenn auch weniger extrem.
«Aufgrund dieser verblüffenden Parallelen schlagen wir als neue Hypothese vor, dass sich das Geburtsdilemma im Laufe der Evolution schrittweise entwickelt und zunehmend verschärft hat. Dies widerspricht der bisherigen These, dass unsere lange und schwierige Geburt mit der Vergrösserung des Gehirns bei Homo erectus abrupt entstanden ist», erläutert Martin Häusler.
Durch die Zunahme der Körpergrösse bei Vorfahren der Menschenaffen wurde das Becken steifer, was die Dehnungsfähigkeit während der Geburt einschränkte. Bei den frühen Hominiden führte der aufrechte Gang zu einem verdrehten Geburtskanal, was komplexe Bewegungen des Fötuskopfes erforderte. Dieser Mechanismus, und nicht die Enge des Geburtskanals, sei die Hauptursache für die schwierige Geburt beim Menschen.
Komplexer Geburtsvorgang ist evolutionärer Kompromiss
Die Studie zeigt, dass der bemerkenswert komplexe menschliche Geburtsvorgang das Ergebnis schrittweiser Kompromisse während der Hominiden-Evolution ist. «Die schwierige Geburt und die neurologische Unreife unserer Neugeborenen, mit der langen anschliessenden Lernphase, sind eine Grundvoraussetzung für die Evolution unserer Intelligenz. Gleichzeitig stehen wir Menschen damit nur am Ende eines Extrems – unter den Primaten sind wir aber nicht einzigartig», so Häusler. «Tatsächlich gibt es sogar einzelne Beobachtungen von Geburtshilfe unter in Gefangenschaft lebenden Orang-Utans. Geburten von Menschenaffen in freier Wildbahn wiederum werden nur äusserst selten beobachtet – hier benötigen wir dringend mehr Daten zu ihrem Verhalten bei der Geburt», ergänzt Webb.
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