Fast ein Overkill
Von: Elisha
Als Umberto nach Hause kam, sass seine Frau Silva nicht allein am Tisch. Neben ihr hockte Sabrina, seine Schwägerin, mit einer Tasse Tee in der Hand und einem leeren Kuchenteller vor sich. Anscheinend war sie also schon länger da und würde nicht mehr bis in den Abend bleiben. Umberto nickte den beiden zu und begrüsste sie mit wenigen Worten. Seiner Frau gab er noch ein angedeutetes Küsschen auf die Wange, zündete sich dann im Nebenraum eine Pfeife an und setzte sich in seinen Lieblingssessel.
Früher hatte er Sabrina gemocht. Sie war eine lebenslustige Frau gewesen, fast wie eine jüngere Ausgabe seiner Gattin. Doch seit sie mit Sebastian zusammen war, hatte sie sich sehr verändert. Ihre Gesichtszüge wirkten streng, sie lächelte wenig und erzählte eher freudlose Geschichten. Immer gab es jemanden in ihrem Leben, der ihr den Alltag schwer machte, und Empörung brach sich Bahn in ihren Sätzen.
Während er vor sich hin paffte und das Aroma genoss, das allmählich den Raum erfüllte, hörte er klirrende Geräusche aus der Küche. Anscheinend wurde das Geschirr in die Spülmaschine geräumt. Umberto lächelte, freute sich auf ein Glas Wein, dass er mit seiner Frau geniessen wollte. Stattdessen klopfte es leise, und Sabrina steckte den Kopf durch den Türspalt.
„Silva meinte, hier wäre noch eins von Valeries Bildern.“ Sie sah sich suchend um.
„Ja, dort drüben.“ Umberto freute sich über das gezeigte Interesse an der Kunst seiner Tochter. Stolz deutete er zu dem Gemälde, das aus vielen schwarzen Linien und Windungen und wenigen Farbakzenten bestand. „Aber inzwischen hat sie ihre Liebe zur Farbdose entdeckt.“ Er zeigte durchs Fenster auf die Rückwand der Garage, an der ein bunter Schriftzug gesprayt worden war.
Sabrina rümpfte die Nase. „Sie hat die Garage angesprüht?“, fragte sie ungläubig. „Weisst du, was das kostet, so etwas reinigen zu lassen?“
„Diese alte Blechbude?“ Umberto lachte. „Und irgendwo soll sie ja üben. Lieber bei uns als auf der Strasse.“
„Wie kannst du das nur zulassen?“ Sabrinas Stimme wurde angespannter. „Hast du keine Angst, dass sie in Schwierigkeiten kommt?“
Umberto schüttelte den Kopf. „Sie ist vierzehn und will sich ausprobieren. Ist doch gut so. Ich habe sie zu einem Kursus angemeldet, in dem sie künstlerische Anleitung für Graffiti erhält. Auf einem alten Schrottplatz dürfen sie üben.“
Jetzt wurde ihre Stimme wirklich schrill. „Du unterstützt das noch? Denkst du gar nicht daran, welche Jungens sie dann anzieht? Dann ist es nur noch ein kleiner Schritt zu lauter Musik und Drogen!“
Umberto dachte daran, wie er Sabrina kennen gelernt hatte. Damals trug sie noch pechschwarz gefärbte Haare und war immer von lautem Hip Hop umgeben gewesen. Er grinste breit.
„Was bist du nur für ein Vater?“, fragte sie schnippisch. „Wenn du sie künstlerisch fördern willst, könntest du sie doch zu einem Aquarellkurs anmelden. Das passt doch besser für ein vierzehnjähriges Mädchen!“
Umberto verzog das Gesicht. Es fielen ihm so viele Gedanken ein, so viele Bemerkungen, die er machen konnte. Am meisten hakte er sich aber an ihrem Satz fest: „Was bist du nur für ein Vater?“ Wie konnte sie ihn so verletzen?
Und er formulierte eine Entgegnung im Kopf, die genauso vernichtend wirken sollte.
„Was glaubst du, was dein Sebastian für ein Vater werden wird? Er hat dich jetzt schon an der Kandare, und er sagt jedem, ob er es hören will oder nicht, dass er niemals eine Windel wechseln wird. Wenn du Kinder mit ihm hast, wirst du allein erziehen müssen. Überleg dir das genau. Und du weisst ja, wie fehlgeleitet Mädchen werden, denen ein liebender Vater fehlt …“
Er räusperte sich. Bevor er dazu kam, es auch auszusprechen, öffnete sich die Tür weit, und Silva kam herein wie ein Lichtblick in der Dämmerung. Sie schien die Stimmung zu erspüren und sah fragend von einem zum anderen.
Umberto atmete tief ein und dann mit einem Pfeiflaut aus. Erst danach sagte er in neutralem Ton:
„Val hat noch viel zu erleben. Auch Banksy oder Dare haben mal klein angefangen.“
«fricktal24.ch – die Online-Zeitung fürs Fricktal»