Adventsgenuss
Von: Elisha
Marga stöhnte, als sie um die Ecke fuhr. Nicht nur, dass der Henkel ihrer Einkaufstasche plötzlich abgerissen war, so dass sie nur mit Glück und einem gezielten Schwung ihre Einkäufe in den Kofferraum gehievt hatte, um zu verhindern, dass Äpfel, Orangen und Konservendosen auf den Parkplatz des Supermarktes kullerten. Jetzt sah sie auch noch einen fremden Wagen in ihrer Einfahrt stehen. Bestimmt wieder Besuch eines Nachbarn! Sie stellte ihr Auto dahinter ab und versuchte, sich ihren Grimm nicht anmerken zu lassen, während sie eine Handvoll ihrer Einkäufe den längeren Weg an dem Wagen vorbei hinauf zu ihrer Eingangstür trug.
Erst beim zweiten Mal hatte sie alles in ihre Wohnung getragen und liess sich auf ihre Couch fallen. Wie schafften andere es, mit all dem Alltagskram durch den Tag zu kommen, nach der Arbeit noch kurz einzukaufen und sich dann noch ein schmackhaftes Mahl zuzubereiten?
Es begann schon wieder zu dämmern, und ihr fehlten lange Spaziergänge bei Sonnenschein und Tageslicht. Und wenn schon die dunkle Zeit unausweichlich war, sollte der Advent nicht ein Gegengewicht bieten mit Tannenduft und Kerzenschein? Erschöpft blickte sie zu dem Karton neben der Wohnzimmertür, den sie zwar aus dem Keller heraufgeholt, aber noch gar nicht aufgebaut hatte. Strohsterne, Teelichter und eine Duftlampe warteten noch auf ihren Einsatz, dabei war morgen schon der zweite Advent.
Ein Klingeln des Telefons riss sie aus ihren Gedanken, und erfreut erkannte sie die Stimme ihrer Freundin.
„Es ist etwas spontan“, drang der entschuldigende Ton zu ihr, „aber Elfi und Suse kommen vorbei zu einem Adventskaffee. Hast du auch Lust?“
„Du meinst jetzt?“
„Ja, genau! Und komm lieber nicht mit dem Auto! Es gibt später meinen beliebten Eierpunsch!“
„Du meinst wohl, berüchtigt.“ Marga lachte. „Keine Sorge, dann nehme ich das Fahrrad.“
Es war genau das, was Marga sich insgeheim gewünscht hatte. Ella hatte ein Händchen, ihre Wohnung heimelig zu schmücken, und so sassen sie bald in ihrem Wohnzimmer, umgeben von Lichterketten und vom warmen Licht unzähliger Kerzen auf tönernen Leuchtern unterschiedlichster Art. Aus einer selbst getöpferten Duftlampe strömte ihr das Aroma von Zimt und Zitrone entgegen, und der liebevoll gedeckte Tisch lockte mit selbst gebackenen Plätzchen. Leise Musik umgab sie, dazu der Schwall der Worte ihrer Freundinnen. War das nicht der reine Adventsgenuss?
Und natürlich der Eierpunsch, der nicht so klebrig süss wie der sonst meistens kredenzte Glühwein war, aber der ihr auch mit seinem Anteil an Alkohol mächtig einheizte.
„Vielleicht möchtest du ab jetzt lieber einen Schneeball trinken“, schlug Ela schmunzelnd vor und strich ihr mit dem Handrücken sanft über ihre heisse Wange. Dann mischte sie in einem rundlichen Weinglas ein wenig Punsch mit Zitronenlimo, um es ihr zu reichen.
Marga grinste und fühlte sich ertappt. Sie hatte lange nichts gegessen ausser ein paar der Kekse, und die vielen Gläser der süffigen Flüssigkeit waren ihr zu Kopf gestiegen.
„Du kannst auch hier schlafen“, machte Ela ihr ein Angebot. Sie stellte Salzstangen und Laugenbrezel auf den Tisch. „Hier, etwas Salziges, falls ihr von Zucker und Nüssen genug habt.“
Es war verlockend für Marga, aber sie machte sich mit den anderen spät in der Nacht auf den Heimweg. Ihr Fahrrad schob sie lieber, anstatt zu fahren.
„Ein schöner Abend!“, murmelte sie leise, als sie um die Ecke bog.
„Jetzt kommen Sie?“, begrüsste sie eine aufgebrachte Stimme. Marga erkannte ihre Nachbarin von schräg gegenüber, die aus dem Haus stürzte.
Marga sah auf die Uhr an ihrem Handgelenk. „Mitternacht, stimmt.“ Sie gluckste, ohne zu verstehen.
„Sie haben meinen Schwiegersohn eingeparkt, und jetzt hat er sich ein Hotelzimmer genommen. Nehmen müssen.“ Damit zeigte sie mit der ganzen Hand auf das fremde Gefährt in der Einfahrt.
Marga gefiel der anklagende Ton nicht, aber sie hatte auch keine Lust auf Streit.
„Vielleicht sollte er nicht auf meinem Grundstück parken“, sagte sie nur. „Wir sehen uns dann morgen, wenn er fahren will.“ Und sie winkte beiläufig und schritt dann die Einfahrt hinauf zu ihrer Wohnung. Vor der Tür drehte sie sich noch einmal um und sah, wie ihre Nachbarin sie weiter anstarrte.
„Einen schönen zweiten Advent wünsche ich Ihnen“, rief Marga gut gelaunt. Dann verschwand sie leise in ihrer Wohnung.
«fricktal24.ch – die Online-Zeitung fürs Fricktal»