Kurz mal ins Paradies
Von: Elisha
„Hast du Lust zu einem Wochenende im Paradies?“ Wie lange habe ich auf den Satz gewartet, ihn mir heimlich ersehnt. Die Arbeit im Büro ist nicht schwer, was den Muskeleinsatz betrifft, aber bei der drückenden Luft habe ich die Nase voll von den Menschen mit ihren Anträgen, bei denen gerade das wichtigste Dokument vergessen wurde. Ausserdem kleben Papiere an meinen Unterarmen, der Ventilator wedelt einzelne Schreiben durch die Luft; kurz gesagt, ich bin urlaubsreif. Von Heino weiss ich, dass er ein eigenes Grundstück mit einer Ferienwohnung hat, das er Paradies genannt hat. Und dahin lädt er mich ein, der Kollege. Ja, ich will.
„Ich komme gern mit, je eher, desto besser“, antworte ich ihm lachend und packe im Geiste schon meinen Koffer. Die Schirmmütze als Sonnenschutz will ich diesmal nicht vergessen und einen Rucksack für Wanderungen.
„Also dann, ich hole dich zwei Stunden nach Dienstschluss ab.“
„Heute?“, rufe ich erstaunt aus. Eigentlich hatte ich andere Pläne, aber die bezogen sich nur auf das Fernsehprogramm. Wieder denke ich an die Ferienerlebnisse aus Heinos Erzählungen, das macht die Wahl leicht.
Es ist noch nicht dunkel, als wir das Gelände betreten. Das Haus liegt in einem kleinen Garten, und in dem Fenster unten rechts brennt Licht.
„Ist jemand da?“, frage ich erstaunt, und Heino hüstelt.
„Komm“, sagt er und hebt den Koffer, den ich tatsächlich voll bekommen habe, aus dem Wagen. Seine Reisetasche trägt er an einem Gurt über die Schulter. Mit eiligen Schritten geht er vor mir her zu der alten Holztür, die er mit einem grossen Schlüssel aufschliesst. Wir gehen durch die Diele, und anstatt durch die Tür aus hellem Holz nach rechts zu gehen, steuert Heino auf den hinteren Bereich zu. Dort öffnet er zwei dunkel lasierte Türen, und ich erspähe dahinter kleine Kammern.
„Willkommen im Paradies“, sagt Heino und schwenkt theatralisch eine Hand.
Ich lächele etwas angespannt; die Fotos von seinem Urlaub hatten einen ganz anderen Eindruck gemacht. „Ich dachte, du hättest eine ganze Wohnung.“
„Ja, da drüben.“ Er zeigt auf die helle Holztür. „Die ist aber gerade vermietet. Aber die Zimmer sind doch auch schön, oder?“
Am nächsten Morgen sitzen wir an einem kleinen Tisch und frühstücken. Die Nacht war gar nicht schlecht; ich habe durchgeschlafen, und der Tag kann ja noch gut werden. Über dem Feld nahebei singt eine Lerche, und nebenan lockt der Wald zu einem Spaziergang.
Heino giesst mir noch Orangensaft in ein Glas und starrt über die niedrige Hecke zu der Terrasse, auf der die Gäste der Wohnung sitzen. Seine Augen folgen den Bewegungen des Mannes, als er etwas holt.
„Dachte ich es mir doch!“ Heino setzt sich aufrecht hin. „Ohne Untersetzer!“
„Was?“
„Der stellt die heisse Kanne auf den teuren Tisch.“
„Du spionierst deinen Gästen hinterher?“ Ich schüttele den Kopf.
„Ach was! Willst du noch Saft?“
Mein Versuch, den Tag zu planen: „Gehen wir gleich in den Wald?“ Ich schaue hinüber zu der grünen Pracht, aus der ein Kuckuck ruft. Hier ist die Wärme viel besser zu ertragen als in unserem Büro, und ich freue mich schon.
„Nein, du kannst ja gehen. Ich habe noch im Garten zu tun.“
„Heute?“
„Na ja, so ein Domizil hat nicht nur Vorteile.“ Er deutet auf das Gras. „Ich muss noch Rasen mähen, und die Büsche könnte ich auch gleich kappen.“
„Soll ich dir helfen?“, biete ich halbherzig an, aber er winkt ab. „Nein, geniesse den Tag! Wozu habe ich dich sonst mitgenommen?“
Das ging mir auch gerade durch den Kopf. Irgendwie haben wir das gar nicht geklärt.
Ich mache mich also auf den Weg und durchstreife das Waldstück, zuerst ein kleines, hügeliges Kieferwäldchen mit sandigem Boden, das allmählich in einen saftig-grünen Laubwald übergeht. Mir unbekannte Moosarten haben sich in grossen Teppichen den Boden erobert, und während ich auf einer Holzbank raste, rufen Vogelstimmen, die ich nicht einordnen kann. Schmetterlinge sammeln sich an einem Strauch, schweben von Blüte zu Blüte. Ich sehe, ich höre, ich rieche die Pflanzen um mich herum, und so langsam begreife ich, wie Heino zu seiner Namensgebung kam. Wie ein Garten Eden! Es dauert, bis ich allmählich zurückkehre.
Ich könnte die ganze Welt umarmen, aber Heino wirkt niedergeschlagen. Er hat den Tisch gedeckt, und wir belegen Brote und essen Obst dazu. So langsam fängt er sich.
„Weisst du, Birgit, es ist das erste Mal, dass ich vermietet habe“, sagt er leise und beisst in ein Stück Käse. „Ich hätte nicht gedacht, dass es mir dermassen schwer fällt.“
Ich stutze. „Meinst du, alles in Ordnung zu bringen oder die Abrechnung mit den Kunden?“
Er schüttelt den Kopf. „Nein, das meine ich nicht.“ Er sucht ratlos nach Worten. „Die dürfen jetzt alles anfassen. Gar nicht so einfach, mein Reich an andere zu überlassen.“
Ich rolle ihm ein paar Weintrauben auf den Teller und schlage schweren Herzens vor: „Dann sollten wir sie vielleicht besser in Ruhe lassen. Wollen wir wieder fahren?“
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