Die Spässe der Percht
Von: Elisha
„Weisst du, wer die Alte da ist?“ Simones neue Kollegin Margitta sass an der Kasse und deutete auf eine ältere Dame, die ihren Einkaufswagen kreuz und quer durch die Gänge des Ladens schob und mit jedem der Kunden ein Gespräch anfing. Auffällig war auch ihre Kleidung: zu dem langen, weinroten Samtrock trug sie eine in Regenbogenfarben geringelte Strickjacke und hielt ein currygelbes, breites Tuch um ihre Schultern gehüllt. Darauf tummelten sich gedruckte Lamas.
„Ja, das ist Frau Percht“, antwortete Simone, die neben ihr stand und grinste, „die ist immer um diese Zeit in unserem Ort. Anscheinend besucht sie ihre Verwandtschaft.“
„Und dann geht sie hier einkaufen?“ Margitta strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. „Ich meine, ich habe sie gestern schon gesehen.“
„Ja, zwischen Weihnachten und Dreikönigstag kommt sie täglich, wenn wir geöffnet haben. Vielleicht ist sie ja etwas einsam.“
Sie blickten beide zu der älteren Frau hinüber, die auf einen Mann mittleren Alters mit einer dicken Pudelmütze einredete. Zunächst schien er noch höflich zu antworten, doch dann wich er mit einsilbigen Erwiderungen immer mehr vor ihrem Einkaufswagen zurück, bis er mit dem Rücken an dem Backofen der Brotabteilung stehenblieb. Obwohl die den Kunden zugewandte Seite gut isoliert war, schien noch genügend Wärme auszutreten, denn Schweissperlen traten ihm auf die Stirn, und sein Schnurrbart wurde immer feuchter.
„Sehen Sie“, meinte die alte Frau und kicherte belustigt, „wie wohltuend diese Wärme ist, wenn Ihnen richtig eingeheizt wird?“ Dabei schnipste sie mit den Fingern.
„Sollen wir da eingreifen?“ Margitta rutschte unruhig auf ihrem Sitz an der Kasse herum. „Ist das nicht Belästigung?“
Der Pony des Mannes war inzwischen von Feuchtigkeit durchtränkt, und entnervt riss er sich schliesslich die Mütze vom Kopf, unter der sich ein Päckchen auf seinem Scheitel befand. Es sah angematscht aus, und Rinnsale von geschmolzener Butter schlängelten sich durch sein Gesicht. „Ein Dieb!“, raunte jemand weiter hinten im Laden, und in den Gängen blieben Kunden stehen und starrten. Mit hochrotem Kopf nahm der Mann das fettige Paket in die Hand und kramte in seiner Geldbörse, während er den Schwall von Butter aus den Augen rieb. Dann rannte er aus dem Laden und warf an der Kasse ein paar Münzen auf das Band. Schon war er verschwunden.
„Haben Sie das gesehen?“ Es dauerte etwas, bis die Kunden sich wieder ihren Einkäufen zuwandten. Sie standen zu zweit oder in kleinen Grüppchen und unterhielten sich. Nur Frau Schelling, eine Stammkundin, war erst nach dem Vorfall in den Laden gekommen und hatte sich gezielt und wie üblich eilig ein Pack Bananen und eine Orange aus dem Obstregal genommen. Sie wollte schnell bezahlen, landete aber hinter der Frau Percht an der Kasse.
„Ich habe nur zwei Teile“, setzte sie an, „könnte ich bitte …?“ Mitten im Satz schien sie die Frau vor sich wieder zu erkennen und verstummte. Sie hielt sich die Hand vor den Mund, als sie den voll gehäuften Einkaufswagen betrachtete. »
„Ich sehe, Sie haben heute Geduld mitgebracht!“, kicherte die Alte belustigt und packte ihre Waren eine nach der anderen auf das Band.
Simone erinnerte sich an den Zwischenfall im Vorjahr. Da hatte sie an der Kasse gesessen, und Frau Schelling hatte sich durch die Warteschlange gedrängelt.
„Warum immer diese Rentner unterwegs sind, wenn ich einkaufen will!“, hatte sie in abfälligem Ton geseufzt und von einem Bein auf das andere getreten.
„Junges Mädchen, ich kann die Münzen so schlecht unterscheiden“, hatte die Frau Percht ihr anvertraut und den Inhalt ihrer Geldbörse ausgeschüttet, damit Simone sich den korrekten Betrag nehmen konnte. Laut hatte Simone die Geldstücke zusammengezählt, und die restlichen Franken und Rappen wieder eingepackt. Zum Abschluss hatte sie das Portemonnaie in die faltige Hand der Frau gedrückt und ihr versichert: „So, jetzt stimmt es!“
„Muss das denn wirklich sein?“, hatte Frau Schelling gestöhnt. „Ist sowas überhaupt noch geschäftsfähig?“
Die Augen der alten Frau hatten gefunkelt, aber sie hatte in ganz ruhigem Ton gesagt: „Peinlich, wenn man die Geduld der Leute strapazieren muss. Was meinen Sie?“ Und dann hatte sie mit den Fingern geschnipst, und Frau Schelling war die Handtasche vom Arm geglitten, und der ganze Inhalt, Lippenstift, Puderdose, Wimperntusche, Notizblock, Stifte, Keksreste und Papiertaschentücher waren herausgerutscht und hatten sich auf dem Boden verteilt. Und natürlich war auch der Geldbeutel aufgesprungen und hatte seinen Inhalt samt Scheinen und Kreditkarten ausgespien. Frau Schelling war nichts anderes übrig geblieben, als auf den Knien herumzurutschen und ihre Habseligkeiten wieder einzusammeln. Und so war es das ganze Jahr über gegangen. Jedes Mal an der Kasse war ihr etwas aus den Händen geglitten, ein zerschellende Gurkenglas, eine Packung Eier …
Mühselig langsam hob die alte Frau die Gegenstände in ihren Wagen zurück, und die Blicke der anderen folgten jede ihrer Bewegungen.
„Wenn Sie möchten, helfe ich Ihnen beim Einpacken!“ Frau Schelling wirkte, als wäre sie von ihren eigenen Worten überrascht.
„Das wäre ganz reizend“, entgegnete die Alte und lächelte spitzbübisch. „Und ich bin mir sicher, dass Ihre Hände in diesem Jahr weitaus geschickter sind als im letzten.“ Und ganz, ganz leise kicherte sie.
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