Ob Kinder lügen, hängt stark vom sozialen Umfeld ab
Von: Gunnar Bartsch
Erziehung und Elternhaus bestimmen wesentlich, wie oft Kinder lügen. Mit einfachen Massnahmen lässt sich dieses Verhalten positiv beeinflussen. Das zeigt eine neue Studie von Ökonomen aus Würzburg, Bonn und Oxford.
Mit einem einfachen Würfel-Experiment lässt sich untersuchen, wie ehrlich Kinder sind – zumindest im Durchschnitt. (Foto: Mit KI erzeugt)
Jeder Mensch lügt – der eine mehr, der andere weniger. Das ist bei Kindern nicht anders. Welchen Einfluss das Elternhaus und die Erziehung dabei ausüben, hat ein internationales Team von Wirtschaftswissenschaftlern jetzt untersucht.
Die zentralen Ergebnisse: Kinder aus Haushalten mit hohem sozioökonomischem Status sind ehrlicher, verglichen mit Kindern, die unter eher prekären Bedingungen aufwachsen. Auch ein verständnisvoller Erziehungsstil und ein hohes Mass an Vertrauen stehen in Verbindung mit Ehrlichkeit.
In Stein gemeisselt ist die Lust zum Lügen jedoch nicht. Die Teilnahme an einem speziellen Mentoring-Programm zieht ein höheres Mass an Ehrlichkeit nach sich – und das auch noch viele Jahre nach Ende des Programms.
Verantwortlich für diese Studie sind die Wirtschaftswissenschaftler Fabian Kosse (Universität Würzburg), Johannes Abeler (University of Oxford) und Armin Falk (Universität Bonn). Die Ergebnisse ihrer Untersuchungen haben sie in der Fachzeitschrift The Economic Journal (Das Wirtschaftsjournal) veröffentlicht.
Ein Würfelexperiment bringt die Wahrheit ans Licht
„Wir sind der Frage nachgegangen, welche Faktoren bei Jugendlichen Präferenzen für Ehrlichkeit bestimmen und inwieweit diese Präferenzen veränderbar sind“, beschreibt Fabian Kosse den Ansatz der Studie.
Die Ehrlichkeit überprüft haben die Forscher mit einem denkbar einfachen Experiment. Dabei sollten die Kinder würfeln und vor ihrem Wurf die Zahl vorhersagen, die der Würfel anzeigen wird. Stimmten Vorhersage und Ergebnis überein, erhielten sie einen kleinen Geldbetrag.
Der Clou daran: Die Kinder waren beim Würfeln unbeobachtet und niemand konnte überprüfen, ob ihre Vorhersage stimmte oder nicht. Sie konnten also sicher sein, dass eine Lüge nicht aufgedeckt werden würde.
Der Rest ist Statistik: „Wenn alle die Wahrheit sagen, müssten der Wahrscheinlichkeit nach ein Sechstel der Teilnehmer, also etwa 16,7 Prozent, eine zutreffende Vorhersage angeben“, sagt Johannes Abeler. Tatsächlich behaupteten aber insgesamt mehr als 60 Prozent, dass Vorhersage und Würfelergebnis übereinstimmen würden. Das wiederum bedeutet, dass ein grosser Teil der Kinder gelogen haben muss.
Unterschiede im Ausmass der „Lügenbereitschaft“ wurden sichtbar, als die Wissenschaftler einen Blick auf den sozialen Hintergrund der Kinder warfen. „Unsere Auswertungen zeigen deutlich, dass Kinder aus reicheren Haushalten ehrlicher sind. Darüber hinaus finden wir ein höheres Mass an Ehrlichkeit bei Kindern, die einen wärmeren Erziehungsstil und ein höheres Mass an Vertrauen in ihrem familiären Umfeld erfahren“, erklärt Abeler.
Daten von mehr als 700 Familien
Für ihre Untersuchung konnten die Wissenschaftler auf die Daten von Haushalten aus Köln und Bonn zurückgreifen. 2011 hatten sie Familien mit Kindern, die zwischen September 2002 und August 2004 geboren worden waren, zur Teilnahme an einer Studie eingeladen. Mehr als 700 Familien hatten, daraufhin Ende 2011 an einer ersten Befragungswelle teilgenommen und Auskunft gegeben über ihr Einkommen, ihren Bildungsstand und zu der Frage, ob beide Elternteile im selben Haushalt lebten. Begleitend dazu wurde der Erziehungsstil und das Verhalten von Kindern und Eltern erfasst.
Zu dem Mentoring-Programm eingeladen wurden anschliessend nach dem Zufallsprinzip 212 Kinder aus sozial schwachen oder bildungsfernen Familien – also Haushalten mit einem geringen Einkommen, in denen kein Elternteil über einen Schulabschluss verfügte, der zum Hochschulstudium berechtigt, oder in denen ein Elternteil alleinerziehend war. 378 Kinder, die unter vergleichbaren Bedingungen aufwuchsen, nahmen nicht an dem Programm teil und bildeten damit die Kontrollgruppe.
„Im Rahmen des Mentoring-Programms ‘Balu und Du’ verbringen ehrenamtliche Mentoren über den Zeitraum von etwa einem Jahr hinweg einen Nachmittag pro Woche mit den Kindern und unternehmen gemeinsam sozialen Aktivitäten wie Kochen, Fussballspielen oder Basteln“, erklärt Armin Falk das Angebot für die 212 Kinder.
Das Programm ziele darauf ab, den Horizont eines Kindes durch soziale Interaktionen mit einer neuen Bezugsperson zu erweitern und ihm ein warmes und vertrauensvolles Umfeld zu bieten – ein wichtiger Faktor für die Entwicklung von Ehrlichkeit, da Kinder auf diesem Weg die Erfahrung machen können, dass es langfristig von Vorteil ist, die Wahrheit zu sagen.
Ein Unterschied wie zwischen Mädchen und Jungen
Ihre Vermutung fanden die Wissenschaftler in den Ergebnissen ihrer Studie bestätigt: „Kinder, die am Mentorenprogramm teilgenommen hatten, waren im Gesamtergebnis ehrlicher“, erklärt Fabian Kosse. Während in der Kontrollgruppe 58 Prozent schummelten, waren es in der Behandlungsgruppe nur 44 Prozent. „Dies ist ein grosser Effekt. Er ist ähnlich gross wie der Unterschied zwischen Mädchen und Jungen“, so Kosse.
Dieser Effekt spricht nach Ansicht der Forscher für den Erfolg des Mentoring-Programms. Da die Studie gut vier Jahre, nachdem die Kinder an dem Programm teilgenommen hatten, durchgeführt wurde, sei dies auch ein Beleg für eine langfristige und anhaltende Verhaltensänderung.
Insgesamt zeige die Studie, dass Präferenzen für Ehrlichkeit tatsächlich veränderbar sind und dass sie durch geeignete Massnahmen verändert werden können. Frühkindliche Interventionen können also nicht nur die Leistungen eines Kindes verbessern, sondern auch deren soziales und moralisches Verhalten beeinflussen.
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