Ehrenschuld
Von: Elisha
„Wenn du dir so sicher bist, können wir doch wetten“, lockte Sabrina und lachte. „Die Verliererin muss den Kühlschrank im Gemeinschaftsraum putzen.“ Dann fiel ihr Blick auf den hochgewölbten Bauch ihrer Kollegin, und sie fügte hinzu: „Das kannst du auch nach dem Mutterschaftsurlaub erledigen.“
Larissa schnitt eine Grimasse. „Ich habe recht, aber wetten tu ich nicht mehr. Da habe ich schon genug Probleme.“
Sie hatte sich bemüht, es leichthin zu sagen, aber Sabrina erkannte den bitteren Unterton in ihrer Stimme, und die Heiterkeit verflog.
„Machst du dir immer noch Gedanken um den Namen?“
„Na ja, Wette ist Wette“, stöhnte Larissa.
„Und deine Schwester lässt nicht mit sich reden?“
Es war angenehm, dass Sabrina die Worte so leicht von den Lippen gingen. „Deine Schwester“. Als wäre es nie anders gewesen, als hätte Larissa vor Jahren nicht einen Bruder gehabt, der extrem unglücklich im Körper eines Mannes war. Im Gegensatz zu ihren Eltern hatte Larissa die Transformation unterstützt und sich gut an ihre „neue“ Schwester gewöhnt. Und ihre Kollegin hatte jeden Schritt in Gesprächen mitverfolgt, wie das Outing als Transfrau, Hormongaben und die Namensänderung.
Jetzt schüttelte Larissa den Kopf.
„Die Wette habe ich ja verloren, bevor meine Schwester meine Schwester wurde.“ Sie sprach unter Anspannung, bemühte sich, die richtigen Worte zu finden.
„Und ihr habt tatsächlich vereinbart, dass der Verlierer sein Kind nach dem anderen benennt? Wie kann man sich auf so eine Wette einlassen?“
„Na ja, damals ging es ja um den Namen Anton. Den fand ich hübsch, und ich konnte mir das gut vorstellen. Und für ein Mädchen war Antonia auch einfach.“
Sabrina nickte. „Problem nur, dass deine Schwester den Namen nicht mehr ausstehen kann“, versuchte sie das Problem nachzuvollziehen.
„Sie heisst ja jetzt Yuna und besteht darauf, dass ich meine Tochter auch so nenne.“ Larissa zog eine Schnute. „Den Namen finde ich grauselig für mein Kind. Das will ich einfach nicht.“ Zum ersten Mal in all den Jahren begann Larissa, auf der Arbeit zu weinen.
Sabrina schaute überrascht, fing sich aber wieder. „Dann kann dich auch niemand dazu zwingen“, sagte sie beruhigend.
„Aber den Deadname kann ich doch auch nicht benutzen, um meine Wette einzulösen“, rief Larissa verzweifelt. „Ich will doch nicht, dass Yuna ihre Nichte hasst!“
Sie schwiegen.
Nach einer Weile versuchte Sabrina, noch einmal alles zu ordnen.
„Wenn ich das richtig verstehe, hast du diese irrwitzige Wette damals nur gemacht, weil du mit Antonia einverstanden warst“, fasste sie zusammen. „Wenn deine Schwester damals schon Yuna geheissen hätte, hättest du nie gewettet, oder?“
„Nein, nie.“
„Aha!“ Sabrina hielt den Zeigefinger in die Luft. „Dann biete ihr das auch an: Antonia oder die Wette ist hinfällig!“
Larissas Augen leuchteten. „Du hast recht. So komme ich daraus“, sagte sie erleichtert.
„Dann lass uns jetzt zu einem ernsteren Problem übergehen: das Geheimnis der Tupperdose in unserem Kühlschrank.“ Sie grinste breit. „Von mir aus auch ganz ohne Wette.“
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