Fein mitgespielt
Von: Elisha
Ich hatte gar nicht mehr daran gedacht, dass ich mir ein Flirtkonto eingerichtet hatte. Im Zug schienen aber genügend Personen mit zu fahren, so dass auch für mich als durchschnittlicher Mittdreissigerin verschiedene Profile vorgeschlagen wurden. Und manche der Männer sahen auch ganz nett aus.
Sicher, meine Freundin Isabel wäre da wählerischer. Für sie kamen nur Sportstudenten mit ihren muskulösen Körpern und modischen Frisuren infrage. Da ihr reizendes Gesicht aber zu einem etwas rundlicheren Körper gehörte, wurde auch ihr Profil zuweilen achtlos nach links gewischt, oder erste Treffen bargen Enttäuschungen.
Im Bahnhof angekommen, hielt ich Ausschau nach den Jungs, die Kontakt mit mir interessant fanden. Doch die Männer sahen sich alle ähnlich: in schwarzen Klamotten schoben sie sich langsam zum Busbahnhof. Manche schauten zwar auf ihre Handys und tippten, aber keiner sendete mir die Nachricht: „Wo bist du denn? Sollen wir mal reden?“
Einer, der in Isabels Beuteschema passen könnte, stand unschlüssig an einem Laternenpfahl. Er winkte erst mit der einen Hand, dann ruderte er mit beiden Armen und drehte sich dabei im Kreis, und nach weiterem Tippen setzte er die Bewegungen fort, indem er zusätzlich auf und ab hüpfte und „Wo? Wo? Wo?“ bellte. Sein Gesicht wurde hellrot, und Schweisstropfen rannen ihm über die Wangen. Ich zuckte mit den Schultern und passierte ihn.
Im Bus kam eine konkrete Anfrage, eingeleitet von einem unverbindlichen „Hi“ beiderseits: „Möchtest du auf meinem Gesicht Platz nehmen?“
Ich dachte erst, ich hätte mich verlesen. Was meinte er? Natürlich, begriff ich, was Sexuelles! Ungewollt kamen Bilder in mir hoch, gefolgt von Empörung. Ich wollte ihn schon kommentarlos löschen, tippte dann aber Folgendes:
„Wieso? Ist deine Nase grösser als dein Penis?“ Und weg mit ihm.
Noch in derselben Fahrt kam eine andere Anfrage: „Hast du Lust auf einen Dreier?“
Ich schüttelte überrascht den Kopf und tippte: „Mit wem?“
„Na, mit deiner besten Freundin.“ Natürlich fiel mir sofort Isabel ein. Schliesslich war ich auf dem Weg zu ihr. Ich grinste böse.
„Klingt gut. Und wer als drittes?“, fragte ich harmlos.
„Na ich!“
„Ach. Nee, dann nicht.“ Und weg.
Ich überlegte, ob ich Tinder wieder löschen sollte. Eigentlich hatte mir der Ansatz gut gefallen. Als Single waren mir im Alltag schon Männer über den Weg gelaufen, die mir auf den ersten Blick gefallen konnten. Aber frau wusste ja nicht, ob sie ebenfalls auf der Suche waren. Da kam dann die App ins Spiel, auf der alle ihre generelle Bereitschaft zu neuen Kontakten anzeigten.
Der andere Fall meiner Singlelaufbahn war, dass Leute im Internet oft so weit entfernt wohnten. Was sollte ich mit einem Kerl im Tessin oder Wallis? Hier zeigte die App Leute an, die sich gerade nah aufhielten. Jetzt blieb noch zu klären: wo waren die vernünftigen Männer, die auch für eine zukünftige Partnerschaft infrage kämen? Waren die denn alle in einer Beziehung?
Als ich aus dem Bus ausstieg, schlenderte mir Isabel entgegen und hakte sich dann bei mir ein. Ich freute mich, dass sie mich abholte und begann, meine neuesten Erlebnisse heraus zu sprudeln.
„Du hattest auch so Psychos?“ Sie schüttelte den Kopf.
„Und sie meinen vermutlich, dass das tolle Anmachsprüche sein könnten! Du kennst auch sowas?“
„Ja, stell dir vor, einer hat mich gefragt, ob ich mich für Geld auf ein gewagtes Spiel einlasse.“
„Und wie hast du reagiert? Ihn sofort gelöscht?“
„Nee, ich hab mein Spiel mit ihm gespielt.“
Ich sah sie verständnislos an. „Na ja, wir haben uns verabredet, und ich habe gesagt, dass ich ihn nicht finde. Er sollte dann winken und wo? rufen …“
„Zufällig am Busbahnhof?“
„Genau!“ Isabel lachte. „Anscheinend hat er mitgespielt.“
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