Klimaschonend, selten lohnend
Von: Julika Witte/f24.ch
Während in der Schweiz der Ausstieg aus der Atomenergie zwar bestimmt, aber nicht terminiert ist, gehen in Deutschland die KKW bereits im Jahr 2022 vom Netz. Andere Länder wie China, Russland und Japan setzten hingegen verstärkt auf Kernkraft. Welche Rolle spielt die Kernenergie also für die künftige Weltstromerzeugung – und fürs Klima? Mit dem neuen Publikationsformat „Kurz erklärt!“ gibt das Akademienprojekt „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS) Antworten. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kommen zu dem Schluss, dass Kernenergie in Zukunft kaum noch konkurrenzfähig sein wird.
Die sechzehnjährige schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg hat mit ihrer positiven Aussage zur Atomenergie die Debatte zur Rolle der Kernkraft, auch in der Schweiz neu entflammt. Anfangs Aprill setzte sie sich in einem Facebook-Post für die Atomenergie ein, berief sich darin auf den Weltklimarat IPCC und erklärte, dem wissenschaftlichen Gremium zufolge könne Kernenergie einen kleinen Beitrag zu einer kohlenstoffarmen Energieversorgung leisten.
Unbestritten ist: Strom aus Kernkraftwerken ist sehr CO2-arm. Doch welche Risiken stehen dem gegenüber, und sind Bau und Betrieb von Reaktoren überhaupt noch wirtschaftlich?
In dem neuen Format „Kurz erklärt!“ analysieren ESYS-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Bedeutung der Kernenergie für die künftige Weltstromerzeugung. Sie stellen fest: Die Antwort auf die Frage, ob Strom günstiger aus Kernkraftwerken oder aus erneuerbaren Energien produziert werden kann, unterscheidet sich von Land zu Land – je nach Marktdesign, politischen Steuerungsinstrumenten und dem Anteil der Erneuerbaren im System.
Ein Beispiel: Während in Deutschland Strom aus Erneuerbaren etwa genauso viel kostet wie Strom aus Kernenergie, ist Atomstrom in den USA teurer als grüner Strom, in Südkorea jedoch günstiger.
Eindeutig belegbar ist hingegen, dass Konzerne Atomkraftwerke in liberalisierten Strommärkten nur noch dann bauen, wenn Staaten die Abnahme des Stroms garantieren, wie es gegenwärtig zum Beispiel in Grossbritannien geschieht.
„Aufgrund gestiegener Sicherheitsanforderungen ist es teurer geworden, in Kernkraft zu investieren. Ihr Einsatz lohnt sich nur, wenn die Kraftwerke im Dauerbetrieb laufen. Das ist bei dem gleichzeitigen Ausbau der erneuerbaren Energien aber kaum möglich. Lange Planungs-, Bau- und Betriebszeiten erhöhen zudem das Risiko, dass alternative Stromerzeugungstechniken während dieser Zeit günstiger werden.
All dies führt dazu, dass Atomreaktoren in liberalisierten Strommärkten heute kaum noch konkurrenzfähig sind“, fasst ESYS-Sprecher Dirk Uwe Sauer (Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen) die wirtschaftlichen Nachteile zusammen.
Hingegen sind die Investitionskosten für erneuerbare Energien zuletzt stetig gesunken, und neben Unternehmen können auch Genossenschaften oder Privatpersonen in Windräder und Solaranlagen investieren. Die variablen Kosten für bestehende Kernkraftwerke sind jedoch relativ gering, weshalb in vielen Ländern Laufzeitverlängerungen der Bestandskraftwerke geplant sind.
Während Deutschland konsequent aus der Kernenergie aussteigt, bauen andere Länder die Atomkraft weiter aus: 55 Reaktoren werden weltweit neu errichtet. Derzeit produzieren die USA und Frankreich zusammen fast die Hälfte des globalen Atomstroms, Frankreich allein die Hälfte des europäischen. Auch in Zukunft wird Atomstrom fester Bestandteil der französischen Energieversorgung bleiben.
In China wächst die Stromerzeugung aus Kernenergie weltweit am stärksten – die Regierung baut elf neue Reaktoren. Russland baut die Kernkraft ebenfalls aus und Japan hat nach der Katastrophe von Fukushima mittlerweile neun Reaktoren wieder in Betrieb genommen.
Obwohl Strom aus Kernkraftwerken sehr CO2-arm ist, integrieren nur wenige Staaten Kernenergie in ihre Selbstverpflichtungen zum Klimaschutz. Stattdessen will die überwiegende Mehrheit der Länder ihre Klimaziele mit dem Ausbau erneuerbarer Energien erreichen.
Die ESYS-Fachleute erwarten, dass die Menge des Atomstroms in Zukunft leicht steigen wird. Da insgesamt immer mehr Strom produziert wird, nimmt der Anteil der Kernenergie an der Weltstromerzeugung jedoch ab. Er ist von 17,5 Prozent im Jahr 1996 auf 10,2 Prozent im Jahr 2018 gesunken.
„Eine grosse Herausforderung liegt aber noch vor uns: Der Umgang mit dem Atommüll ist weiterhin ungeklärt. Die Expertise für Rückbau und Endlagerung muss sowohl in Forschung und Lehre als auch in der Industrie erhalten bleiben und teilweise neu aufgebaut werden“, erklärt Dirk Uwe Sauer.
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