Freddy ist weg
Von: Elisha
Nun ist es schon zwei Tage her, dass der Umzugswagen vor dem Haus gehalten und die kräftigen Männer Möbel und Kisten hineingetragen haben. Natürlich, noch steht nicht alles an seinem Platz, und die Erfahrung lehrt, dass das auch noch eine Weile dauern wird, vielleicht ein Jahr oder zwei.
Im Keller habe ich einen Karton entdeckt, den ich seit meinem letzten Wohnungswechsel nicht ausgepackt habe. Ein erster Impuls sagt mir, dass ich anscheinend auch ohne den Inhalt gut durch das Leben gehe, und ich erwäge, die verschlossene Box ohne einen Blick hinein zu entsorgen.
Nur einen Augenblick zögere ich, und schon halten andere Gedanken dagegen: schliesslich habe ich Geld dafür ausgegeben, waren Rohstoffe für die Herstellung nötig, ist es nicht Sünde, so etwas wegzuwerfen? Also habe ich ihr einen Platz im Regal besorgt, mit der vagen Absicht, sie beim nächsten Umzug zurückzulassen.
Das Schönste an der neuen Wohnung ist aber nicht der Stauraum, über den ich mit all den Regalen und Schränken verfüge, auch nicht die helle Küche oder das geräumige Zimmer mit dem riesigen Fenster, das ich zum Wohnen und Schlafen nutzen will.
Am besten gefällt mir die Holzterrasse im schwedischen Stil vor der Eingangstür, zwei Stufen hoch, auf der ich meine Gummistiefel stehen lassen kann, für Spaziergänge im matschigen Herbstwetter. Ein grober Tisch mit einer passenden Bank sind auf dem Gestell angebracht, und obwohl Sommer und Sonne längst vergangen sind, reicht die Temperatur noch für einen dampfenden Tee. Ich trage meinen dichtmaschigen Pullover, rühre mit einem Löffel im Keramikbecher und sehe hinaus auf den Waldrand, der gleich hinter dem Grundstück anfängt.
Mein Vormieter hat bei der Übergabe erzählt, dass er einmal einen Fuchs hat vorbeischleichen sehen. Ich schaue über die Hecke, hoffe auf einen schlanken Körper mit rotem Fell, aber es hopst nur eine dunkle Amsel in einen Busch.
Freddy ist weg, mein Kater, der bisher nur in der alten Wohnung zu Hause war. Ich habe beim Schleppen der Dinge sein Verschwinden nicht bemerkt zwischen den angeheuerten Umzugshelfern und den Freunden, die mitgeholfen haben, und auch keiner von denen hat etwas gesehen. Einmal habe ich ihn weggescheucht, als er zwischen meinen Beinen hocken blieb, während ich eine schwere Kiste auf den Armen wiegte.
Das ist jetzt zwei Tage her, und ich bin in den Wald gelaufen, um nach ihm zu suchen. In der Küchenkiste habe ich eine Schere, Klebstoff und Papier gefunden und an einigen Bäumen Zettel aufgehängt, mit denen ich nach ihm suche. Aber ein kleiner Kater, der noch nie seine Nase in den Wind gehalten hat und nur die Altbauwohnung unserer Wohngemeinschaft kennt, ist doch verloren in dieser grünen Wildnis! Im Geiste sehe ich ihn dort unter einem Baum liegen, vertrocknet, sein Fell verklebt mit Blut, und die Tränen kullern mir aus beiden Augen.
„Oh, Freddy, Freddy!“, schluchze ich und vernehme ein zartes Stimmchen unter mir. „Freddy?“ Wieder antwortet mir ein leises Miauen.
Ich springe von der Terrasse und rolle mich auf den Bauch, um darunter zu spähen. Eine Pfote tupft mir zärtlich auf die Wange, und dann ist er da, stupst meine Nase mit seiner kalten Schnauze an, reibt sein weiches Fell an meinem Gesicht. Beruhigend rede ich auf ihn ein, „alles ist gut, ich bin ja da“, und ein kaum hörbares Schnurren ertönt unter der Terrasse. Ich greife ihn und drücke seinen warmen Körper an mich, gebe ihm einen dicken Kuss auf seinen Nacken. Wieder rollen meine Tränen, aber jetzt tun sie es aus Freude.
„Da hast du aber einen langen Ausflug hinter dir“, schelte ich ihn liebevoll. „Komm, Freddy, wir gehen rein. Jetzt gibt es erstmal Futter.“
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