Zu guter Letzt
Von: Elisha
An diesem Morgen war das Wetter wieder wechselhaft. In der Früh hatte die Sonne das Baby wachgekitzelt, und Gilbert und Mira waren zeitig aufgestanden, um Frühstück zu bereiten. Als sie bei der zweiten Schnitte Brot sassen, tauchten auch erst Pasqual, dann Lavinia in der Küche auf.
Ihre schlechte Laune trugen sie vor sich her, und der inzwischen wolkenverhangene Himmel änderte daran nichts. Pasqual bewegte alle Utensilien, die er für das Frühstück brauchte, mit unnötig viel Energie, so dass Teller und Tasse, Butterdose und Honigglas mit einem lauten Knall auf den Tisch gestellt wurden. Das war kein gutes Omen. Und dabei war dies ihr letzter Tag des Urlaubs.
In Gesprächen mit ihrem Partner oder ihrer Freundin hatte Mira schon erfahren, dass alle es für eine schlechte Idee hielten, gemeinsam für die Woche an diesen Ort gefahren zu sein. Eigentlich war Mira darauf gekommen, die beiden Freunde mitzunehmen, weil die Ferienwohnung mit den beiden Schlafzimmern doch ein wenig teuer schien und sie sich den Preis teilen konnten. Aber Pasqual war schon am ersten Abend bei der Aufteilung der Räume unzufrieden gewesen.
„Warum kriegt ihr immer das beste Zimmer?“
„Wir brauchen das grössere, um das Bettchen für Oskar stellen zu können.“
„Aber der zweite Raum ist ein Durchgangszimmer!“
„Dann ist es ja noch wichtiger, damit das Baby nachts nicht wach wird, wenn jemand dadurch geht.“
„Aber dann können wir nicht …“
Lavinia hatte noch ausgehen wollen, aber Mira hatte erschöpft abgewinkt.
„Ich bin seit fünf Uhr auf den Beinen und freue mich aufs Bett.“
Irgendwie hatten sie vergessen, sich zu Hause auszutauschen, mit welchen Vorstellungen sie in den Urlaub fahren wollten.
Früher war alles einfach gewesen: abends Kneipenbummel oder Parties, morgens lange Ausschlafen, ab mittags Ausflüge, um sich den Ort oder die Gegend anzusehen. Das passte jetzt nicht mehr. Oskar verlangte einen frühen Start und wurde schon wieder müde, wenn das zweite Paar das Frühstück vollendet hatte. Zeit für den Mittagsschlaf. Und abends musste Oskar im Wagen mit oder jemand musste zu Hause bleiben. Kino für alle ging gar nicht. Missmutig hatten sie die Brettspiele in der Wohnung ausprobiert, auf dem kleinen Balkon, bei einem Glas Wein.
„Die Sonne ist schon wieder weg“, liess sich Gilbert von der miesen Laune anstecken. „Dabei wollten wir doch an den Badesee.
„Noch ist es trocken“, sagte Mira im aufmunterndem Ton, den alle nur noch nervig fanden. „Da können wir es doch versuchen.“
Pasqual hob abwehrend die Hände, murmelte etwas von „früher abfahren“. Lavinia stiess ihm den Ellbogen in die Seite.
„Das sehe ich gar nicht ein. Leute, es ist unser letzter Tag. Können wir da nicht noch was Schönes machen?“
„Vielleicht sollten wir uns trennen für heute“, überlegte Gilbert. „Ihr könnt ja nochmal shoppen, wenn Oskar schläft, und wir gehen heute Nachmittag zum See.“
Pasqual und Lavinia wechselten Blicke.
„Und wir haben die Wohnung für uns?“ Sein Gesicht hellte sich auf.
„Sturmfreie Bude, abgemacht. Wenn uns der Regen überrascht, gehen wir in die Bücherei.“ Er grinste. Lavinia lächelte.
„Klingt nach einem guten Vorschlag!“
Der Wettergott war später gnädig, denn blaue Sprenkel lugten zwischen den grauen, dann weissen Wolkendecken hervor, wurden grössere Flecken, und schliesslich schien die Sonne mit glitzernden Strahlen über die Wasseroberfläche. Oskar sass zum ersten Mal in seinem Leben am Rand, patschte mit der flachen Hand auf den feuchten Boden. Dann griff er nach einem Kiesel und legte ihn vorsichtig auf einen anderen Stein.
„Du machst es richtig, mein Schatz“, sagte Mira und beobachtete ihren Sohn liebevoll beim Steine Stapeln. „Früh übt sich, wer meditieren will.“ Sie lachte leise. Zum ersten Mal in dieser Woche war sie wieder froh, fühlte sie sich richtig und entspannt. Es war so angenehm, Oskar bei seiner Erkundung der Umgebung , seinem erstaunten Ausprobieren zuzusehen. Wieder klatschte er auf den feuchten Sand, erstarrte kurz, weil sich ein Tröpfchen gelöst hatte und ihm aufs Auge gespritzt war. Er blinzelte, einmal, zweimal, dann führte er den Kiesel an den Mund, leckte vorsichtig daran.
„Du bist dran!“ Gilberts Stimme riss sie aus ihrer Beobachtung, und triefend nass stand er ein paar Schritte entfernt, mit den Beinen noch im Wasser. Er schüttelte den Kopf, und Wasser stob aus seinen Haaren wie bei einem Hund. Mira quiekte bei den kalten Tropfen auf ihrer nackten Haut. „Wachablösung. Ich übernehme Oskar, du gehst schwimmen.“
Und das war es, was das Gelingen des Urlaubs noch abrundete. Miras Körper tauchte ein in das kalte Nass, und sie spürte, wie bei jedem Schwimmzug Wasser an ihrem ganzen Körper entlang glitt, das Gefühl für seine Ausdehnung in ihr Bewusstsein hob. Wie sie das liebte! Ganz langsam schwamm sie hinaus bis zur Boje, genoss Zug um Zug, die ganze Strecke.
Als sie zurückkam, sassen alle auf Decken auf der grünen Wiese am See. Pasqual und Lavinia hatten Essen mitgebracht, Brot, Salate, Fingerfood. Ein richtiges Picknick. Dazu Getränke, selbst an Apfelsaft für Oskars Fläschchen hatten sie gedacht. Und Oskar hielt eine Kartoffel in seinem kleinen Händchen und knabberte genussvoll daran.
„Wir dachten, wir machen es uns heute nochmal schön“, sagte Lavinia und reichte Mira ein Handtuch. Pasqual nickte gut gelaunt.
„Ist ja schliesslich unser letzter Tag“, sagte Mira. Gilbert begann, Mira den Rücken abzurubbeln. „Dann haben wir ja was richtig gemacht! Zu guter Letzt.“
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