Ein heisses Wiedersehen
Von: Elisha
Die Spannung stieg. Ich stand unbeweglich und musste mich davon abhalten, meine Nase an der Glaswand platt zu drücken, nur, um noch etwas näher heran zu rücken. Schliesslich haben wir ja alle genügend Hygieneregeln verinnerlicht. Mein Herzschlag dröhnte durch den ganzen Körper, und der erste der Passagiere erschien hinter dem Glas. Eine Frau. Dann ein Mann, wieder eine Frau. Immer mehr kamen. Und endlich auch der, auf den ich gewartet hatte, von dem ich drei Monate lang getrennt gewesen war. Die Härchen auf meinen blossen Armen stellten sich auf.
„Da ist Hartmut ja“, sagte eine mir vertraute Stimme, und ich starrte die ältere Dame neben mir an. „Endlich ist er wieder im Land!“
„Was machst du denn hier?“, fragte ich meine Schwiegermutter, und es fiel mir nicht leicht, meine Bestürzung aus dem Tonfall zu halten.
„Ich dachte, ich überrasche meinen Sohn“, sagte sie und strahlte mich an. „Er hat doch sicher uns beide vermisst.“ Und damit nahm sie meinen Arm, um den Passagieren entgegen zu gehen.
In meiner Vorstellung sollte das Wiedersehen ganz anders ablaufen. Ich wollte ihn stürmisch anspringen und von seinen starken Armen aufgefangen werden. Und dann einen leidenschaftlichen Kuss austauschen, mit der ganzen Sehnsucht der letzten Monate. Statt dessen stand er steif vor mir, sichtlich verlegen und verwirrt beim Anblick seiner Mutter. Es gab eine lauwarme Umarmung für uns beide, und wir gingen schweigend zum Wagen und verstauten sein Gepäck. Und, zu meinem Entsetzen, den Rollkoffer meiner Schwiegermutter!
„Ich dachte, ich schlafe bei euch, dann haben wir mehr voneinander“, sagte sie mit einem wieder strahlenden Gesicht.
„Aber ich habe einen Tisch bestellt, nur für uns zwei!“, begehrte ich auf.
„Ach, da werde ich schon auch noch dran passen“, entgegnete sie und drückte mir liebevoll den Arm.
Und tatsächlich sassen wir wenig später bei unserem Lieblings-Italiener, an dem Tisch, an dem wir uns verlobt hatten. Der Kellner hatte alles so vorbereitet, wie wir damals den Tisch vorgefunden hatten: In der heimeligen Grotte, mit Rosenblüten auf dem Tisch verteilt. Meine Schwiegermutter wischte sie mit der Hand zur Seite und blies die Kerze aus, um sie auf den Nachbartisch zu stellen. Hartmut und ich wechselten Blicke, und er zog die Schultern hoch.
Während ich meine Pasta kaute, schilderte seine Mutter das gerade vergangene Leben in der Schweiz, ohne auch nur nach seinen Erfahrungen im Ausland zu fragen. Ich wollte seiner Stimme lauschen, seine Erlebnisse direkt erfahren, ohne Bildschirm oder Telefonleitung dazwischen. Stattdessen spulte ich in meiner Vorstellung den Abend vor, wie wir uns die Kleidung vom Leib reissen und uns auf das Bett fallen lassen würden. Ein Geräusch riss mich aus meinem Tagtraum, das leise Öffnen einer Pillendose. Ich erstarrte.
Genau das Geräusch kannte ich vom letzten Besuch von Hartmuts Mutter. Es war durch die dünnen Wände vernehmbar gewesen aus dem Gästezimmer, hatte uns inne halten lassen, und Hartmut hatte kleinlaut mitgeteilt, dass sein Körper streike, wenn seine Mutter derart präsent wäre. Es war frustrierend genug gewesen an einem ganz normalen Abend, aber ich spürte, dass ich nicht bereit wäre, dem auch noch unser Wiedersehen zu opfern.
Wieder wechselte ich einen Blick mit meinem Mann, und dann legte ich meiner Schwiegermutter die Hand auf den Arm. Sie hielt im Satz inne und sah mich erstaunt an.
„Du solltest lieber in der kleinen Pension übernachten“, sagte ich ohne Einleitung. „Da wirst du dich wohler fühlen, und Hartmut kann zum Frühstück kommen.“
„Ihr wollt mich nicht bei euch unterbringen?“, fragte sie entsetzt, und ihre Unterlippe begann zu zittern.
„Ich glaube nicht, dass du dich wohl fühlen würdest“, sagte ich leise.
„Ich verstehe nicht …“
„Das glaube ich dir, und deshalb werde ich deutlicher, als ich es vorhatte.“ Ich nahm noch einen tiefen Atemzug und fuhr dann fort: „Wir haben uns drei Monate lang nicht gespürt, und wir werden daher viel Sex haben, im Garten, im Bett, unter der Dusche, auf dem Küchentisch! Ich bin mir sicher, dass du dich in der Pension wohler fühlst.“ Und damit wählte ich die Nummer, um ein Zimmer zu reservieren.
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